G-20-Gipfel:Der Kraftakt

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In der G-20-Gruppe suchen die wichtigsten Volkswirtschaften nach Lösungen für die ganz großen Probleme. Jetzt übernimmt Deutschland die Präsidentschaft.

Von M. Balser, M. Bauchmüller und C. Gammelin, Berlin

In der kommenden Woche geht es in Berlin um die ganz großen Menschheitsprobleme: Hochrangige Unterhändler aus 19 Staaten kommen zu Gesprächen in die Stadt. Die Bundesregierung hat dazu eingeladen; sie hat vorigen Donnerstag für ein Jahr die Präsidentschaft der G 20 übernommen, jenes Gremiums, in dem sich die 20 mächtigsten Volkswirtschaften der Welt abstimmen, wie die Finanzmärkte stabil gehalten, das Klima geschützt, Pandemien vorgebeugt oder Fluchtursachen bekämpft werden können. Sie versuchen, sich auf gemeinsame Ziele zu einigen - und genau das ist im Jahr der deutschen Präsidentschaft besonders schwer. Es fängt schon damit an, dass nicht abzuschätzen ist, wer demnächst am G-20-Tisch sitzen wird. In einigen europäischen Staaten wird erst noch gewählt, der künftige US-Präsident Donald Trump ist eingeladen, hat aber noch nicht zugesagt.

Weil die politische Unsicherheit so groß ist wie seit der Gründung der G 20 im Jahr 1999 nicht mehr, hat sich die deutsche Präsidentschaft umso akribischer auf die Themen vorbereitet, die in der aktuellen weltpolitischen Versuchsanordnung besprochen werden sollen. Die Bundesregierung hat sich ein Motto ersonnen, das irgendwie auf alles Absehbare und Unabsehbare gleichermaßen passt: "Eine vernetzte Welt gestalten". Und natürlich gibt es ein passendes Symbol, was freilich vor allem Segler ansprechen und andere eher ratlos zurücklassen dürfte: ein in bunten Linien gehaltener Kreuzknoten. Der Segler nutzt ihn, um damit zwei gleichstarke Seilenden zu verbinden.

Doch die Bundesregierung wird im Kreis der G 20 vor allem Unterschiedliches zu verbinden haben. In einigen Bereichen will sie deutlich andere Akzente setzen als der künftige US-Präsident Trump, der etwa in seiner Handels- und Wirtschaftspolitik den US-Interessen klar Vorrang geben will und protektionistische Maßnahmen befürwortet. In vielen Themen allerdings belässt es die Bundesregierung bei allgemeinen Absichtserklärungen. Für alles Inhaltliche gilt gleichermaßen, dass heute nicht absehbar ist, ob und welche Verbündeten am die Tisch der G 20 die Bundesregierung unterstützen oder mit ihr für Kompromisse werben werden. Ein Überblick.

Thema Steuertricks

Wer hier einen konkreten Aufschlag der Bundesregierung für mehr Steuergerechtigkeit, gegen Dumping oder für mehr Transparenz erwartet hat, wird enttäuscht. Auf ganzen acht Zeilen fasst die Bundesregierung in ihrem zehnseitigen G-20-Schwerpunktpapier frühere Absichtserklärungen der internationalen Gemeinde zusammen. Man wolle weiter daran arbeiten, Transparenz, Fairness und Verlässlichkeit der nationalen Steuersysteme weltweit zu erhöhen, Steuerehrlichkeit fördern und die internationale G-20-Agenda fortführen. Schließlich soll darüber geredet werden, welche Auswirkungen die digitale Wirtschaft auf die Besteuerung hat. Die simple Wiederholung der früheren Absichtserklärungen ist der kleinste gemeinsame Nenner, den die Bundesregierung im Kreise der G 20 für konsensfähig hält - und selbst der dürfte nach Stand der Dinge für Trump noch bei Weitem zu groß sein.

Wohin mit der Globalisierung?

Interessant ist, dass die Begriffe "Welthandel" oder "Freihandel" in dem Schwerpunktpapier gar nicht vorkommen. Gleich zu Anfang des Abschnittes zu Handel und Investitionen heißt es lediglich: "Handel und Investitionen sind wichtige Triebfedern für das Wirtschaftswachstum." Es ist ein Satz, den jede Regierung auf ihre Weise auslegen und unterschreiben kann. Immerhin reklamiert die Bundesregierung Handlungsbedarf, um den "wachsenden Bestand und den jüngsten Anstieg der Zahl neuer protektionistischer Maßnahmen" einzudämmen. Mindestens soll die G 20 "eine Diskussion zu den Chancen und Risiken der Globalisierung anstoßen". Vor dem Hintergrund zunehmender Skepsis gegenüber grenzüberschreitendem Handel und offenen Märkten müsse sich die G 20 gemeinsam stärker bemühen, die konkreten Vorteile von "Handels- und Investitionsoffenheit" den Bürgern zu vermitteln.

Mehr Nahrung mit weniger Wasser

Als erste Ministergruppe kommen am 22. Januar die Agrarminister in Berlin zusammen. Das Treffen gilt als heikel. Die Interessen gehen auf dem hart umkämpften Weltmarkt weit auseinander. So fordern Schwellenländer leichteren Zugang zu europäischen Märkten. Umgekehrt wünschen sich europäische Länder bessere Absatzmöglichkeiten. Auch um Handelsabkommen wie TTIP gibt es Streit. Amerikanische und deutsche Unterhändler lagen etwa beim Schutz der regionalen Herkunft von Produkten meilenweit auseinander.

