Freihandelsabkommen TTIP:Zuhören, nicht abnicken!

Das Misstrauen gegen das Freihandelsabkommen mit den USA ist riesig, zeigt eine Befragung der EU-Bürger. Was soll die Kommission jetzt tun? Die Gegner sagen: Ganz einfach, stoppt die Verhandlungen! Zum Glück denkt daran in Brüssel niemand.

Kommentar von Nikolaus Piper

Die Europäische Union hat die kritische Öffentlichkeit um ihre Meinung zum geplanten Freihandelsabkommen mit den USA, bekannt unter dem Kürzel TTIP, gebeten, und sie hat die zu erwartende Antwort erhalten: Fast 97 Prozent der 150 000 Zuschriften waren dezidiert kritisch gegenüber dem Abkommen, wobei die meiste Kritik aus Deutschland, Österreich und Großbritannien kam (Bericht als PDF). Viele Zuschriften waren Massen-E-Mails von Anti-TTIP-Gruppen, was die Aussagekraft der ganzen Aktion ein wenig relativiert. Trotzdem gibt es keine Zweifel: Das Ergebnis der Konsultationen ist ein klarer Erfolg für die Gegner des Handelsabkommens.

Die Anti-Kampagne hat, zumindest bei Deutschen und Österreichern, verfangen. Das Misstrauen in der Bevölkerung ist groß - und es lässt sich offenbar jederzeit mobilisieren. Vor allem die geplante Klausel zum Investorenschutz, nach der ausländische Investoren vor internationalen Schiedsgerichten auf Schadensersatz klagen können, wenn sie sich diskriminiert oder willkürlich enteignet fühlen, beäugen viele mit Skepsis. Kritiker fürchten, mittels dieses Verfahrens könnten ausländische Unternehmen die nationale Politik und nationale Gerichte aushebeln und sich über das Gesetz stellen.

Was aber sollte die EU-Kommission mit dem Ergebnis der Konsultation tun? Die TTIP-Gegner sagen: Ganz einfach, stoppt die Verhandlungen über den Investorenschutz bei TTIP und lasst das ganze Freihandelsprojekt mit den Amerikanern notfalls an dieser Frage scheitern! Zum Glück denkt daran in Brüssel niemand, denn hier geht es um Grundsätzliches: Die TTIP-Gegner haben zwar in einigen EU-Ländern eine beeindruckende Menge von Stimmen mobilisieren können, von einer breiten Opposition in der gesamten EU kann aber keine Rede sein. Es darf nicht sein, dass wohlorganisierte Interessengruppen ein Projekt kippen, von dem sich die Mehrheit der gewählten Regierungen in der Gemeinschaft neue Chancen für Europa hoffen. Das Argument, das Nichtregierungsorganisationen sonst gerne gegen die Wirtschaftslobby geltend machen, es gilt konsequenterweise auch für sie selbst.

EU-Kommission sollte Investorenschutz nicht kippen

Schließlich bekäme die EU international ein massives Glaubwürdigkeitsproblem, würde sie den Investorenschutz einfach aus dem Verhandlungsprogramm streichen. Die Mitgliedsstaaten, allen voran die Bundesrepublik Deutschland, haben Hunderte bilaterale Investorenabkommen abgeschlossen, viele mit Ländern, die nicht im Geringsten demokratisch regiert sind. Und jetzt, wo es darum geht, Unternehmen aus einem Staat zu schützen, der für die Mehrzahl der EU-Mitglieder der wichtigste Verbündete auf der Welt ist, soll das nicht mehr möglich sein? Kein Wunder, dass sich die Regierung in Washington darauf nicht einlässt.

Etwas anderes geht allerdings auch nicht: Die EU-Kommission kann nicht mit großem Aufwand eine Konsultation organisieren und das Ergebnis dann einfach ignorieren. Sie muss die Bedenken ernst nehmen, selbst dann, wenn die meisten Experten sie für grundlos halten, sie darf das Misstrauen nicht weiter schüren. Sie kann zum Beispiel für mehr Klarheit bei dem Thema sorgen. Investitionsschutzabkommen sollen Unternehmen dann, und nur dann schützen, wenn sie in einem anderen Land investiert haben und dort gegenüber einheimischen Konkurrenten diskriminiert werden oder wenn Behörden ihr Geschäft auf willkürliche Weise einschränken. Die Verhandler sollten mit äußerst präzisen Formulierungen dem Missbrauch vorbeugen.

Nimmt man jene Fälle als Maßstab, in denen Regierungen wirklich verurteilt und nicht nur verklagt wurden, etwa im Rahmen des nordamerikanischen Freihandelsabkommen Nafta, so lassen sich vom Investorenschutz bisher kaum Gefahren für den Spielraum demokratisch gewählter Regierungen erkennen. Aber die Dinge ändern sich, Wirtschaftsanwälte lernen dazu, und daher mag es sinnvoll sein, noch mehr zu tun, um sogenannte "leichtfertige Klagen" abzuwehren. Das sind Verfahren, bei denen der Kläger zwar ahnt, dass er vor dem Schiedsgericht keine Chance hat, bei denen er aber darauf setzt, dass ihm die beklagte Regierung entgegenkommt, nur um Ärger und Kosten zu vermeiden.

Auch die Regierung Obama müsste Interesse an mehr Klarheit bei diesem Thema haben. Scheiterten die Verhandlungen am Thema Investorenschutz, dann wäre das eine Blamage und ein schwerer politischer Rückschlag für beide Seiten. Der wirtschaftliche Schaden wäre für die Europäer mit ihrem seit Jahren schwachen Wirtschaftswachstum jedoch am größten.

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