Frankreich:Der Sommer kann kommen

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Emmanuel Macrons Wahlsieg lässt Hoffnungen und Ideen sprießen für Frankreichs Erholung und die Zukunft Europas. Wird dies nicht genutzt, droht ein neues Erstarken der Populisten.

Von Alexander Hagelüken und Alexander Mühlauer, Brüssel/München

Europa bleibt es erspart, dass nach Großbritannien eine zweite Wirtschaftsmacht auf Anti-EU-Kurs geht. Doch in Frankreich stehen jetzt wichtige Reformen an. (Foto: PASCAL ROSSIGNOL/REUTERS)

Das Scheitern Marine Le Pens bei der französischen Wahl erleichtert die meisten Politiker und Unternehmer. Europa bleibt es erspart, dass nach Großbritannien eine zweite Wirtschaftsmacht auf Anti-EU-Kurs geht. Aber diese Gefahr ist nur vertagt, nicht gebannt - das gesteht der künftige Präsident Emmanuel Macron selbst ein. Deshalb wird nun überall an Plänen gefeilt, wie eine wirtschaftlich erfolgreiche Zukunft für Frankreich und Europa aussehen kann. Um die EU-Gegner zu stoppen, soll die Spaltung zwischen Boomstaaten wie Deutschland und Krisenländern wie Frankreich überwunden werden, welche die Euro-Zone zu zerstören droht. Ein Überblick in vier Schritten.

Antworten auf die Globalisierung

Im französischen Wahlkampf waren sie allgegenwärtig: die "Verlierer der Globalisierung". Also all jene, die sich abgehängt fühlen und die Welt da draußen als Bedrohung empfinden. Viele haben Angst, fühlen sich unsicher und überfordert. Le Pen nutzte dies für ihre Zwecke. Sie plädierte für mehr Abschottung. Ihre Botschaft: Der Nationalstaat könne es alleine richten.

Gegen diese Sicht stellte sich Macron. Auch die EU-Kommission will den Wert der Globalisierung für alle greifbarer machen. An diesem Mittwoch stellt sie ein Reflexionspapier zur Zukunft der EU vor. Es geht um die Frage, wie Europa die Globalisierung nutzen kann. Im Entwurf des Papiers beleuchtet die Behörde zwei Punkte: Was kann die EU innerhalb der Gemeinschaft tun? Und wie reagiert sie auf Entwicklungen in der Welt?

Innereuropäisch plädiert die Kommission dafür, sich manche EU-Staaten zum Vorbild zu nehmen. Zum Beispiel Estland. Dort gibt es ein "E-School-System", das Kindern schon in der Schule den Umgang mit digitalen Entwicklungen beibringt. Oder Schweden und Dänemark: Das dortige Modell eines Wohlfahrtsstaats schaffe es, eine Balance zwischen flexiblen Arbeitsverhältnissen zu schaffen. So gebe es einen sicheren Übergang von einem Job zum nächsten. Und niemand fällt in ein Loch. Auch Deutschland gilt als Vorbild: Die duale Berufsausbildung stelle sicher, dass Studenten und Ausbildende das lernen, was Firmen wirklich brauchen. Dafür soll sich ja sogar Donald Trump interessieren.

Doch wie schafft es die EU, dass sie nicht zwischen den Wirtschaftsmächten USA und China zerrieben wird? Die EU-Kommission will sich gegen das Dumping der Volksrepublik zur Wehr setzen. Produkte, die durch unfaire Subventionen billig auf den Weltmarkt kommen, sollen mit hohen Zöllen belegt werden, etwa Stahl. Umstritten ist die Frage, wie die EU künftig mit ausländischen Investoren umgeht - etwa beim deutschen Robotik-Unternehmen Kuka. Was tun, wenn chinesische Konzerne, unterstützt von der Staatskasse in Peking, auf Einkaufstour in Europa gehen? Dafür seien "angemessene Maßnahmen" nötig - konkreter wird die Kommission in ihrem Papier nicht.

Und dann gibt es noch den Kampf gegen die Steuertricks globaler Unternehmen. Brüssel will, dass amerikanische Konzerne wie Apple oder Google dort ihre Steuern jeweils zahlen, wo sie ihre Gewinne machen: eben auch in Europa.

Reformen in Frankreich

Frankreichs Wirtschaft wächst im Vergleich zu anderen EU-Staaten schwach. Hatte die Grande Nation vor zehn Jahren noch 1,5 Millionen Arbeitslose weniger als Deutschland, ist die Erwerbslosenrate heute mit zehn Prozent doppelt so hoch. Weil die Staatsausgaben im europäischen Vergleich bereits groß sind, gibt es aus dieser Misere keinen bequemen Ausweg: Einfach mehr auszugeben, schafft bei hohen Schulden neue Probleme.

