Gipfelstürmer:Das Leuchten der Frische

Lesezeit: 3 min

Freshdetect hat ein Handgerät entwickelt, das in Sekunden die Qualität von Fleisch prüfen kann. Das System könnte Lebensmittelkontrollen schneller machen.

Von Simone Boehringer, München

Es ist eine Vision, die praktisch jeden angeht. Zumindest jeden Verbraucher, der regelmäßig oder auch nur ab und zu Fleisch einkauft. "Wir wollen den Standard setzen für die Frischekontrolle bei Fleisch", erklärt Oliver Dietrich, "mit einer zuverlässigen Alternative zu den zeitaufwendigen Labormethoden". Große Worte, denen der Vorstandschef des Pullacher Unternehmens Freshdetect ein kleines Gerät folgen lässt. Ein Handgerät, das in Größe und Form an die Handhelds von Bahnschaffnern oder von Kellnern erinnert, wenn sie abkassieren wollen.

Aber das ist gar nicht Dietrichs Ansinnen. Freshdetect will nicht kassieren, sondern messen und prüfen. Ein Gerät mit dem etwas sperrigen Namen BFD-100 misst die Gesamtkeimzahl in rohem Fleisch. Bisher müssen für solche Messungen Laborproben entnommen werden. Bis die Ergebnisse vorliegen - oft erst nach einigen Tagen - ist das entsprechende Fleisch schon verzehrt.

Freshdetect nimmt für sich in Anspruch, ähnlich zuverlässige Ergebnisse bei der Frischekontrolle zu liefern wie die Kollegen mit der Petrischale - aber binnen weniger Sekunden. Wie das funktioniert? Mit einem optischen Verfahren. Dazu wird ein kleiner runder Messkopf mit speziellen Leuchtdioden direkt auf das rohe Fleisch aufgesetzt. Ähnlich wie Laserpointer leuchten diese die Fleischoberfläche an. Unter dieser speziellen Bestrahlung, dem sogenannten Fluoreszenzlicht "antworten die Fleischoberfläche und auch die Stoffwechselprodukte der Bakterien sozusagen wiederum mit Licht", erklärt Dietrich. Ein Spezialsensor nehme die Daten auf, die dann ein Bild über den mikrobiologischen Zustand des untersuchten Fleisches wiedergeben, und vergleiche sie mit den Werten aus Laborproben derselben Fleischarten in der Datenbank.

Alternative zur Petrischale? Ein neues optoelektronisches Gerät misst die Keimzahl im Fleisch, daraus sollen Profis dann sofort die Frische ableiten können. (Foto: FreshDetect)

Das Ganze läuft über Algorithmen, weshalb die Firma neben Chemikern, Mikrobiologen und einem Veterinär auch Techniker und Informatiker beschäftigt. Jeweils mehr als 1000 Laborwerte lägen vor zu Hackfleisch und Schweinelachs; und: "Das ist erst der Anfang", verspricht Dietrich. "Wir können in Zukunft auch weitere Teilstücke vom Schwein, Rind, Geflügel, Fisch sowie später auch Gemüse oder Salat mit dieser Methode analysieren."

Wenn das alles so klappt, könnte man vermuten, das 20 Mitarbeiter kleine Team im zweiten Untergeschoss des zentral gelegenen Altbaus im Pullacher Isartal arbeite an nicht weniger als einer kleinen Revolution. Einer Revolution für die Lebensmittelindustrie. Wie gesagt, wenn alles so klappt und nicht vorher noch ein schnellerer Wettbewerber um die Ecke kommt.

Man stelle sich vor: Ein Besuch im Supermarkt, und statt des mehr oder weniger geübten Blickes auf die Waren im Fleischregal folgt ein Griff zu einem Messgerät, mit dem die Kunden selbst die Frische der ausgelegten Fleisch- und Wurstwaren testen können. "Soweit sind wir noch nicht ganz", bremst Dietrich, "aber wir arbeiten daran, dass unsere Meßmethode auch durch gängige transparente Verpackungen hindurch funktioniert". Seit Juli ist das BFD-100-Gerät "in Serienreife", so der Firmenchef, nun beginne die Überzeugungsarbeit bei potenziellen Kunden.