Um hier weiterem Streit aus dem Weg zu gehen, hat Agrarminister Christian Schmidt (CSU) den Wassermangel auserkoren, über dessen Beseitigung er mit seinen G-20-Kollegen reden will. Wassermangel betrifft Industrie- wie Schwellenländer gleichermaßen. Die Landwirtschaft verbraucht global etwa 70 Prozent des Süßwassers. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen steigt der weltweite Bedarf an Agrarprodukten bis zum Jahr 2050 um bis zu 70 Prozent. Der Wasserbedarf wächst damit in problematische Dimensionen. "Wasser wird zu einem immer knapperen Gut", warnt Schmidt. "Die Landwirtschaft steht vor der Aufgabe, mehr Lebensmittel mit weniger Wasser zu produzieren." Am Ende des Ministertreffens soll bestenfalls eine gemeinsame Position zum Schutz der Ressource stehen.

Das Klima und Trump

Was den Kampf gegen die Erderwärmung angeht, sitzen im Kreis der G 20 ebenfalls die Richtigen beisammen. Gemeinsam kommen die 20 auf mehr als drei Viertel der globalen Treibhausgasemissionen. Auch beim Treffen in Hamburg sollen Klima und Energie deshalb eine gewichtige Rolle spielen - schon weil die Gastgeberin bei dem Thema einen Ruf zu verlieren hat. Bei ihren beiden Gipfeln der Industriestaaten-Gruppe G 7/G 8 in Heiligendamm und Elmau jedenfalls präsentierte sich Angela Merkel stets als Kämpferin für den Klimaschutz. Ob ihr das diesmal gelingen wird?

Die große Unbekannte ist auch hier Donald Trump. Bisher hat er noch nicht klar gemacht, was mit dem Klimaschutz unter seiner Führung passieren soll. Das Pariser Abkommen will er sich erst einmal ganz genau anschauen. Damit aber könnte der Gipfel in Hamburg auch eine Art Showdown für seine Klimapolitik werden. Denn welche Bekenntnisse zum Klimaschutz am Ende im Schlussdokument bleiben werden, wird maßgeblich von den USA abhängen. Gut möglich, dass Trumps Abkehr vom Klimaschutz dort erstmals manifest wird. Einzelnen Teilnehmern im Kreis der G 20 dürfte das nicht unrecht sein - etwa dem Öl-Königreich Saudi-Arabien, seit jeher kein Freund wirksamer Klimapolitik. Auch manch andere Initiative stünde damit in Frage: Etwa der Versuch, das Finanzmarkt-Risiko Erderwärmung rechtzeitig abzuwenden. Seit Jahren geht das Finance Stability Board der G 20 der Frage nach, wie sich fossile Investitionen rechtzeitig umschichten lassen, ehe sie durch entschiedenen Klimaschutz entwertet werden. Das Gleiche gilt für Subventionen in fossile Energie. Gipfel um Gipfel verlangt den Ausstieg aus künstlich niedrig gehaltenen Preisen für Kohle und Öl. Dies abermals zu verankern, dürfte mit Trump schwieriger werden als mit Barack Obama.

Afrika helfen

Für die Bundesregierung hat die Entwicklungshilfe mit der Flüchtlingskrise einen ganz neuen Stellenwert bekommen. Es geht nicht mehr allein ums gute Gewissen, auch nicht nur um die Verantwortung für den Nachbarkontinent Afrika - sondern um die ganz konkrete Vermeidung von Fluchtursachen. Deswegen sollen die G 20 in Hamburg ihre "Partnerschaft mit Afrika" vertiefen. Was das konkret bedeuten wird, bleibt aber offen. So ist unklar, welche Staaten in den Genuss welcher Hilfen kommen könnten, und von wem genau. "Grundsätzlich ist es der richtige Weg, in afrikanischen Ländern Perspektiven zu schaffen", sagt Stephan Exo-Kreischer, Deutschland-Chef der Entwicklungsorganisation One. Allerdings dürften die G-20-Staaten ihre Kooperationen nicht auf die "development darlings" beschränken. Das sind Staaten, die verhältnismäßig gut entwickelt sind und dadurch auch für ausländische Investoren zunehmend attraktiv werden. "Gerade die Länder, die am wenigsten entwickelt sind, benötigen Unterstützung", sagt Exo-Kreischer.

Den Ärmsten könnten dabei Pläne zugutekommen, stärker die Ernährungssicherung zum G-20-Thema zu machen. Daneben gibt es eine Reihe loser Enden, die sich beim Gipfel in Hamburg verknüpfen lassen. Etwa das Bekenntnis der Staatengemeinschaft zur nachhaltigen Entwicklung, die "Agenda 2030", verabschiedet im vorigen Jahr. Bislang gibt es hier viele Ziele, aber noch wenig Konkretes. Und auch Standards für globale Lieferketten, also die Durchsetzung von menschenwürdigen Arbeitsbedingungen in allen Stufen der Wertschöpfung, sind bisher nur Theorie.

Resistenzen ohne Grenzen

In der vernetzten Welt kennen Viren keine Grenzen, so wenig wie Keime, die auf kein Antibiotikum mehr ansprechen. Schon beim vorigen Gipfel im chinesischen Hangzhou hatte sich die Bundesregierung dafür eingesetzt, das Thema auf die Tagesordnung zu holen. Im Juli soll es nun noch prominenter werden. So soll etwa die Weltgesundheitsorganisation berichten, was sich gegen Antibiotika-Resistenzen machen lässt. Auch sollen sich die G 20 dafür stark machen, durch funktionierende Gesundheitssysteme den Ausbruch von Pandemien zu verhindern. Zwar hatte die Staatengemeinschaft schon aus der Ebola-Krise Konsequenzen gezogen. Deren Umsetzung soll nun überprüft werden.

© SZ vom 05.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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