Fall Mollath und Hypo-Vereinsbank:Der Mann, der zu viel wusste

Gustl Mollath sitzt in der Psychiatrie. Gutachter und Justiz taten seine Erzählungen über illegale Geldgeschäfte bei der Münchner Hypo-Vereinsbank als Hirngespinste ab. Nach SZ-Informationen stützt ein seit Jahren geheim gehaltener interner Prüfbericht seine Version.

Olaf Przybilla und Uwe Ritzer, Nürnberg

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(Foto: ddp)

Der Weg zu Gustl Mollath führt durch eine Sicherheitsschleuse; Geldbeutel, Handy und Schlüssel sind abzugeben. Der Gang danach verläuft unterirdisch und ist so niedrig, dass man sich automatisch bückt. Etwa so müssen Bunker im Kalten Krieg ausgesehen haben. In der Bezirksklinik Bayreuth geht es an einer zweiten Schleuse vorbei und eine Treppe hinauf. Sicherheit ist oberstes Gebot, schließlich sind hier psychisch kranke Straftäter untergebracht. Die Tür zu einem Besucherzimmer wird aufgesperrt, drinnen sitzt Gustl Mollath, 55.

Seit sechs Jahren sitzt er in diversen Psychiatrien in Bayern. Als Patient, aber Mollath fühlt sich nicht krank. "Ich bin ein Gefangener", glaubt er. Man habe ihm eine Paranoia, ein Wahnsystem angedichtet. Weil er dubiose Schwarzgeldgeschäfte seiner damaligen Ehefrau, einer Vermögensberaterin der Hypo-Vereinsbank (HVB), habe auffliegen lassen, sei er in der Klinik gelandet.

Es ist eine abgründige, unübersichtliche Geschichte, die der Mann im Besucherzimmer erzählt. Vieles klingt nach Verschwörungstheorie, doch längst nicht alles lässt sich als Wirrheiten eines psychisch Kranken abtun. Dies belegt ein seit Jahren unter Verschluss gehaltener interner Prüfbericht der HVB. Er liegt der Süddeutschen Zeitung vor und stützt zumindest Mollaths Version von den illegalen Bankgeschäften. Die HVB gerät in Erklärungsnot.

Bei der HVB klingeln die Alarmglocken

Schon die Briefe, die Gustl Mollath Ende November und Anfang Dezember 2002 an die Chefetage der Hypo-Vereinsbank schreibt, lesen sich nicht wie die Phantastereien eines psychisch Kranken. Sein Großvater sei bereits Kunde des Geldhauses gewesen, schreibt Mollath da in sachlichem Ton, und er selbst sei es auch schon seit Jahrzehnten. Umso mehr belaste ihn "seelisch und dadurch auch körperlich", was er über seine Frau mitbekommen habe, eine HVB-Vermögensberaterin: Sie und andere Mitarbeiter der Bank würden das Geld reicher Kunden illegal in die Schweiz schaffen, verbotenen Insiderhandel mit Aktien betreiben und andere fragwürdige wie hochspekulative Anlagegeschäfte.

Die Ehe der Mollaths lag zu diesem Zeitpunkt bereits in Scherben, doch das vermeintliche Beweismaterial lag zum Teil noch herum. "Für die letzten zwei Jahre habe ich Berge von Belegen gefunden", schrieb Gustl Mollath. Dabei habe seine Frau doch schon eine Menge Belege abtransportiert - mit einem Lkw. In der HVB-Zentrale klingelten die Alarmglocken.

Drei Monate später sollten sich nicht nur Mollaths Vorwürfe bestätigen. Unter dem Vermerk "vertraulich" beschrieben interne Revisoren der Bank auf 15 Seiten detailliert ein Netzwerk innerhalb der Nürnberger HVB-Niederlassung, das offenbar über Jahre hinweg unsaubere Millionengeschäfte gemacht hat. Mollaths Anschuldigungen, so die Quintessenz des "Sonder-Revisionsberichtes Nr. 20546", seien in Teilbereichen vielleicht etwas diffus, aber: "Alle nachprüfbaren Behauptungen haben sich als zutreffend herausgestellt."

Mehr noch: Die Prüfer hatten offenkundig sogar über Mollaths Vorwürfe hinaus Hinweise auf Beihilfe zur Steuerhinterziehung und Geldwäsche durch HVB-Mitarbeiter gefunden. So habe ein Vermögensberater der Nürnberger HVB-Filiale einer, so wörtlich, "allgemein bekannten Persönlichkeit", dabei geholfen, Schwarzgeld zu waschen, heißt es in dem Revisionsbericht.

