Fahrradmarkt:Genossen unter Strom

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Das geplante Pedelecsharing-System der Nord-Allianz soll in das neue regionale Angebot integriert werden (Symbolbild). (Foto: ADAC/obs)

Die ZEG-Gruppe, Europas größter Fahrrad-Fachhändler, profitiert vom Dauerstau in den Innenstädten - und vom rasch wachsenden Geschäft mit E-Bikes.

Von Steffen Uhlmann, Köln

Feinstaubalarm, Dieselskandal, drohende Fahrverbote? Für die Fahrradbranche sind das gute Nachrichten. Denn es wächst die Klientel, die das emissionsfreie Zweirad als ökologisch vernünftige Alternative im innerstädtischen Individualverkehr sieht - eine Alternative, die auch noch gesund und fit hält. Gleichwohl: Der Siegeszug des Fahrrads ist längst nicht ausgemacht. 2017 waren die Verkaufszahlen in Deutschland abermals rückläufig. Verkauft wurden nur noch 3,85 Millionen Räder, ein Minus von fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Damit setzte sich eine Entwicklung fort, die schon seit der Jahrtausendwende anhält. Die Verkaufszahlen sind von einst fünf Millionen Rädern im Jahr stetig gesunken. Was den Schluss nahelegt, dass der Markt gesättigt ist. Immerhin verfügen deutsche Haushalte bereits über mehr als 73 Millionen Fahrräder. Dass die Zweirad-Branche dennoch hoffnungsfroh ist, hängt mit einer anderen Entwicklung zusammen: Trotz der rückläufigen Stückverkäufe ist der Umsatz im vergangenen Jahr um 3,2 Prozent auf 2,7 Milliarden Euro gestiegen. Auch 2016 hatte es ein Plus gegeben.

Das zeigt, dass die Preise nach oben gehen, durch hochwertigere technische Ausrüstungen. Im Durchschnitt gaben die Käufer 698 Euro für ein Rad aus; ein Jahr zuvor waren es 643 Euro. Der eigentliche Wachstumstreiber aber sind Fahrräder mit elektrischem Hilfsmotor. Die sogenannten E-Bikes haben im vergangen Jahr bei den Stückzahlen um 19 Prozent zugelegt auf 720 000 verkaufte Räder.

Für Georg Honkomp, Vorstandschef der Kölner Zweirad-Einkaufsgenossenschaft (ZEG), Europas größtem Fahrrad-Fachhändler, ein weiterer Beleg, dass sich die Zielgruppe für Elektroräder weiter verjüngt. "E-Bikes werden längst nicht mehr nur von älteren und sportlich nicht so fitten Leuten gekauft", sagt er. "Sie haben gerade unter jungen Leuten das Zeug zum Statussymbol und schicken Lifestyle-Produkt." Elektroräder seien aber nicht mehr nur Freizeitvergnügen. "Mehr und mehr Menschen halten das E-Bike für eine nützliche Alternative zum Auto im Berufsverkehr", sagt Honkomp. Zudem schätze eine wachsende Zahl von Handels- und Handwerksbetrieben E-Bikes als praktische Lastenesel.

Einer Studie des Antriebsherstellers Bosch E-Bike Systems zufolge könnten bereits Mitte des nächsten Jahrzehnts mehr als zwei Millionen Elektroräder aus den Geschäften rollen - also mehr als die Hälfte der 3,85 Millionen Fahrräder, die derzeit in Deutschland verkauft werden. Honkomp rechnet sogar mit noch höheren Zuwachsraten. Die ZEG sei dafür gut aufgestellt. Die 1000 in der Genossenschaft zusammengeschlossenen Fachhändler bieten bereits eine breite Palette von Elektrofahrrädern der zur ZEG gehörigen Marken Bulls, Pegasus, Zemo, Hercules, Kettler oder Wanderer an. Darüber hinaus hat sich der Verbund im vergangenen Jahr mit der Übernahme des Schweizer E-Bike-Herstellers Biketec die Edel-Marke Flyer zugelegt. "Wir sichern uns damit ein gutes Stück mehr Zukunft", sagt Honkomp. Schließlich gehe der Trend zu immer hochwertigeren Rädern, bei denen IT-Systemintegration, Informationsvernetzung, leistungsfähigere Akkus, Motoren und Schaltungen sowie moderne Rahmen-, Lenker- und Laufräder-Designs zur Pflicht geworden sind.