Emmanuel Macron will die zögerlichen Reformen seines Vorgängers François Hollande durch eine Mischung aus Einschnitten und Angeboten beschleunigen. 100 000 Stellen beim Staat sollen wegfallen, Sonderrenten bei Staatsfirmen schmelzen, Erwerbslose Jobs annehmen müssen, Firmen die 35-Stunden-Woche aufweichen können. Kritiker finden, das sei nur ein Anfang. Sie zählen auf: Zu viel Bürokratie bremse die Firmen, starre Kündigungsregeln verhinderten Einstellungen, Arbeitnehmer gingen mit 62 zu früh in Rente.

Zentral ist, dass Macron Einschnitte mit Angeboten balancieren will. Dazu gehören bessere Bildungschancen gerade für sozial Schwache, niedrigere Unternehmensteuern, Staatsaufträge bevorzugt an Firmen aus Europa - und deutlich mehr Investitionen. Diese Investitionen will Macron nicht alleine stemmen. Seine Idee ist ein neuer Deal: in der Euro-Zone, und speziell zwischen Frankreich und Deutschland.

Die Zukunft der Euro-Zone

Schon als Wirtschaftsminister unter Hollande ventilierte Macron immer wieder seine Vorstellung eines Deals. Frankreich reformiert, und dafür investiert Deutschland mehr - genau wie die Währungsunion, die stärker zum Solidarsystem wird. Wie genau soll das aussehen? Erst mal zur Währungsunion: Macron schlägt einen Euro-Finanzminister und ein Euro-Budget vor. Letzteres soll zum einen konjunkturelle Schocks abfedern, die einzelne Länder wie in der Finanz- und Eurokrise stark treffen. Zum anderen soll das Geld Investitionen etwa in die Infrastruktur finanzieren.

Allerdings müssten dafür die EU-Verträge geändert werden, was auch in Frankreich ein Referendum nach sich zöge. Hinzu kommt: Die Mehrheit der Euro-Staaten will keine weiteren haushaltspolitischen Kompetenzen nach Brüssel übertragen. Möglich wären also zwischenstaatliche Lösungen, wie sie Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) mit der Schaffung eines Europäischen Währungsfonds vorgeschlagen hat. Dieser dürfte in Paris auf Wohlwollen stoßen - allerdings unter der Bedingung, dass dieser nicht nur bei drohenden Staatspleiten agiert, sondern auch Investitionen in den EU-Staaten fördert. Diese sollen nicht nur an fiskalpolitische Regeln geknüpft sein, sondern auch an sozialpolitische Faktoren. Wie das funktionieren soll, muss Macron noch erklären.

Die EU-Kommission setzt darauf, dass Berlin und Paris nun mehr Verantwortung übernehmen. Die Behörde ist es leid, immer wieder Vorschläge zu machen, die Schäuble zurückweist. Zuletzt erging es EU-Kommissar Pierre Moscovici so, als er vorschlug, dass in der Euro-Zone insgesamt 0,5 Prozent der Wirtschaftsleistung mehr investiert werden könnten. Dass also Staaten wie Deutschland eine lockerere Haushaltspolitik zur Ankurbelung der Wirtschaft einschlagen sollten.

Die Rolle Deutschlands

Genau solche Ausgaben will auch Macron. Er kritisiert die deutschen Handelsüberschüsse, die am Dienstag ein neuer Exportrekord bestätigte. Europas größte Wirtschaftsmacht soll mehr investieren - und so Importe der anderen Euro-Staaten fördern.

Von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) handelt sich Macron bisher nur Absagen ein. Das gilt für eine laxere Haushaltspolitik zugunsten von Investitionen genau wie für die Vergemeinschaftung von Schulden durch Euro-Bonds, die Macron allerdings gar nicht mehr thematisiert. Zugänglicher als Merkel war zeitweise Schäuble. Er konnte sich eine Zeit lang einen Euro-Finanzminister vorstellen, jedenfalls wenn der Mitgliedsstaaten das Schuldenmachen vermiest. Und er favorisierte ein Euro-Budget, um Mitgliedsstaaten die Einhaltung der Defizitgrenzen schmackhaft zu machen. Schäuble rückte von der Idee allerdings wieder ab, als er merkte, dass die EU-Kommission den Euro-Haushalt zum großen Transfertopf machen will.

Viel positiver äußert sich der kleinere Koalitionspartner SPD. Außenminister Sigmar Gabriel will in Kürze konkrete Vorschläge für einen deutsch-französischen Investitionsfonds vorstellen. Deutschland müsse viel stärker als bisher in Europa investieren. Auch ein gemeinsames Budget für die Euro-Zone findet Gabriel richtig.

Union und SPD: zwei Parteien, zwei völlig verschiedene Ansätze. Deshalb wird die Bundestagswahl im Herbst auch zur Abstimmung darüber, welchen Deal eine neue Bundesregierung ihrem wichtigsten Partner auf dem Kontinent anbietet. Es geht um die Zukunft Europas.

© SZ vom 10.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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