Große Koalition:Club der Drückeberger

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Ob Fracking, Glyphosat oder TTIP: Die Regierung nimmt die Sorgen vieler Bürger nicht ernst. Sie braucht für wichtige Entscheidungen viel zu lange.

Von Silvia Liebrich

Manchmal muss der Leidensdruck groß sein, bis endlich was passiert. Wer kennt das nicht. Volle Abfalleimer werden erst zur Mülltonne getragen, wenn wirklich gar nichts mehr hineinpasst, unsortierte Steuerunterlagen erst dann in die Hand genommen, wenn sie das Finanzamt nachdrücklich anfordert. Erst aufschieben, um es dann auf den letzen Drücker, mehr widerwillig als gründlich, doch zu erledigen.

So oder so ähnlich ist nun auch das umstrittene Fracking-Gesetz zustande gekommen. Nachdem sich sowohl die frühere schwarz-gelbe als auch jetzige Bundesregierung jahrelang um eine Entscheidung gedrückt haben. Den nötigen Leidensdruck erzeugte schließlich die Erdgasindustrie, indem sie Deutschland mit teuren Schadenersatzklagen drohte, nachdem sie fünf Jahre stillgehalten hat und viele Projekt ruhen ließ.

Dann ging alles plötzlich sehr schnell. Der Bundestag beschloss am Freitag ein Gesetz, das eine Schiefergasförderung nach amerikanischem Vorbild in Deutschland vorerst verbietet. Erlaubt bleibt Fracking in der normalen Gasförderung. Ein guter Kompromiss, der Rechtssicherheit schafft für Industrie und Behörden, die solche Vorhaben prüfen müssen. Gut auch für Bewohner betroffener Gebiete. Sie müssen sich vorerst keine Sorgen machen, dass die Landschaft mit Bohrtürmen zugesellt wird. Bleibt nur die Frage: Warum hat das so lange gedauert?

Das große Problem der großen Koalition ist, dass ihr der Mut zum Entscheiden fehlt. Zugleich fehlt ihr die Bereitschaft, ihr Zaudern plausibel zu erklärten.

Das macht nicht nur das zähe Ringen um Fracking deutlich. Einer anderen wichtige Entscheidung ist die Bundesregierung am Freitag zum wiederholten Mal ausgewichen. Anstatt klar für oder gegen den Unkrautvernichter Glyphosat zu votieren, enthielt sich Deutschland auf EU-Ebene der Stimme. Das ist nicht nur peinlich, weil die Risikoanalyse dafür von deutschen Behörden stammt, sondern auch ein fatales Signal nach außen. Wenn die deutsche Regierung scheinbar kein Vertrauen in das Urteilsvermögen ihrer eigenen Ämter hat, warum sollten es dann die anderen EU-Länder haben? Auch hier drohen Schadenersatzklagen, nämlich die der Pestizidhersteller, die zu Recht eine Entscheidung fordern.

Die Regierung hat lange die Ängste vieler Bürger nicht ernst genommen

Fracking, Glyphosat und auch das Freihandelsthema TTIP sind heikle Themen, die in der Bevölkerung kritisch diskutiert werden. Auch weil sie mit unwägbaren Risiken verbunden sind, die viele Menschen schlecht einschätzen können. Nicht nur weil ihnen das Wissen fehlt, sondern oft auch die notwendigen Informationen. Das notwendige Fachwissen kann sich jeder aneignen, für Transparenz aber muss die Politik sorgen. Gerade das haben die Regierenden in Berlin in den vergangenen Jahren sträflich vernachlässigt. Teile der Risikobewertung von Glyphosat sind bis heute unter Verschluss, nach wie vor steht der Verdacht im Raum, der Stoff könnte Krebs auslösen. Abgeordnete müssen sich in hochgesicherten Leseräumen mühsam durch TTIP-Unterlagen quälen, und selbst dieses Recht mussten sie erst erkämpfen.

Die große Koalition hat die Ängste vieler Menschen lange nicht ernst genommen. Sie hat es auch versäumt, Antworten auf Fragen zu geben, die viele Menschen umtreiben. Das schadet der Wirtschaft und untergräbt das Vertrauen in die Politik. Bürger haben ein Recht auf Transparenz und Aufklärung. Eine Regierung, die wichtige Entscheidungen immer wieder auf die lange Bank schiebt und sich nicht einmal auf eine gemeinsame Linie bei einem Pestizid einigen kann, liefert eine jämmerliche Vorstellung ab.

© SZ vom 25.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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