Europa in der Krise:Hoffen auf die große Lösung

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Die meisten Industrieländer leben auf Pump - und damit vom Vertrauen der Anleger: Auslaufende Kredite müssen ständig durch neue ersetzt werden. Darum kämpfen die Euro-Länder so erbittert um ihren Ruf.

Simone Boehringer

Investoren, vor allem solche, die Staatsanleihen kaufen, hassen Ungewissheit, und sie bestrafen einen Schuldner, indem sie keine Schuldtitel mehr von ihm abnehmen oder ihn deutlich höhere Zinsen zahlen lassen als davor.

Welche Anleihen ausgewählter Euroländer bis Jahresende fällig werden. (Foto: N/A)

Spanien hat dieses Verhalten am Dienstag deutlich zu spüren bekommen, als sich das Land inmitten der Griechenland-Rettungsdiskussion Kapital beschaffen wollte. Für Geldmarktpapiere über 4,5 Milliarden Euro musste Madrid knapp 3,8 Prozent Zinsen bezahlen, einen satten Prozentpunkt mehr als noch vor wenigen Wochen. Am Donnerstag, dem Tag des Gipfels, sollen noch einmal fast drei Milliarden Euro am Kapitalmarkt eingesammelt werden.

Wie fast alle Länder der Euro-Zone, auch Deutschland, lebt die spanische Regierung von der Hand in den Mund. Das heißt: Auslaufende Staatsanleihen werden zum Großteil dadurch getilgt, dass neue aufgenommen werden. Das ist seit Jahren so, nicht erst seit Beginn der Schuldenkrise.

Deutschland im Mittelfeld

Nur brauchen die Staaten immer häufiger und immer mehr Geld, weil die Staatsschulden durch Bankenrettungen und Konjunkturpakete deutlich größer geworden sind. Im dritten Quartal dieses Jahres ist der Kreditbedarf größerer Schuldner wie Italien und Spanien, aber auch Frankreichs, besonders hoch, weil dann viele Anleihen auslaufen. Deutschland als derzeit stärkste Volkswirtschaft in der Euro-Zone liegt mit rund 59 Milliarden Euro inklusive Zinsen eher im Mittelfeld.

Solange das Vertrauen der Investoren an die Rückzahlungsfähigkeit vorhanden war und auch alle Staaten ihren Verpflichtungen aus eigener Kraft nachkommen konnten, funktionierte dieses Refinanzierungsmodell bei fast allen Industrieländern gut. Doch mit der Beinahe-Pleite Griechenlands machten sich Zweifel breit bei den Investoren. Sie sahen und sehen seither genauer hin und überlassen inzwischen auch bei klammen Ländern wie Portugal und Irland die Bereitstellung langfristiger Kredite dem europäischen Rettungsfonds EFSF. Beide Länder schlüpften unter den Schutzschirm, weil sie an den Kapitalmärkten nach dem Misstrauensvotum gegen Athen das Doppelte an Zinsen hätten bezahlen müssen als zuvor.

Jetzt kämpfen große Länder wie Spanien und Italien dafür, möglichst nicht mehr als sechs oder 6,5 Prozent für ihre Anleihen bieten zu müssen. Danach beginnt die kritische Zone, meinen Experten wie Philipp Vorndran vom Kölner Vermögensverwalter Flossbach & von Storch, "weil der zusätzliche Zinsaufwand dann die Konsolidierungsbemühungen der Regierungen zunichte macht". Zuletzt hatte Italiens Regierung ein 40 Milliarden Euro schweres Sparpaket verabschiedet, um ihre Glaubwürdigkeit an den Kapitalmärkten zu erhalten. In Griechenland, Irland und Portugal haben sich die Politiker ebenfalls dazu verpflichtet, deutlich weniger auszugeben, um möglichst bald wieder autark und ohne Hilfe von EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds oder der Europäischen Zentralbank am Kapitalmarkt agieren zu können.

Die Euro-Länder kämpfen um ihren Ruf, jeder einzeln, während in Brüssel über langfristige Lösungen nachgedacht wird. Einstweilen leihen sich die am meisten bedrängten Staaten über den Rettungsfonds die Bonität der reicheren, zu denen Deutschland, Frankreich, die Niederlande, Finnland und Österreich zählen, die mit ihrer erstklassigen Bonität Garantien für den Rettungsfonds EFSF ausgesprochen haben. Ob dieser Zustand in Europa zur Dauerlösung wird oder nicht, entscheidet sich in den nächsten Wochen, wohl nicht schon beim Gipfel am Donnerstag.

Die Börsen erwarten allerdings schnell ein Signal, wohin die Reise geht. "Es darf keine Lösung geben, die Zahlungsausfälle in Kauf nimmt, ohne dass klar ist, wie mit den Folgen umgegangen wird", erklärt Jens-Oliver Niklasch, Anleihenexperte bei der Landesbank Baden-Württemberg. Sonst ist die Unsicherheit wieder da - und damit steige die Gefahr, dass sich der Vertrauensverlust der Investoren auf weitere Länder überträgt. Und nichts ist so wertvoll wie Vertrauen.

© SZ vom 21.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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