Große Koalition:Letzte Chance

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Die neue Regierung will mit der Nahles-Rente die private Altersvorsorge retten. Beschäftigte könnten profitieren. Das Modell eröffnet auch Versicherern ein neues Geschäftsfeld.

Von Jonas Tauber und Herbert Fromme, Berlin/Köln

Und wieder unternimmt Berlin einen neuen Anlauf. Nach der Riester-Rente und der Rürup-Rente, die beide ohne die erhoffte große Durchschlagskraft blieben, soll es jetzt die Nahles-Rente richten. In kaum einem politischen Punkt sind sich Union und SPD so einig wie in der Diagnose, dass die Deutschen deutlich mehr Geld für ihr Alter zurücklegen müssen.

Die gesetzliche Rente ist unter Druck und wird es bleiben. Dafür sorgt vor allem die Alterung der Gesellschaft. Also müssen die private und die betriebliche Vorsorge ausgebaut werden. "Die betriebliche Altersversorgung oder bAV ist ein Bereich, der ausbaufähig ist und in den die Arbeitnehmer großes Vertrauen haben", sagt Peter Weiß, Rentenexperte der CDU. Die Nahles-Rente ist die flapsige Abkürzung für ein Betriebsrentensystem, das noch die vorige große Koalition beschlossen hatte und das im Januar 2018 in Kraft trat.

Betriebsrente, das klingt für viele nach zusätzlichem Wohlstand für eine Arbeitnehmergeneration, die ohnehin oft keine schlechten gesetzlichen Renten kassiert. Betriebsrenten waren einst ein wichtiges Mittel in Großkonzernen, um Mitarbeiter zu gewinnen und zu halten - wer nach weniger als zehn Jahren Betriebszugehörigkeit kündigte, verlor die Betriebsrente. Die Einzahlungen leistete der Arbeitgeber.

Viele kleine Unternehmen bieten ihren Beschäftigten bislang nichts an

Diese Variante der betrieblichen Altersversorgung stirbt aus. Die Zahlung durch den Arbeitgeber wird immer seltener, stattdessen zahlt der Arbeitnehmer, es gibt höchstens einen Zuschuss vom Chef.

Viele kleine Unternehmen bieten ihrer Belegschaft gar keine Betriebsrenten an, auch wenn sie eigentlich dazu verpflichtet wären. Als zentralen Grund identifizierte die damalige Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) die gesetzlich vorgeschriebene Arbeitgeberhaftung. Danach müssen Unternehmen für die künftige Betriebsrente haften - und Geld nachschießen, sollte eine externe Pensionskasse oder ein Lebensversicherer Probleme bekommen.

So entstand die Grundidee des Gesetzes: Die Unternehmen können die Haftung für die Betriebsrenten loswerden, wenn sie sich mit den Gewerkschaften per Tarifvertrag auf eine betriebliche Vorsorge für ihre Branche einigen.

Kritiker monieren die Hauptrolle, die das Gesetz Arbeitgebern und Gewerkschaften und ihren Tarifverträgen gibt. "Ein Problem ist, dass die Enthaftung an die Tarifbindung geknüpft ist", sagt Markus Kurth, Rentenexperte der Grünen im Bundestag. Gerade in Branchen mit geringer Bezahlung wie dem Gaststättengewerbe sind viele Firmen nicht im Arbeitgeberverband und unterliegen nicht der Tarifbindung.

Die Bundesregierung hat darauf eine Antwort: Die Tarifparteien können Verträge per entsprechender Klausel auch für Unternehmen ohne Tarifbindung öffnen. Der Grüne Kurth bezweifelt, dass so etwas gelingt. Besser wäre gewesen, allen kleinen Unternehmen mit weniger als 50 Mitarbeitern ein bAV-Angebot ohne Arbeitgeberhaftung zu ermöglichen, argumentiert er. "Ob innerhalb des neuen Modells oder außerhalb." Große Unternehmen benötigen die Entlastung dagegen nicht, glaubt er.

Andere Kritiker sehen das Problem der Nahles-Rente darin, dass Zinsgarantien bei dem neuen Angebot sogar verboten sind. Das soll die potenzielle Rendite erhöhen, denn garantierte Leistungen lassen sich nur mit als sicher geltenden Kapitalanlagen wie Anleihen darstellen, die wenig Rendite abwerfen. Aber werden sich die sicherheitsbedürftigen Deutschen auf ein Sparmodell mit ungewissem Ausgang einlassen? Der Linken-Abgeordnete Matthias Birkwald nennt sie eine "Pokerrente". Ob die Regierung mit dem "Sozialpartnermodell Betriebsrente" mehr Unternehmen zum Angebot einer Betriebsrente bewegt, weiß bislang niemand: Entsprechende Tarifverträge gibt es noch nicht, frühestens 2019 ist damit zu rechnen. Sicher ist aber, dass die Kostenbelastung für die Arbeitnehmer geringer sein wird - es werden keine oder sehr viel geringere Provisionen anfallen, weil auch weniger verkauft werden muss. Schließlich ist es möglich, dass die Tarifparteien das Opting-out-System vereinbaren: Dann ist jeder Mitarbeiter versichert, wenn er nicht widerspricht.

