Euro-Krise:Griechenlands Abschied von Privatisierungen

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Statt der angepeilten 50 könnte der Verkauf von Staatsbetrieben nur sechs Milliarden bringen.

Von Cerstin Gammelin und Kristiana Ludwig, Berlin

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Christine Lagarde, Chefin des Internationalen Währungsfonds, haben am Dienstag in Berlin in einem bilateralen Treffen ihre grundsätzliche Absicht bekräftigt, Griechenland weiter finanziell zu unterstützen. Zugleich wurde deutlich, dass die Positionen beider noch weit auseinander liegen. "Es bleibt bei der deutschen Position, dass wir wünschen, dass sich der IWF beteiligt", sagte Merkel. Allerdings müssten "die Gleichungen aufgehen". Damit spielte sie auf die umstrittenen Schuldenerleichterungen an, die der IWF als Voraussetzung dafür sieht, dass Investoren zurück nach Griechenland gehen. Berlin lehnt es bisher ab, darüber zu reden. Es sei "nicht nur die Forderung der Bundesrepublik, keinen Schuldenschnitt zu haben", verteidigte Merkel die Ablehnung. Es sei auch rechtlich nicht möglich im Euroraum. Lagarde sagte, "wir sind ganz klar noch nicht dort wo wir sein wollen". Es seien signifikante Reformen in Griechenland nötig, und die Schulden müssten tragfähig sein, damit Investoren zurück kämen.

Die griechische Wirtschaft dürfte dieses Jahr stagnieren

Kurz vor den Gesprächen im Kanzleramt gab der griechische Wirtschaftsminister Giorgos Stathakis bekannt, dass sich die griechische Regierung von einem weiteren Ziel aus dem laufenden dritten Kreditprogramm verabschiedet. Griechenland sei nur zu einem Bruchteil der mit seinen Geldgebern ursprünglich verabredeten Privatisierungen bereit, sagte er. Die vor zehn Monaten vor allem auf Drängen von Merkel bei einem nächtlichen EU-Gipfel vereinbarte Summe von 50 Milliarden Euro sei von Anfang an unrealistisch gewesen, sagte Stathakis. "Inzwischen liegen wir bei 15 Milliarden Euro". Am Ende könnten es auch nur sechs bis sieben Milliarden Euro werden. Der Minister zeigte sich optimistisch, dass die laufende Prüfung der griechischen Reformfortschritte, von der die Zahlung weiterer Hilfsmilliarden abhängt, Ende April abgeschlossen werden könnten. Am Montag hatte bereits Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble erklären lassen, dass er bis zum griechischen Osterfest den Anschluss der Prüfung erwarte.

Stathakis zufolge schreitet die wirtschaftliche Erholung in Griechenland voran. Unabhängige Beobachter schätzen die Lage allerdings gegenteilig ein. Die Regierung in Athen sei wahrscheinlich diejenige, die europaweit am wenigsten in der Lage sei, Reformen umzusetzen, sagte Klaus Regling, Chef des Euro-Rettungsfonds ESM, in Luxemburg. Wirtschaftsstaatssekretärin Brigitte Zypries, die einen Besuch ihres Ministers Sigmar Gabriel Mitte des Jahres in Athen ankündigte, sprach von einer weiter schwierigen Lage. Über ein Null-Wachstum 2016 werde das Land nicht hinauskommen.

Für weitreichende weltweite Reformen hatte zuvor IWF-Chefin Lagarde bei einem Auftritt in Frankfurt geworben. Sie drängte die Regierungen, angesichts nachlassender Konjunktur das Wirtschaftswachstum durch Reformen zu stärken und mehr Geld für öffentliche Infrastruktur auszugeben. Die Reformempfehlung gilt explizit auch für Deutschland.

Angel Gurría, Generalsekretär der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) kritisierte am Dienstag anlässlich der Vorstellung der jährlichen Länderberichte, Deutschland hinke mittlerweile in seiner Reformbereitschaft hinterher. Besonderer Bedarf bestehe in der Renten-, Steuer- und Arbeitsmarktpolitik. Zwar hätten sich die deutsche Wirtschaft und der Arbeitsmarkt nach der globalen Finanzkrise 2008 gut erholt, das Land sei in einer soliden Verfassung. Dank Mindestlohn erwarte sie für dieses Jahr eine Zunahme des Bruttoinlandsprodukts von 1,3 Prozent, 2017 dann von 1,7 Prozent. Die Zuwanderung sei eine Chance. Über die Integration überwiegend junger und gut ausgebildeter Menschen könne der Überalterung der Gesellschaft vorgebeugt werden. Als besonders wichtig sieht die OECD die Reform des deutschen Rentensystems an. Das Ruhestandsalter müsse weiter steigen, andernfalls drohe das Niveau der Rentenbezüge im Vergleich zum Durchschnittseinkommen zu sinken. Sinnvoll sei, das Rentenalter an die Lebenserwartung der Bevölkerung zu koppeln. Steuererhöhungen auf Immobilien könnten helfen, die Gesundheitsversorgung älterer Menschen zu sichern. Gurría mahnte besonders dringlich mehr Investitionen in Bildung, Infrastruktur und schwache Kommunen an. Das wichtigste Kapital sei künftig technologisches Wissen. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) begrüßte den Bericht. Die raschere Integration von Langzeitarbeitslosen und Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt sei ebenso wie Betreuungsangebote für Kinder eine "gewaltige wirtschaftliche und gesellschaftliche Herausforderung". Im kommende Haushalt 2017 habe die Bundesregierung das berücksichtigt.

© SZ vom 06.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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