Frankreichs Neuverschuldung:Aderlass eines ausgezehrten Patienten

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Frankreichs Präsident François Hollande hat mit einer neuen Staatsverschuldung und einem stockenden Wirtschaftswachstum zu kämpfen. (Foto: AFP)

Für Hollande persönlich und für Frankreich im Allgemeinen läuft es nicht so. Der Nachbar macht mehr Schulden als erlaubt, die Wirtschaft wächst langsam. Aber soll die EU-Kommission Paris für seine Finanzpolitik bestrafen? Besser nicht.

Kommentar von Stefan Ulrich

Hiobsbotschaften aus Paris gehören diesen Sommer zur Nachrichtenroutine. Erst revoltiert der Wirtschaftsminister, dann muss ein gerade ernannter Staatssekretär wegen Steuervergehen zurücktreten, kurz darauf wird der Präsident in einem Bestseller seiner Ex-Freundin demontiert.

Am Mittwoch folgten zwei weitere Tiefschläge, deren Erschütterungen in Berlin und Brüssel zu spüren sind. Die Regierung gesteht ein: Die Neuverschuldung Frankreichs wird 2014 nicht 4,0 Prozent, wie bislang angekündigt, sondern 4,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen und erst 2017 (statt 2015) auf den EU-Grenzwert von 3,0 Prozent sinken.

Außerdem wächst die französische Wirtschaft dieses Jahr noch langsamer als erwartet, nämlich nur um 0,4 Prozent. Falls sich die in Brüssel vorgestellte neue EU-Kommission ein Antrittsgeschenk aus Paris erhofft hatte, ist es ein vergiftetes geworden.

Frankreichs Mankos sind oft beklagt worden: Sorglosigkeit in der Vergangenheit, Reformscheu, Rückwärtsgewandtheit, Führungsschwäche. Doch wie soll die EU-Kommission, wie soll die Bundesregierung darauf reagieren, dass die Regierung von Präsident François Hollande schon wieder ihre Versprechen bricht?

Überschreitet Frankreich nicht bereits seit 2008 alljährlich die Drei-Prozent-Hürde, die so wichtig für das Vertrauen in den Euro ist? Wurde dem Land nicht mehrfach Aufschub gewährt? Wäre es nicht an der Zeit, die Regierung Hollande beim Wort zu nehmen, Härte zu zeigen und das Land zu bestrafen, wie es der Stabilitäts- und Wachstumspakt vorsieht?

Finanzsanktionen gegen Frankreich wären fatal

Dafür spricht, dass Paris ein schlechtes Beispiel gibt. Wenn die zweitgrößte Volkswirtschaft der EU immer wieder straflos gegen den Pakt verstößt, könnte das kleinere Staaten zu ähnlichen Verfehlungen animieren. Zudem zersetzt das ständige Scheitern vor fest ausgemachten Defizit-Zielen das Vertrauen in die Solidität des Euro-Raums. In Staaten wie Deutschland werden Euro-Skeptiker bestätigt, die behaupten, eine Währungsgemeinschaft mit Schuldenstaaten wie Frankreich oder Italien sei ohnehin Unsinn.

Nur: Falls die EU nun Finanzsanktionen gegen Frankreich einleiten würde, wäre das so sinnvoll wie ein Aderlass bei einem ausgezehrten Patienten. Selbst wenn die Regierung in Paris brachial dazu gezwungen werden könnte, bis 2015 ihren Haushalt zu sanieren und die Defizitgrenze einzuhalten, wären die Folgeschäden wohl fatal. Schon hetzt der rausgeworfene Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg, Deutschland verseuche mit seiner Haushalts-Obsession die europäischen Institutionen. Allzugroße Strenge in Berlin könnte die deutsch-französische Freundschaft gefährden, einen der wichtigsten Erfolge der Nachkriegspolitik.

Zudem droht die sozialistische Regierung von Präsident Hollande zu kollabieren, wenn sie nicht noch mehr Luft bei der Sanierung der Finanzen bekommt. Bei einer Vertrauensabstimmung kommende Woche will sich bereits ein Teil der sozialistischen Abgeordneten enthalten. Wenn es den Franzosen nicht bald ein bisschen besser geht, droht Hollande der Aufstand der eigenen Linken.

Linksradikale Kräfte, in Frankreich traditionell ziemlich stark, dürften zulegen. Vor allem aber wird der rechtsextreme Front National mit seinen antieuropäischen und antideutschen Tönen noch mehr Zulauf bekommen. Was also ist gewonnen, wenn Frankreichs Neuschulden zwar unter drei Prozent sinken, der Front National aber auf mehr als 30 Prozent der Wählerstimmen steigt?

Die EU muss Paris mehr Zeit zum Sanieren geben

Solides Wirtschaften, für das die drei Prozent stehen, ist für Europa wichtig. Politische Stabilität und die Freundschaft der Völker sind es aber auch. Darum dürfen die drei Prozent nicht zu einem Goldenen Kalb werden, dem alles andere geopfert wird. Die EU - und der Partner Deutschland - müssen Frankreich nolens volens noch mehr Zeit zum Sanieren geben. Diese Zeit sollte diesmal so großzügig bemessen sein, dass Paris das Ziel wirklich erreichen kann, auch bei ungünstigen Rahmenbedingungen. Denn niemandem ist geholfen, wenn gute Vorsätze ständig gebrochen werden.

Es bleibt jedoch das Problem, wie garantiert werden kann, dass Frankreich die gewonnene Zeit nutzt, um das anzugehen, was die meisten Wirtschaftsexperten fordern: Reformen, beim Staat, auf dem Arbeitsmarkt, im Steuerrecht, bei der Marktöffnung. Die Gefahr ist groß, dass mehr Zeit den Reformeifer hemmt. Eine der wichtigsten Aufgaben der neuen EU-Kommission wird es daher sein, Frankreich und andere Problemländer streng zu überwachen und sofort Alarm zu schlagen, wenn Reformversprechen gebrochen werden. Ja, das ist schwierig. Unmöglich ist es nicht.

© SZ vom 11.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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