Gescheiterte Fusion von Daimler und Chrysler:Pleite nach Lehrbuch

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Crysler und Daimler: Aus eine der größten Fusionen der Industriegeschichte wurde eine der größten Pleiten (Foto: dpa)

Vor genau 15 Jahren wurde die Verlobung verkündet. Ihre Fusion feierten Daimler und Chrysler als "Hochzeit im Himmel". Doch nur zwei Jahre später ging die Sache schief und wurde zum Symbol für Größenwahn. Verantwortlich dafür war vor allem eine Person.

Von Karl-Heinz Büschemann

Der Mann war zu frech. Er hatte eine eigene Meinung: Leider die falsche. Thomas Stallkamp, einer der führenden Manager des amerikanischen Autoherstellers Chrysler, der gerade mit Daimler fusioniert worden war, hatte ein paar Ratschläge für seine neuen deutschen Kollegen: Die neuen Partner sollten sich mal auf neue Zeiten einstellen, meinte der Amerikaner. Sie könnten noch einiges lernen von Chrysler: "Sie müssen flexibler sein". sagte er. "Schneller entwickeln, schneller auf Kundenwünsche eingehen, Produkte schneller auf den Markt bringen. Daimler sei viel kleiner als Chrysler und sei nicht so profitabel: "Diesen Unterschied müssen wir überbrücken".

Solche Worte kamen bei Jürgen Schrempp nicht gut an. Der hatte aus den beiden Autobauern Daimler und Chrysler einen neuen Konzern geschaffen. Er wollte eine Welt-AG führen, aber auf keinen Fall war der Deutsche mit dem überbordenden Selbstbewusstsein bereit, sich von einem Amerikaner sagen zu lassen, wie man den neuen Konzern zu führen habe. Schrempp soll dafür gesorgt haben, dass Stallkamp den Konzern bald verließ.

"Wir wollen die Nummer eins werden"

Jürgen Schrempp, der 1995 mit 50 Jahren an die Spitze des damaligen Konzerns Daimler-Benz gekommen war, hatte sich offenbar in den Kopf gesetzt, als Manager in die Geschichte einzugehen, der Maßstäbe setzt. So plante er den Zusammenschluss von Daimler mit dem amerikanischen Anbieter Chrysler. Am 7. Mai 1998, vor genau 15 Jahren, traten er und Chrysler-Chef Bob Eaton in London vor die Medien. "Das wird eines der innovativsten Unternehmen, das die Welt je gesehen hat", dröhnte Schrempp. "Und eines der rentabelsten." Andere hielten den Zusammenschluss über den Atlantik hinweg für eine Schnapsidee. Luxusautos und Massenfahrzeuge passten nicht zusammen, sagten sie.

Schrempp wischte alle Einwände weg: "Wir wollen die Nummer eins werden", sagte er unbescheiden. Die Amerikaner sollten den Daimler-Absatz in den USA fördern, die Schwaben dem Verkauf von Chrysler in Europa auf die Beine helfen. Gemeinsam werden die Firmen mit einer Produktion von insgesamt 3,6 Millionen Fahrzeugen die Nummer fünf in der Rangliste der größten Autokonzerne, hinter General Motors, Ford, Toyota und dem Volkswagen-Konzern.

"Unternehmensehe wurde im Himmel geschlossen"

Das neue Unternehmen war mit einem Umsatz von damals 234 Milliarden Mark der drittgrößte Autokonzern der Welt, der doppelt soviel Geld einnahm wie der VW-Konzern (113 Milliarden Mark). "Diese Unternehmensehe wurde im Himmel geschlossen", sagte Schrempp und wurde zum Schöpfer eines geflügelten Wortes. Es fliegt ihm noch heute um die Ohren.

Die Partner begannen zu streiten. Aus einer der wichtigsten Fusionen in der Industriegeschichte war eine der größten Pleiten geworden, die 2007 mit der Scheidung endete. Der Name Schrempp, steht seitdem als Synonym für das Scheitern eines Managers, der mit kernigen Sprüchen die alten Gesetze der provinziellen deutschen Wirtschaft aushebeln wollte und heute in den Lehrbüchern als Beispiel dafür dient, wie man eine Fusion nicht machen sollte. "Für mich zählt vor allem eines: Profit, Profit, Profit", war Schrempps Credo. Am Ende wurde er von Verlusten verschüttet.

