Freihandelsabkommen zwischen USA und EU:Savoir vivre und Esprit sind keine Schweinehälften

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Mehr Wachstum, Wohlstand und Wucht versprechen sich Europa und die Vereinigten Staaten von einem Freihandelsabkommen. Doch nun droht Frankreich mit einem Veto - falls Kultur und Medien nicht ausgeklammert werden. Das gallische Dorf verteidigt sein höchstes Gut, die schönen Künste und savoir vivre, gegen das global-kapitalistische Imperium.

Ein Kommentar von Stefan Ulrich, Paris

Europa und die Vereinigten Staaten wollen ein Freihandelsabkommen schließen, das schönste Hoffnungen weckt: mehr Wachstum, mehr Wohlstand und mehr Wucht, um China & Co. bei der Gestaltung der künftigen Welt etwas entgegenzusetzen. Doch nun setzt Frankreich alles aufs Spiel. Paris kündigt sein Veto gegen die Verhandlungen an, wenn die Kultur und die Medien - vor allem Rundfunk, Kino und Internet - nicht ausgeklammert bleiben. Das gallische Dorf möchte wieder dem Imperium trotzen, das diesmal nicht römisch ist, sondern global-kapitalistisch.

Doch bevor man diesen Widerstand als typische Allüren abtut, sollte man versuchen, ihn zu verstehen. Die Franzosen wissen, dass sie politisch, wirtschaftlich und militärisch keine Weltmacht mehr sind. Kulturell aber genießen sie weiter globale Geltung. Ihre Sprache und ihr Kino, Literatur, Chansons, Mode und Cuisine gedeihen immer noch gut. Das liegt zum Teil daran, dass Paris die heimische Kultur energisch fördert, mit Hilfe von Subventionen, Quoten und Sondersteuern. Darauf will es auf keinen Fall verzichten.

Frankreich definiert sich als große Kulturnation, wobei es unter Kultur nicht nur die schönen Künste, sondern auch savoir vivre, geschärften Schönheitssinn und besonderen Esprit versteht. Andere mögen mehr Atombomben besitzen, Exportweltmeister sein oder das pazifische Jahrhundert einläuten: Die Franzosen trösten sich mit ihrer Kultur und möchten nicht, dass diese künftig wie irgendeine Ware, wie Bohrmaschinen oder Schweinehälften, behandelt wird. Das ist begreiflich und keineswegs anmaßend.

Die EU-Kommission verspricht, sie werde in den Verhandlungen mit den Amerikanern die exception culturelle verteidigen und darauf achten, dass es in Europa weiter öffentlichen Rundfunk, Theatersubventionen, Filmförderung sowie Rundfunkquoten für nationale Produktionen gibt. Doch viele Franzosen trauen der Zusage nicht. Sie fürchten, die Kommission könnte die Kultur am Ende doch auf dem europäisch-amerikanischen Basar verhökern.

Wider die Tyrannei der angelsächsischen Zivilisation

Vor allem das Thema Internet treibt die Regierung in Paris um. Falls der Markt der audiovisuellen Medien transatlantisch liberalisiert wird, könnten amerikanische Giganten wie Google, Yahoo, Facebook oder Amazon noch mächtiger werden und europäische Akteure erdrücken oder schlucken. Auch diese Furcht steckt dahinter, wenn Premier Jean-Marc Ayrault jetzt mit dem Veto wedelt und deklamiert: "Das ist unsere Identität. Das ist unser Kampf."

Der Kulturkampf ist zugleich Ausdruck einer grundsätzlichen Missstimmung. Salopp gesagt, passt vielen Franzosen die gesamte Richtung nicht, in die die Welt und vor allem die EU marschieren. Das lateinisch geprägte Frankreich hat eine andere, skeptischere Einstellung zum Geld als Großbritannien oder Deutschland. Der Siegeszug des globalen Kapitalismus und die Vermarktung fast aller Lebensäußerungen erregen in Frankreich tiefes Unbehagen. Das gilt für die Linke, aber auch für einen beachtlichen Teil der Rechten.

Etliche Franzosen finden, die Globalisierung nutze zwar aufstrebenden Schwellenländern und der Exportnation Deutschland, bringe ihnen selbst aber eher Nachteile. Sie liebäugeln mit einer Rückkehr zu schützenden Grenzen, zu Handelsschranken und zu einem die nationale Wirtschaft protegierenden Staat. Das erklärt, warum die Verheißungen eines transatlantischen Freihandelsvertrages in Frankreich weniger verlockend als anderswo wirken.

"Kultur ist die Widerstandsbewegung gegen die Tyrannei der Zivilisation", hat der deutsche Aphoristiker Georg Christoph Lichtenberg einmal gesagt. Viele Franzosen sehen das genauso - nur dass sie vor Zivilisation noch das Adjektiv "angelsächsisch" setzen.

© SZ vom 14.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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