Versicherer hoffen auf einen neuen Milliardenmarkt

Dennoch drängen sich die Versicherer nach dem Geschäft und bilden Konsortien, um Arbeitgebern und Gewerkschaften entsprechende Angebote zu machen. Denn hier winkt ein riesiger Markt. Dass sich nicht nur kleinere Gesellschaften zusammentun, sondern auch die großen Anbieter Zurich und Talanx, hängt mit den enormen Anfangsinvestitionen für die Nahles-Rente zusammen. Denn die Betriebe verlangen zu Recht, dass die Nahles-Anbieter vollautomatisch digital verwalten - durch direkten Datenabgleich mit den Personalabteilungen der Unternehmen.

Das seit Januar geltende Gesetz belässt es nicht bei der neuen garantielosen bAV. CDU-Mann Weiß ist besonders stolz auf andere Paragrafen, die mehr Geringverdiener zum Abschluss einer Betriebsrente bewegen sollen. So etabliert das Regelwerk einen neuen staatlichen Fördertopf für arbeitgeberfinanzierte Betriebsrenten für Menschen mit einem Einkommen bis 2200 Euro. Investieren die Unternehmen für diese Zielgruppe in die Vorsorge, können sie sich 30 Prozent über die Lohnsteuer zurückholen.

Außerdem gibt es einen Freibetrag von 100 Euro bis rund 200 Euro bei der Verrechnung der künftigen Betriebsrenten mit der Grundsicherung. Bisher wurden die Auszahlungen vollständig mit Hartz IV-Leistungen verrechnet - und damit fehlte der Anreiz für Menschen mit niedrigem Einkommen, überhaupt vorzusorgen. "Jetzt können wir guten Gewissens für die bAV werben", sagt Weiß.

Daneben werden Arbeitnehmer bessergestellt, die aus dem eigenen Einkommen per Entgeltumwandlung vorsorgen. Weil hier aus dem Bruttogehalt angespart wird, profitiert nicht nur der Arbeitnehmer von einer geringeren Abgabenlast, sondern auch der Arbeitgeber. Bisher durfte der Chef die eingesparte Summe komplett einbehalten. Das kritisierten viele, weil der gesetzlich krankenversicherte Arbeitnehmer auf seine spätere Rente den vollen Beitragssatz zu zahlen hat - also auch den Arbeitgeberanteil. Künftig muss der Chef den Großteil der eingesparten Beiträge an den Arbeitnehmer weiterreichen.

Für betroffene Arbeitnehmer ist das sicherlich eine Erleichterung. Allerdings sehen Verbraucherschützer wie Dorothea Mohn vom Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) die Entgeltumwandlung kritisch. Denn durch geringere Sozialversicherungsbeiträge sinken auch die späteren Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung, die von der zusätzlichen Vorsorge ja eigentlich ergänzt und nicht beschnitten werden sollte. "Man stärkt die Entgeltumwandlung, die ihrerseits die gesetzliche Rente schwächt", kritisiert Mohn.

Eine Kombination mit der Riester-Rente ist nicht vorgesehen

So ganz nebenbei hat die vergangene große Koalition auch die Riester-Rente gestärkt. Die jährliche Grundzulage bei Riester wurde von 154 Euro auf 175 Euro erhöht, eine bisherige Benachteiligung des Riester-Sparens über den Betrieb fällt weg: Bisher galt hier eine doppelte Beitragslast für die gesetzliche Krankenversicherung. Der Sparer musste sowohl auf den Sparbeitrag als auch später auf die Rente Beiträge an die Kasse abführen. Diese Belastung hat Berlin jetzt halbiert. Mit der Nahles-Rente lässt sich die Riester-Förderung aber nicht kombinieren.

Im Koalitionsvertrag der neuen großen Koalition findet sich auch ein Bekenntnis zu Riester. SPD und CDU kündigen darin Gespräche mit der Versicherungswirtschaft zu einem Standard-Riesterangebot an. Verbraucherschützerin Mohn bezweifelt, ob sich dadurch viel ändert. Sie hält Riester angesichts der geringen Verbreitung und der hohen Kosten für gescheitert. Stattdessen plädiert Mohn für die Einrichtung eines staatlich verwalteten Fonds ohne Gewinnabsicht. "Damit Verbraucher renditestark vorsorgen können, muss der Staat ein kapitalgedecktes Basis-Produkt organisieren", fordert sie. Einen ähnlichen Vorschlag haben Minister der schwarz-grünen Landesregierung Hessens vorgelegt, die "Deutschlandrente".

Selbst bei manchen Versicherungsmanagern findet der Vorschlag Anerkennung. "Gegen den Grundgedanken, dass wir eine Basisversorgung bekommen, kann sich kein Versicherer und kein Vertrieb wehren", sagt Heinz-Jürgen Kallerhoff, Vorstand beim Wiesbadener Versicherer R+V. Es komme dann aber darauf an, dass nicht derselbe Fehler wie bei Riester gemacht werde, als eine riesige Behörde für die Zulagenverwaltung gegründet wurde. "Daran sind diese Dinge auch gescheitert, das war einfach zu komplex." Der Versicherer gehört zu den Anbietern, die mit Unternehmen und Gewerkschaften über Branchenlösungen nach dem neuen Modell ins Gespräch kommen wollen.

Die Nahles-Rente und die reformierte Riester-Rente sind wohl der letzte Versuch der Koalitionsparteien, einen nennenswerten Ausbau der Altersversorgung mit den privaten Versicherern hinzukriegen. Gelingt das nicht, dürfte sich die Debatte schon bald auf die Einführung der Basis- oder Deutschlandrente konzentrieren - dann wären die Lebensversicherer ganz aus dem Spiel.

© SZ vom 22.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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