Frühjahrsgutachten:Wirtschaftsinstitute kritisieren Politik massiv

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Einkaufen für Deutschland: Passant mit Tragetasche in Schwarz-rot-gold. (Foto: Ralf Hirschberger/dpa)

Trotz der ausgezeichneten Konjunktur brauche es endlich Reformen, vor allem der Einkommensteuer und Rente.

Von Guido Bohsem, Berlin

Die Lage ist nicht nur gut, sie ist sogar sehr gut. Folgt man dem Frühjahresgutachten der führenden Wirtschaftsforscher, boomt das Land auch weiterhin. Die Wirtschaftskraft wächst moderat, aber stetig. Die Zahl der Beschäftigten klettert auf neue Rekordhöhen. Die Rentner erhalten deutlich mehr Geld, die Arbeitnehmer ebenso und das alles bei einem geringen Anstieg der Preise. Die Deutschen kaufen so viel wie selten zuvor und der Staat verzeichnet weiterhin satte Überschüsse - trotz enormer Flüchtlingszahlen und damit verbundenen hohen Ausgaben.

Und doch zeigen sich die Experten in ihrem Gutachten, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt und das an diesem Donnerstag veröffentlicht werden soll, nicht zufrieden. Sie fragen: Warum wächst die Wirtschafts bei diesen guten Voraussetzungen eigentlich nur um 1,6 Prozent in diesem und 1,5 Prozent im nächsten Jahr? Und die Antwort liefern sie gleich mit. Es liegt an der Politik der Bundesregierung. Diese setzte die Prioritäten in der Wirtschaftspolitik falsch. Ihr Kurs sei nur wenig wachstumsorientiert und konzentriere sich zu sehr darauf, Wahlgeschenke zur verteilen.

Doch von vorne: Die Vorhersagen der Forschungsinstitute könnten nicht besser sein. Sie loben die Lage auf dem deutschen Arbeitsmarkt, die sich ihrer Einschätzung nach noch einmal deutlich verbessern wird. Die Zahl der Arbeitslosen soll demnach 2016 abermals sinken und zwar auf 2,737 Millionen (6,2 Prozent). Die Institute korrigieren damit ihre eigene Schätzung aus dem vergangenen Oktober, als sie noch mit gut 140 000 Arbeitslosen mehr gerechnet hatten.

Löhne sollen kräftig steigen

Auch für 2017 sind sie optimistisch. Zwar sehen sie einen Anstieg der Arbeitslosigkeit auf 6,4 Prozent. Dieser entsteht dem Gutachten zufolge aber vor allem wegen der Flüchtlinge. Viele von ihnen würden bis dahin anerkannt sein und könnten daher arbeiten. Auch steige die Zuwanderung aus den anderen EU-Staaten weiter an.

Der Arbeitsmarkt verkraftet das mühelos, was sich an der Zahl der Jobs ablesen lässt, die die Forscher prognostizieren. Insgesamt sollen in diesem Jahr 43,5 Millionen Menschen einer Arbeit nachgehen und im kommenden Jahr 43,8 Millionen.

Die niedrige Arbeitslosigkeit und die hohe Nachfrage insbesondere nach Fachkräften wird auch die Löhne weiter kräftig steigen lassen. Die Wirtschaftswissenschaftler rechnen damit, dass jeder Arbeitnehmers 2016 im Durchschnitt mit einem Anstieg seines Bruttolohns von 2,8 Prozent rechnen darf. Im nächsten Jahr soll der Zuwachs bei 2,7 Prozent liegen.

Verbraucher haben mehr Geld für Konsum übrig

Laut Gutachten sind die Bundesbürger zudem in Konsumlaune. 2016 werden sie demnach ihre Einkäufe so stark steigern wie seit mehr als 15 Jahren nicht. Das liege nicht nur an den steigenden Löhnen, sondern auch an der kräftigen Rentenanhebung, die für Mitte des Jahres zu erwarten ist.

Zudem stiegen die Hartz-IV-Sätze, das Kindergeld und das Wohngeld. Befeuert werde die Konsumlaune zudem durch den anhaltend niedrigen Ölpreis. Dadurch bleibt den Verbrauchern mehr Geld übrig, um andere Dinge zu kaufen. Der Konsum wird daher laut Gutachten auch 2017 noch einmal deutlich steigen.

Die öffentlichen Haushalte werden nach Einschätzung der Forscher auch in diesem und im kommenden Jahr Überschüsse von jeweils zehn bis elf Milliarden Euro erzielen - obwohl sie ihre Ausgaben deutliche steigern, um die Flüchtlingssituation zu bewältigen.

Besonders scharf geißeln die Wissenschaftler die Rentenpolitik der Koalition

Hier setzt die Kritik der Forscher an, hier sehen sie den Grund für die mageren Wachstumszahlen. Sie fürchten, dass die Regierung sich es in der guten Lage bequem macht. "Die zukunfts- und wachstumsorientierten Ausgaben des Staates wurden in den vergangenen Jahren in Relation zur Wirtschaftsleistung kaum ausgeweitet", schreiben sie. Zwar sollen die Investitionen des Bundes bis 2017 steigen, doch danach gehen sie wieder zurück.

Insgesamt identifizieren die Wissenschaftler zwei wesentliche Wachstumshemmnisse, die von den Regierungen in Bund und Ländern verursacht worden sind. Das erste heißt Bildung. "Die Ausgaben für Bildung in Deutschland sind gemessen an anderen fortgeschritten Volkswirtschaften auf allen Ebenen des Bildungssystems gering", schreiben sie. Doch nur durch gezielte Qualifizierung lasse sich das Wachstumspotenzial heben. Die Flüchtlingskrise habe diese Notwendigkeit noch verstärkt. Der rasche Erwerb von Sprachkenntnissen und eine gute schulische und berufliche Ausbildung seien Voraussetzungen einer erfolgreichen Integration in den Arbeitsmarkt.

Zum zweiten werfen die Forscher der Politik vor, die Arbeitnehmer und Unternehmen mit zu hohen Steuern und Abgaben zu belasten. Zwar habe es im Bereich der Steuern kleinere Nachlässe gegeben. "An der hohen Abgabenbelastung ändert sich dadurch allerdings kaum etwas, und eine Reform des Einkommensteuertarifs steht derzeit nicht auf der Agenda der Bundesregierung", heißt es im Gutachten.

Die Forscher haben beim Verfassen des Gutachtens die jüngsten Forderungen aus CSU und SPD nach einem höheren Rentenniveau noch nicht gekannt. Sie geißeln sie die Rentenpolitik der großen Koalition besonders scharf. Die Regierung habe der Rentenversicherung bis zum Jahr 2030 Mehrausgaben von 170 Milliarden Euro aufgebürdet und sie fast ausschließlich durch Leistungen der Beitragszahler finanziert. Das sei insofern problematisch, "als schon heute klar ist, dass mit Ende des demografischen Zwischenhochs die Beiträge zur Rentenversicherung deutlich steigen dürften", schreiben sie und fordern die Regierung auf, schnell umzusteuern.

© SZ vom 14.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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