Forum:Denkt an die Kinder!

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Ludger Wößmann ist einer der bekanntesten Bildungsökonomen der Republik. Er leitet die entsprechende Abteilung des Ifo-Instituts und ist Professor für VWL an der LMU. (Foto: oh)

Die Mehrheit der Bevölkerung ist gegen das Betreuungsgeld, auch in Bayern. Es gibt bessere Maßnahmen, um Familien zu helfen, meint Bildungsökonom Ludger Wößmann.

Von Ludger Wößmann

Dass das Bundesverfassungsgericht dem deutschlandweiten Betreuungsgeld vergangene Woche ein Ende gesetzt hat, hatte einen rein juristischen Grund: Das Verfassungsgericht hat dem Bund die Gesetzgebungskompetenz über ein Betreuungsgeld abgesprochen. Das sagt aber noch nichts darüber aus, ob ein Betreuungsgeld generell wünschenswert wäre.

Aus meiner Sicht sprechen zwei zentrale Gründe gegen das Betreuungsgeld. Der erste und wichtigste ist ein bildungspolitischer: Es beeinflusst in erster Linie Familien, die jeden Cent zweimal umdrehen müssen. Dies betrifft häufig bildungsferne Familien und Familien mit Migrationshintergrund - genau diejenigen, für deren Kinder der Besuch frühkindlicher Bildungseinrichtungen besonders wichtig wäre. Die bildungsökonomische Forschung belegt, dass Bildungsinvestitionen besonders effektiv sind, wenn sie früh ansetzen und Kinder mit benachteiligtem Hintergrund erreichen. Dann können sie Lebenswege verändern und langfristige Bildungs- und Arbeitsmarkterfolge hervorbringen. Wenn das Betreuungsgeld dazu führt, dass diese Kinder aus der Kita ferngehalten werden, dann wirkt es kontraproduktiv.

Die finanziellen Anreize tragen dazu bei, gesellschaftliche Disparitäten zu zementieren, anstatt gesellschaftlichen Aufstieg zu erleichtern. Hinzu kommt ein arbeitsmarkt- und gleichstellungspolitischer Grund gegen das Betreuungsgeld: Es setzt Anreize für Eltern - de facto zumeist die Mütter -, sich nicht am Arbeitsmarkt zu beteiligen. Dies wurde etwa für eine frühere Reform in Thüringen belegt. So können die staatlichen Geldleistungen zum Pyrrhus-Sieg beim Gesamteinkommen, das den Familien zur Verfügung steht, führen. Aber noch bedeutender ist vermutlich die Gefahr, dass Mütter bei längerer Abwesenheit vom Arbeitsmarkt ihr ursprünglich erworbenes "Humankapital abschreiben" müssen: Weil sie ihre erworbenen Kompetenzen nicht nutzen und weiterentwickeln, finden sie nach einigen Jahren nur noch deutlich weniger qualifizierte Jobs. Sowohl für benachteiligte Kinder als auch für Mütter dürfte das Betreuungsgeld also eher kontraproduktiv wirken - schwerlich eine familienpolitisch vielversprechende Maßnahme.

Aber all diese Argumente gehen in gewisser Weise am Kern der Sache vorbei. Denn die ganze Entstehungsgeschichte zeigt deutlich, dass die CSU das Betreuungsgeld in Berlin ja nicht aus irgendeinem dieser Gründe durchgedrückt hat, sondern weil sie denkt, damit in Bayern politische Mehrheiten erreichen zu können. Sie ist offensichtlich der Meinung, dass eine genügend große politische Klientel mit traditionellem Familienbild existiert, die den Kampf um Geld aus Berlin für das Betreuungsgeld goutiert. Es sind diese rein politischen Gründe, die uns das Betreuungsgeld verschafft hatten.