All das macht die E-Bikes nicht billiger. Wer etwa auf einem E700 der Marke Wanderer "elegant" durch die City "surfen" will, der muss bei den ZEG-Händlern mindestens 3500 Euro hinlegen; je nach Ausstattung können es auch deutlich mehr sein. Man wolle, betont der ZEG-Chef, das Rad nicht neu erfinden, aber man wolle es sicherer, leichter sowie optisch und technisch attraktiver machen. Das werde dann auch das Service-Geschäft beflügeln.

Unternehmen leasen nicht nur Autos, sondern immer öfter auch Fahrräder und E-Bikes

Dank des E-Bike-Booms hat die ZEG 2017 die rückläufigen Stückzahlen im klassischen Fahrrad-Verkauf mehr als ausgleichen können. Der Gesamtumsatz der Händler stieg gegenüber dem Vorjahr um fünf Prozent auf etwa 1,25 Milliarden Euro. Eine weitere halbe Milliarde Umsatz auf dann insgesamt 1,7 Milliarden Euro steuerten die fünf Dienstleistungstöchter der ZEG bei. Honkomp ist dennoch unzufrieden. "Wir hatten allein bei den Händlern zehn Prozent Steigerung im Visier", sagt er und hält sich mit konkreten Prognosen für das laufende Jahr zurück. "Wir wollen wachsen", sagt er lediglich. "Vor allem auch durch das Dienstleistungsgeschäft."

Das Geschäft mit Service und Hardware soll deutlich ausgebaut werden. Künftig, so Honkomp, soll mindestens die Hälfte des ZEG-Gesamtumsatzes durch Dienstleistungen erwirtschaftet werden. Die Tochter Eurorad etwa hat bereits gut 1600 Firmen für ihr schnell wachsendes Leasinggeschäft gewinnen können. Analog zum Dienstwagen leasen die Unternehmen bei Eurorad für ihre Mitarbeiter Fahrräder und E-Bikes. Verbunden damit ist ein Rundum-sorglos-Paket für Wartung, Reparatur und die Rücknahme der Räder - ein zusätzliches Geschäft für die ZEG-Mitglieder vor Ort. Zugleich ist man 2015 in das Fahrrad-Leasing und -Verleihgeschäft für Hotels und Reiseveranstalter eingestiegen.

Mit Sorge beobachtet der ZEG-Chef die Schlacht in- und ausländischer Sharing-Unternehmen, die in deutschen Großstädten wie Berlin oder München Straßen und Plätze mit Leihrädern vollstellen. Den meisten Anbietern gehe es nicht um das Verleihgeschäft, sondern um das Sammeln von Kundendaten, sagt Honkomp. Er ist mit seiner Genossenschaft Ende vergangenen Jahres aus der UN-Initiative Global Compact ausgestiegen - aus Protest. Die Umweltorganisation der Vereinten Nationen (UNEP) hatte der chinesischen Verleihfirma Mobike, die auch in deutschen Großstädten aktiv ist, den Titel "Champion of the Earth 2017" verliehen. Die höchste Umweltauszeichnung ausgerechnet für ein Unternehmen, das Massen von Billigrädern in die Märkte schiebt, die keiner brauche? "Wirklich ein Witz", sagt Honkomp. Schließlich schaffe Mobike in den Städten nur "Berge an Aluminiummüll".

Vielleicht regelt das aber auch der Markt. Die Firma Obike aus Singapur, die im vergangenen Jahr die Stadt München mit 7000 Leihrädern flutete, zieht sich wieder komplett aus der Bayern-Metropole zurück. Die markanten gelben Drahtesel waren in den vergangenen Monaten einer regelrechten Zerstörungskampagne zum Opfer gefallen. Bremskabel wurden zerschnitten, Sitzpolster aufgeschlitzt, Räder ins Gebüsch geworfen oder gleich in die Isar. Sie sollen nun eingesammelt, repariert und in kleinerer Zahl auf andere Städte aufgeteilt werden, sagte ein Sprecher der Firma.

© SZ vom 03.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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