Zum dritten Mal zeichnet der Wirtschaftsgipfel der Süddeutschen Zeitung mit dem Start-up-Wettbewerb „Gipfelstürmer“ die besten Gründer aus Deutschland aus. Die Ausschreibung läuft bis zum 31. August. Eine Jury aus Mitgliedern der SZ-Wirtschaftsredaktion wählt aus allen Bewerbern die sechs Finalisten aus. Diese dürfen im November am SZ-Wirtschaftsgipfel in Berlin teilnehmen und dort ihre Firma vorstellen. Die Teilnehmer des Gipfels küren den Sieger. Einzelheiten und Bewerbungen: www.sz-wirtschaftsgipfel.de/gipfelstuermer. SZ (Foto: SZ-Grafik)

Und er selbst? Dietrich ist der studierte Betriebswirt in der Firma, der die Geschäftsidee nach außen trägt. Fünf Jahre Entwicklungsarbeit hat er hinter sich, die einherging mit dem Werben um Investoren. Erst das eigene Geld, mit zwei Partnern zusammen, dann die Familie und Freunde, dann kamen die Profi-Investoren dazu, erzählt er. "Ich habe in den vergangenen Jahren in praktisch jedem Format um Finanzierungsmittel gepitscht, von zwei bis 15 Minuten war alles dabei." Die Marketingtour hat sich offenbar gelohnt: Neben einigen Auszeichnungen bei Business-Plan-Wettbewerben hat Freshdetect auch namhafte Investoren gewonnen, unter anderem Fabian von Kuenheim aus der gleichnamigen Managerfamilie, der auch den Beiratsvorsitz in der Freshdetect GmbH innehat, sowie Bayern Kapital, die für Start-ups relevante Tochter der LfA Förderbank Bayern.

Das Instrument misst die Keimzahl in rohem Fleisch mit optischen Methoden

Dabei hatte der 52-jährige Freshdetect-Chef bis vor fünf Jahren mit der Fleisch- und Lebensmittelbranche wenig am Hut. Dietrich hatte zuvor erst als Unternehmensberater, dann in der Telekommunikations- und Halbleiterbranche im In- und Ausland gearbeitet. Aber wie man kleine Dinge groß macht, vermarktet, das hat Dietrich in seinen früheren Jobs gelernt. "Dann häuften sich in Deutschland plötzlich die Gammelfleisch-Skandale, und die Politik hat Geld locker gemacht für Forschungsprojekte", erinnert er sich. Einer der wichtigsten Aufträge an Universitäten und Forschungseinrichtungen: die Entwicklung neuer Methoden, um gutes von schlechtem Fleisch zu unterscheiden. Die herkömmlichen Labormethoden dauerten zu lange und konnten nur stichprobenartig durchgeführt werden. "Die Zeit war reif für eine Alternative ohne Petrischale", sagt Dietrich.

Und wie geht es jetzt weiter? Weitere Testreihen starten und "Kunden gewinnen entlang der ganzen Kette der Fleischverarbeitung", das sei jetzt sein Job - und nach und nach die Produktpalette erweitern, für die das Unternehmen Messmethoden anbieten kann. Bisher haben sich nach Angaben von Freshdetect etwa 80 Unternehmen für das Messgerät interessiert.

Birgt diese offensive Akquise nicht Angst vor Konkurrenz? Schließlich gibt es schon diverse Messgeräte auf dem Markt, sie messen zum Beispiel den Fett- und Wassergehalt von Lebensmitteln wie Fleisch, auch Infrarotgeräte sind in der Qualitätskontrolle vielfach in Verwendung. Aber da will sich Freshdetect nicht so schnell die Butter vom Brot nehmen lassen. Klar, Dietrich weiß auch, wie mühsam es ist, "alleine den Markt zu beackern". Insofern "wäre Konkurrenz ganz gut, dann kümmert sich noch jemand und das Feld" - und die Revolution kommt dann noch schneller voran.

© SZ vom 13.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: