Geldwerkstatt:Klassenkampf

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Weltweit sind mehr als fünf Billionen US-Dollar in ETFs angelegt. Fondsmanager finden das gar nicht gut. Ihrer Ansicht nach gefährdet passives Investieren den Kapitalismus. Stimmt das?

Von Nils Wischmeyer, München

Angefangen hat alles mit einer Spinne, oder genauer gesagt mit einer SPDR. Das war der Name, den der Erfinder Steven Bloom seinem neuen Finanzprodukt vor mehr als 20 Jahren gab und der sich englisch ausgesprochen anhört wie Spider. Heute krempelt es den Finanzmarkt um und die ganze Welt kennt es unter seiner Abkürzung: ETF. Im englischen steht das für Exchange Traded Fund, zu Deutsch: börsengehandelter Fonds.

Seit dem Start 1993 ist aus der Spinne eine gigantische Erfolgsgeschichte geworden. SPDR allein verwaltet heute mehr als 300 Milliarden US-Dollar. Ende Januar verkündete das Analysehaus ETFGI aus London, dass weltweit erstmals fünf Billionen US-Dollar in ETFs und Produkten, die damit zusammenhängen, liegen. Es ist nur der letzte von vielen Rekorden, den die passiven Anlagen in den vergangenen Jahren gebrochen haben. Ein Ende dieser Entwicklung ist derzeit nicht in Sicht - und das macht vielen Fondsmanagern zusehends Angst.

Mithilfe der ETFs können Privatanleger ihr Geld an der Börse zu Konditionen anlegen, die sonst nur reiche Großanleger bekommen. Einen ETF muss man sich dabei wie einen großen Korb voller Aktien vorstellen. Als Anleger kann man nun Teile des ETF kaufen und bekommt dafür anteilig Aktien aus dem Korb. Anleger müssen ihr Geld also nicht in eine einzige Aktie stecken, sondern investieren immer in viele verschiedene Titel. Der ETF zeichnet dann in seinem Wert immer genau die Wertentwicklung der Aktien nach, die im Korb liegen. Mittlerweile gibt es zahllose Indizes, die die ETFs abbilden, darunter etwa den Deutschen Aktienindex oder den US-Aktienindex S&P 500. Der zusätzliche Vorteil bei einem ETF ist es, dass er an der Börse gehandelt wird. Anleger können ihn also jederzeit abstoßen und nicht nur am Ende eines Handelstages.

Börsenhandel an der New York Stock Exchange. (Foto: Eduardo Munoz Alvarez/Getty Images/afp)

Private Investoren schätzen die Geldanlage, weil sie viel günstiger ist als ein Fonds, der von einem Manager aktiv betreut wird. Für Privatanleger ist die Idee von Bloom ein Geschenk. Für Fondsmanager ist sie hingegen eine riesige Bedrohung.

Umso größer das Volumen der ETFs wird, umso besorgter äußern sie sich. Paul Singer, der Gründer von Elliot Management, einem der größten Hedgefonds der Welt, schrieb über die ETFs im vergangenen Jahr in einem Brief an seine Investoren: "Passives Investieren läuft Gefahr, den Kapitalismus zu verschlingen." Inigo Fraser-Jenkins, Stratege bei Sanford C. Bernstein & Co, nannte das Passive Investieren "schlimmer als den Marxismus". Für sie erhöhen ETFs die Volatilität, verstärken Kursstürze und machen den Markt ineffizient.

Die Debatte wurde teilweise so heftig geführt, dass sich sogar die Aufsichtsbehörden einschalteten. In den USA veranstaltete die "US Securities and Exchange Commission" im vergangenen Jahr einen Workshop mit Wissenschaftlern, Analysten und sonstigen Experten, um mögliche Risiken der ETFs zu diskutieren. Mit den neuen Rekordzuflüssen in die Fonds und gleichzeitig Kursabstürzen an den Börsen, wird diese Debatte nun neu entfacht. Doch sind die passiven Investments so gefährlich, wie Sanford C. Bernstein & Co behaupten? "Nein, auf keinen Fall", sagt Ali Masarwah, Chefredakteur der Fondsratingagentur Morningstar. "In meinen Augen ist das Propaganda von einigen Fondsmanagern, die sehen, dass ihr Geld in Richtung passives Investment abfließt. " Allein ein Größenvergleich zeige schon, dass ETFs gar nicht systemgefährdend sein können. In Europa liegt der Marktanteil von ETFs etwa trotz der Erfolgsgeschichte bei 6,9 Prozent des gesamten Fondsmarkts. Dominanz sieht anders aus.

Niedrige Zinsen, hohe Unsicherheit - wie soll man da noch sein Geld investieren? In der "Geldwerkstatt" erklären wir aktuelle Fragen zur Geldanlage. (Foto: SZ-Grafik)

Auch Lutz Johanning, Inhaber des Lehrstuhls für Empirische Kapitalmarktforschung an der WHU Otto Beisheim School of Management, kann die Sorgen nicht teilen. Er sieht ETFs als wichtige und richtige Ergänzung am Finanzmarkt, die es Privatanlegern ermöglicht, ihr Geld besser anzulegen. "Mir ist keine Studie bekannt, die die börsengehandelten Fonds untersucht hat und sie als ernsthafte Bedrohung einschätzt", sagt Johanning.

Das heißt aber nicht, dass ein börsengehandelter Fonds ein unfehlbares Produkt wäre. Gerade seine Rolle bei Kursstürzen ist umstritten. Als Anfang des Jahres die Kurse des US-Aktienindizes S&P 500 um zeitweise mehr als 1000 Punkte fielen, hatten viele die ETFs in Verdacht. Denn die börsengehandelten Fonds sind immer in vielen verschiedenen Aktien investiert. Ziehen die Anleger Geld ab, verliert nicht nur eine Aktie, sondern der ganze Index. Und tatsächlich sind offenbar Milliarden von Dollar aus den passiven Investments abgeflossen, wodurch die Fonds die Aktien der Unternehmen auf den Markt werfen mussten. In der Folge könnte das die Kurseinbrüche verstärkt haben. Es wäre der Effekt, vor dem viele Fondsmanager immer gewarnt haben. Experte Johanning allerdings winkt ab. Er geht davon aus, dass automatische Verkäufe den Kurssturz verstärkt haben. "Wenn viele Investoren gleichzeitig verkaufen, kann das zu Kursstürzen führen. Dann ist es aber egal, ob die Investoren Aktien, Investmentfonds oder ETFs verkaufen. Letztlich kommt es also darauf an, was die Anleger machen", sagt der Professor von der WHU Otto Beisheim School.

Ein weiterer Kritikpunkt am passiven Investment ist, dass Märkte durch solche Produkte ineffizient werden. Wenn alle nur noch ETFs kaufen, fließt immer mehr Geld in die Indizes, die daraufhin steigen, woraufhin wieder mehr Geld in sie fließt. Es wäre ein ewiger Teufelskreis, der schnell eine Blase kreieren könnte. "Das ist ein Risiko, das nur in der Theorie existiert", sagt Masarwah von Morningstar. Es werde immer aktive Manager geben, die ihre Chance darin sehen, genau gegen solche Entwicklungen zu wetten oder ihre Anteile abstoßen, weil Aktien im Verhältnis zu teuer werden. "Da wird es eine Balance geben. Bis der Markt tatsächlich ineffizient ist, wird es ewig dauern, und selbst das kann man nur schätzen", sagt Marsawah. Bis es soweit ist, muss das Ende des Kapitalismus wohl noch warten.

© SZ vom 05.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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