Ein Gutachten verschwindet in der Schublade

Der Mitarbeiter habe für die prominente Kundin Währungsgeschäfte über sein Privatkonto abgewickelt. Dabei habe er Beträge so gestückelt, dass sie unter den meldepflichtigen Grenzen lagen - ein "bewusster und gravierender Verstoß" gegen das Geldwäschegesetz, notierten die Revisoren. Sie belegten ihre Erkenntnisse mit präzisen Angaben von Buchungszeiten und Summen.

Der Name der prominenten Kundin taucht nicht auf - Bankgeheimnis. Wie überhaupt bei der HVB Diskretion das Maß aller Dinge war, erst recht nachdem der Prüfungsbericht vorlag. Laut Verteiler bekamen ihn auch die Vorstände Stefan Jentzsch und Wolfgang Sprißler zugeschickt. Die Vorgänge aus der Nürnberger Außenstelle landeten also ganz oben - ein weiteres Indiz für die Brisanz.

Demgegenüber hielten sich die Konsequenzen in engen Grenzen. Die beschuldigten Mitarbeiter verließen in der Folgezeit die HVB oder ihnen wurde gekündigt. Auch Mollaths Ex-Frau, die auf Anfrage keine Stellungnahme abgeben wollte, musste damals gehen. Obwohl die Mitarbeiter bei den Schweiz-Geschäften mutmaßlich auch ihren Arbeitgeber finanziell geschädigt hatten, forderte die HVB von ihnen keinen Schadenersatz. Und das Gutachten Nr. 20546 verschwand in der Schublade.

Der Revisionsbericht habe, so rechtfertigte das ein HVB-Sprecher im Nachhinein auf SZ-Anfrage, "keine ausreichenden Erkenntnisse für strafrechtlich relevantes Verhalten von Mitarbeitern oder Kunden ergeben, die eine Strafanzeige als angemessen erschienen ließen." Steuerrechtsexperte Johannes Fiala kommt nach Lektüre des Revisionsberichtes zu einer anderen Bewertung. "Der Bericht enthält zwei komplexe illegaler Handlungen, einerseits Steuerhinterziehungen und andererseits verbotene Bankgeschäfte", sagte er dem SWR-Fernsehmagazin Report Mainz.

Tatsächlich bekam die Staatsanwaltschaft den Revisionsbericht erst acht Jahre später zu Gesicht, Ende 2011. Die Fahnder hatten davon gehört und ihn von sich aus bei der Bank angefordert. Ermittlungen wurden nicht eingeleitet; viele mögliche Straftaten wären längst verjährt gewesen.

Alles Irrsinn?

Bei der HVB war die Angst vor Mollaths Enthüllungen schon 2003 greifbar. Der Mann verfüge offenkundig "über Insiderwissen" und es sei nicht auszuschließen, dass er dieses an die Öffentlichkeit bringe und versuche, es zu verkaufen, warnten die HVB-Prüfer. Verkauft hat Mollath sein Wissen nicht. Aber in einem Verfahren vor dem Nürnberger Landgericht - seine Frau hatte ihn wegen schwerer Misshandlungen angezeigt - übergab er dem Gericht im September 2003 einen dickleibigen Schnellhefter.

Neben viel Brimborium findet sich darin auch Schriftverkehr mit seiner Ex-Frau und der HVB, aber auch etliche kopierte Buchungsanordnungen, die auf unter Decknamen geführte Nummernkonten hindeuteten. Trotzdem lehnte die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren ab: kein Anfangsverdacht.

Mollath stand vor Gericht, weil er am 12. August 2001 seine Frau verprügelt und gewürgt haben soll. Angezeigt hatte sie den Vorfall - den Mollath bestreitet - aber erst 16 Monate später. In dem Verfahren stand Aussage gegen Aussage. Das Gericht glaubte am Ende der Frau, weil sie so "ruhig, schlüssig und ohne jeden Belastungseifer" ausgesagt habe. Das Gericht sprach Mollath zwar frei, wies ihn aber wegen einer wahnhaften Störung in eine Psychiatrie ein. Ein Gutachter hatte ihm ein paranoides Gedankensystem attestiert: Mollath sei "unkorrigierbar" der Überzeugung, dass eine ganze Reihe von Personen aus dem Geschäftsfeld seiner früheren Ehefrau - und diese selbst - in ein "komplexes System der Schwarzgeldverschiebung" verwickelt seien.

Alles Irrsinn also? Womöglich hätten Gutachter und Gericht zu anderen Schlüssen gekommen, hätten sie den HVB-Revisionsbericht gekannt. Doch die Bank hielt ihn lieber geheim.

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