Daher lautet die spannendste Frage, wie es mit der Zustimmung der Bevölkerung zum Betreuungsgeld steht. Dies haben wir im Ifo-Bildungsbarometer 2015 erfragt, einer repräsentativen Meinungsumfrage der deutschen Wahlbevölkerung vom Mai dieses Jahres. Das Ergebnis: Nur ein Drittel der Deutschen spricht sich für das Betreuungsgeld aus, eine absolute Mehrheit von 57 Prozent ist dagegen (die restlichen zehn Prozent sind unentschieden). Die Ablehnung ist seit dem vorigen Jahr sogar gestiegen: Im Ifo-Bildungsbarometer 2014 waren noch knapp 39 Prozent dafür und 51 Prozent dagegen. Interessanterweise unterscheiden sich die CDU/CSU-Wähler nicht nennenswert vom Rest der Bevölkerung: Unter denjenigen, die angaben, dass sie im Allgemeinen mit der CDU/CSU sympathisieren, weicht sowohl die Zustimmungs- als auch die Ablehnungsrate jeweils nur um rund einen halben Prozentpunkt von der Gesamtbevölkerung ab.

Aber auch all das könnte der CSU möglicherweise relativ egal sein. Sie will politische Mehrheiten in Bayern sichern. Wie sieht es also in der bayerischen Bevölkerung aus? Hier findet sich in der Tat etwas mehr Zustimmung zum Betreuungsgeld als im Rest der Republik. Gleichwohl ist die Mehrheit dagegen: In Bayern sprechen sich 40 Prozent für das Betreuungsgeld aus, aber 46 Prozent dagegen. Auch hier ist die Ablehnung seit dem vergangenen Jahr deutlich gestiegen. Obwohl die Stichprobe des Ifo-Bildungsbarometers mit mehr als 4000 Befragten pro Jahr insgesamt sehr groß ist, ist sie doch nicht groß genug, um präzise Aussagen über die bayerischen CSU-Wähler machen zu können. Aber zumindest legen die Daten nahe, dass die Meinungen nicht wesentlich von der bayerischen Gesamtbevölkerung abweichen: Auch unter ihnen findet sich keine Mehrheit für das Betreuungsgeld.

Aus den Befragungsergebnissen wird deutlich, dass das Betreuungsgeld gerade die bayerische Bevölkerung entzweit. Aber die Fraktion der Gegner ist deutlich größer als die der Befürworter. Absolute Mehrheiten kann man mit dem Thema ganz sicher nicht erreichen. Insofern sollte eine Partei, die absolute Mehrheiten gewinnen will, auch aus dieser Perspektive hinterfragen, ob sie das Betreuungsgeld auf Landesebene wieder einführen will.

Ein anregendes Bildungsklima in der frühen Kindheit schafft eine notwendige Grundlage für weiteres Lernen. Jede Bildungsphase baut auf dem zuvor erreichten Bildungsstand auf. Ein zentraler Befund der bildungsökonomischen Forschung ist, dass die erlernten Bildungsleistungen sehr eng mit den späteren Chancen am Arbeitsmarkt zusammenhängen. Deshalb ist für viele zum Zeitpunkt ihrer Mündigkeit aufgrund der verwehrten Bildungschancen der Zug längst abgefahren. Wenn in der Marktwirtschaft also Chancengleichheit herrschen soll, kommt dem Staat die Verantwortung zu, dass alle Kinder ihr volles Bildungspotenzial entfalten können. Bei Kindern, deren Familien dies nicht schon von sich aus sicherstellen, ergibt sich daraus eine aktive Rolle für das Gemeinwesen.

Oberstes Ziel muss daher eine qualitativ hochwertige frühkindliche Bildung für alle Kinder sein - gerade für diejenigen aus benachteiligten Verhältnissen. Insofern machen wir es in Deutschland genau falsch herum: Wir verschenken das Studium, wo Mündigkeit und Eigenverantwortung gefragt wären, und erheben Gebühren für Kitas und Kindergärten, wo die Grundlagen für Chancengleichheit gelegt werden. Schlimmer noch: Mit dem Betreuungsgeld schaffen wir ein zusätzliches Hindernis für die frühkindliche Bildung benachteiligter Kinder - und noch dazu eines, das die Wahlbevölkerung mehrheitlich ablehnt. Es ist wohl an der Zeit, auch in Bayern über bessere Maßnahmen als das Betreuungsgeld nachzudenken, um Kinder und Familien wirksam zu unterstützen.

© SZ vom 27.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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