Forum:Arroganz und Verweigerung

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Regieren heißt nicht, sich reformverdrossen über den Gang der Welt zu beklagen. Griechenland braucht eine neue Verfassung, mit besseren Institutionen. Ein Gastbeitrag von Paul J. J. Welfens.

Von Paul J. J. Welfens

Die Regierung Tsipras ist im Januar 2015 an die Macht gekommen und steht für eine schräge Koalition von linker Sammelpartei und rechtspopulistischer Kleinpartei. Die Position der Regierung ist, dass Griechenlands Gläubiger zu wenig entgegenkommend sind in Sachen Schuldenerlass und dass die Austeritätspolitik und IWF-Politikvorgaben schuld an Griechenlands Misere sind. Griechenlands neue Regierung hat Anfang des Jahres die Kooperation mit der Troika beendet. Man kann durchaus kritische Punkte an der Arbeit der Troika finden und es gab erhebliche Fehler beim Krisenmanagement in der Euro-Zone. Aber: Die Regierung in Athen ist orientierungslos, sie hat kein realisierbares Programm; Regieren ist nicht, sich reformverdrossen über den Gang der Welt zu beklagen und nur einen neuen Schuldenschnitt zu fordern. Auch nach dem Referendum stellen sich grundsätzliche Fragen.

Die Tsipras-Regierung hat durch eine neue Abführungspflicht von Liquidität bei Universitäten, Krankenhäusern und Kommunen Richtung Zentralstaat die Basis für ein sonderbares Zusammenkratzen von Mitteln für den Schuldendienst gelegt, aber auch für einen denkbaren umfassenden Generalkonkurs. Das unterminiert das Vertrauen von EU-Partnern und Investoren, aber auch der Bürgerschaft in Griechenland. Die Koalition in Athen hat kein ausformuliertes Koalitionsprogramm und der Versuch, die EU-Partnerländer mit immer neuen, oft nicht eingehaltenen Ankündigungen an der Nase herum zu führen, ist kein Ersatz für solides Regierungshandeln. Das hilft den Menschen nicht und ist eigentlich ungriechisch: Man muss nicht die Heldentaten des Odysseus fordern, jedoch, wirtschaftspolitische Untätigkeit und Überheblichkeit wie in Teilen der Tsipras-Regierung waren noch nie in der Geschichte Basis auch nur kleiner Heldentaten.

Damit stellt die Regierung die Weichen für einen selbstgewählten Staatskonkurs - in der Diktion von gelegentlich erkennbarer Arroganz und Verweigerungsposition ist das durchaus verwandt der Politik der deutschen Reichsregierung im Jahr 1923, als man seitens Berlins beweisen wollte, dass man die vereinbarten Reparationen nicht zahlen könnte; und nach der Ruhrgebietsbesetzung durch Frankreich hatte die Regierung in Berlin dann mit dem Hyperinflationskurs gleich einen halben ökonomischen Selbstmord programmiert: Die faktische Enteignung der Staatsanleihebesitzer und der meisten Sparer, die so der Demokratie millionenfach entfremdet wurden.

Während osteuropäische Transformationsländer unter sehr schwierigen Bedingungen fast alle ihren Weg in den Neunzigerjahren aus der Krise gefunden haben, ist das einst recht wohlhabende Griechenland 2014 - gemessen in Kaufkrafteinheiten - unter das Pro-Kopf-Einkommen des EU-Landes Kroatien gefallen. Von der Osteuropabank EBRD in London hätte man sich in Athen schon vor Jahren Anregungen und technische Hilfen für Privatisierung, Unternehmensgründungen, mehr Wettbewerb und Exportförderung holen sollen. Was frühere Regierungen in Athen an Korruptionsgrad zeitweise als politische Hypothek und Expansionsbarriere zeigten, ist nun weniger gravierend, aber die Tsipras-Regierung verbaut dem Land durch halbgare Politik die ökonomische Expansion. Von den osteuropäischen Transformationsländern hätte Athen durchaus lernen können, aber die sichtbare Arroganz in Teilen der Tsipras-Regierung schiebt das Land in unverantwortlicher Weise Richtung Abgrund.