Wie trunken schob sich der Macher durch die feuchtfröhlichen Gästereihen, als er im November 1998 in der Frankfurter Börse und ein paar Stunden später an der New Yorker Wall Street die neue Daimler-Chrysler-Aktie einführte. Sein breites Lächeln, das krachende Schulterklopfen sagten alles: Hier ist einer, der ein neues Zeitalter begründet. Schrempp war so stolz auf sein Fusionswerk, dass er einen Journalisten vom Wall Street Journal dazu brachte, ein Buch über den Architekten zu schreiben. Das Werk hat auf den Deutsch den für Schrempp schmeichelnd-schönen Titel: "Die Stunde des Strategen". Wann werde es möglich sein, den Erfolg der Fusion zu beurteilen, wurde er im Trubel gefragt. Die überraschende Antwort: "Nach zwei Jahren."

Es dauerte keine 24 Monate, da bettelte das amerikanische Wirtschaftsmagazin Forbes schon: "Befreit Chrysler." Die Sache war sauer gelaufen. Der Kulturkampf zwischen Germanen und Amerikanern tobte. Der Aktienkurs fiel. Zu groß waren die Unterschiede. Daimler war ein knochenkonservatives deutsches Traditionsunternehmen, das Wohlhabende belieferte. Chrysler war dreimal so groß, baute Autos für ganz andere Kunden. Die amerikanischen Manager in Detroit waren ständig damit beschäftigt, die nächste Krise zu überstehen. Die Autos des neuen Daimler-Partners waren in den USA nur aufgefallen, weil sie nicht ganz so langweilig daherkamen wie die plüschigen Kutschen der Konkurrenten General Motors oder Ford.

Die Deutschen hatten Angst

Zwischen Deutschen und Amerikaner passte vieles einfach nicht zusammen. So galt bei Daimler die oberste Regel: Das Beste ist gerade gut genug. Bei Chrysler wurden dagegen aus Kostengründen pausenlos Kompromisse zu Lasten der Qualität gemacht. Auch die erwarteten Synergien stellten sich nicht ein: Die Daimler-Ingenieure trauten den Chrysler-Kollegen nicht zu, gute Autos zu bauen. Die Amerikaner belächelten die Behäbigkeit der Teutonen, bemängelten, dass die Deutschen weniger profitabel waren als sie. Sollten Mercedes-Teile in die Chrysler-Modelle eingebaut werden? Das hätte die Autos der Amerikaner verteuert. Chrysler-Teile in Mercedes-Karossen? Damit litte die Qualität.

Die Deutschen hatten Angst, von dem viel größeren amerikanischen Partner dominiert zu werden. Die Chrysler-Seite fürchtete die Germanisierung. Schon ein Jahr nach der Ankündigung des Zusammenschlusses hatte ein halbes Dutzend Topleute das Unternehmen verlassen. Das Tagesgeschäft war ein Alptraum. Ein Airbus wurde angeschafft, um die pendelnden Manager über den Atlantik zu schaffen. Alle zwei Wochen war Vorstandssitzung in New York.

Doch das beiderseitige Misstrauen blieb. Schrempp ließ die Amerikaner gewähren. Lange traute er sich nicht zu sagen, dass die Stuttgarter die Führung wollen. Nach zwei Jahren schickte er seinen Vertrauten Dieter Zetsche als Filialleiter nach Detroit. Die von Schrempp gepflegte Lebenslüge vom Zusammenschluss unter Gleichen war damit beendet.

Die Management-Kapazitäten reichten nicht

Chrysler war zum Verlustbringer geworden, der keine zwei Jahre nach der Hochzeit einen Jahresverlust von 5,2 Milliarden Euro machte. Schrempp hatte 38 Milliarden Mark für ein Unternehmen ausgegeben, das offenbar nicht halb so gut war, wie er geglaubt hatte. "Wir haben einen Rostladen gekauft", gestand später ein führender Daimler-Manager ein.

Die Management-Kapazitäten reichten nicht. Das Stuttgarter Strategen kümmerte sich nun vornehmlich um den amerikanischen Patienten. Mit Folgen. Schon bald ging es Daimler schlecht. Es kam zu spektakulären Rückrufaktionen für die Autos mit dem Stern. Qualitätsprobleme bei Mercedes! Ein Unding. Am 28. Juli 2005 tritt Schrempp zurück. Die Börse zeigte gnadenlos, was sie von ihm hielt: Der Daimler-Chrysler-Aktienkurs schoss um zehn Prozent in die Höhe. Später rechneten die Unternehmensberater von McKinsey vor, welcher Wert unter der Regie von Schrempp vernichtet wurde: 74 Milliarden Dollar.

© SZ vom 07.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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