Griechenland braucht eine neue Verfassung - mit besseren Institutionen

Über einen weiteren Schuldenerlass hätte man durchaus aufseiten der Euro-Länder im Kontext von ernsthaften Reformmaßnahmen der griechischen Regierung nachdenken können, aber die Tsipras-Regierung hat die Linie ihrer Vorgänger-Regierungen fortgesetzt, eine sonderbare Privatisierungsverweigerung zu verfolgen. Im Zeitraum 2010 bis Mitte 2015 hatten Griechenlands Regierungen zwei Rekorde aufgestellt: Sie hatte eine der höchsten staatlichen Schuldenquoten der Welt realisiert, was nur teilweise dem massiven Wirtschaftseinbruch von minus 25 Prozent in fünf Jahren zuzuschreiben ist; es ist vielmehr so, dass bei 15,6 Prozent Defizitquote 2009 einfach ein Anstieg bei der Schuldenquote binnen fünf Jahren von 110 Prozent auf mindestens 155 Prozent absehbar war, weil aus der Wirtschaftsgeschichte bekannt ist, dass pro Jahr kaum mehr als drei Prozentpunkte Rückführung der Defizitquote möglich ist. Die Regierungen hatten mit Privatisierungen von kaum mehr als einem Prozent des Staatsvermögens für Schulden-Krisenländer einen weiteren Negativrekord für fünf Jahre Regierungshandeln in einem Land ohne Kapitalmarktzugang aufgestellt. Letzteres heißt, dass man vom Staatsvermögen in Höhe von mehr als 150 Prozent des Bruttoinlandsproduktes über neun Zehntel des Staatsvermögens willkürlich beim Themenbereich Privatisierungsoptionen ausgeblendet hatte.

Griechenland hätte sich die Schuldenquote selbst durch geduldige Privatisierung halbieren können. Im Streit über das Defizit hat die Tsipras-Regierung etwas Nachgeben bei den Rentenausgaben signalisiert, aber sonderbarerweise wird über angebotsseitige Strukturreformen zur Wachstumsstärkung bislang kaum gesprochen: Privatisierungen, Unternehmensneugründungen und Reformen des Bildungs- und Gesundheitssektors sind dringlich. Hier fehlen Pläne. Die EU kann helfen, dass alle Jugendlichen Zugang zu Gesundheitsdiensten erhalten.

Wenn das Land jedoch in Konkurs geht, dann wohl innerhalb der Euro-Zone; ein selbst gewählter Konkurs heißt hoher Einkommens-, Vermögens- und Ansehensverlust für Griechenland selbst sowie Anstieg der Arbeitslosenquote auf mehr als 30 Prozent. Zu solcher Selbstschädigung haben die Wähler Tsipras aber keinerlei Mandat gegeben. Falls das Land aus der Euro-Zone fällt, dürfte der Realeinkommensrückgang und die Flucht von Kapital und Arbeitnehmern weg aus Griechenland gravierend ausfallen. Die ökonomischen Gaukler in der Tsipras-Regierung, allen voran Finanzminister Yanis Varoufakis, überblicken wohl nicht, in welches Drama ihre widersprüchliche, ideenarme Politik zehn Millionen Griechen zu stürzen droht. Die Zahl wenig erfolgreicher Regierungen in den vergangenen fünf Jahren deutet darauf hin, dass das Land eine neue Verfassung braucht: Mit besseren Institutionen und kluger Wirtschaftspolitik plus bedingten EU-Impulsen sind die Probleme überwindbar. Im Übrigen läuft das Land nach dem Brüsseler Gesprächsabbruch am 27. Mai auf Staatskonkurs und Umschuldung bei öffentlichen Gläubigern im Pariser Club hin, wo auf der Gegenseite fast dieselben Akteure sitzen wie in Brüssel - ein IWF-Programm ist im Pariser Club Voraussetzung für einen Vertrag.

© SZ vom 06.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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