Ermittlungen gegen Waffenhersteller:Sig Sauer unter Korruptionsverdacht

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Deutsche Behörden ermitteln wegen Exporten nach Kolumbien und Kasachstan, dazu lieferte der Waffenbauer Sig Sauer offenbar illegal in den Irak. Und nun berichten Insider auch noch von Ermittlungen in den USA und Indien. Es geht um Bestechung.

Von Frederik Obermaier und Bastian Obermayer, München

Die Juristen des deutschen L&O-Konzerns, zu dem Sig Sauer gehört, dürften an der derzeitigen Nachrichtenlage verzweifeln: Ermittlungen hier und da und dort. Und immer geht es um die Waffensparte des Konzerns, die Sig-Sauer-Waffen in die Welt verbringt. In Deutschland laufen schon länger Ermittlungen wegen ungenehmigter Ausfuhren nach Kolumbien und Kasachstan. In Indien werden Bestechungsvorwürfe untersucht, ebenso in den USA, das erzählen Insider. Offenbar hat Sig Sauer ein massives Problem mit seinem Geschäftsgebaren.

Der Internetauftritt von Sig Sauer verbreitet noch vor allem Stolz. Deutschlands ältester Waffenhersteller sei weltweit erfolgreich, heißt es da, und mehr noch: Die Firma gehöre zu den Weltmarktführern der Waffenbranche. Zu den Kunden gehörten Sportschützen, Jäger, Polizisten und Soldaten, wird stolz vermeldet, und dass etwa 200 Mitarbeiter am Standort im schleswig-holsteinischen Eckernförde beschäftigt seien. Dazwischen stehen Phrasen wie die, dass Qualität die Basis für das Vertrauen von Partnern und Kunden sei.

Mit dem Vertrauen ist es inzwischen so eine Sache: Es vergeht ja kaum eine Woche, in der nicht neue Details von dubiosen Geschäftspraktiken der Firma ans Licht kommen. Sie fügen sich zum Bild eines Unternehmens, das im Streben nach Expansion, nach immer mehr verkauften Pistolen und Gewehren, nach immer neuen Absatzmärkten an die Grenzen des deutschen Exportrechts gestoßen ist - und sie offenbar bewusst und systematisch überschritten hat, wieder und wieder.

Die Staatsanwaltschaft Kiel versucht schon seit Längerem die Frage zu klären, wie Sig-Sauer-Pistolen in Kasachstan landen konnten, obwohl die Lieferung von den deutschen Exportbehörden nicht genehmigt worden war. Nachdem SZ, NDR und WDR im Juli über weitere mutmaßlich illegale Lieferungen nach Kolumbien berichtet hatten, wurden die Ermittlungen auf diesen Vorgang ausgeweitet, es wurden der Firmensitz in Eckernförde und die Wohnhäuser der Eigentümer durchsucht und sogar ein Exportverbot verhängt. Die Lieferungen an diese beiden Staaten sind jedoch offenbar nur ein kleiner Teil eines viel größeren, undurchsichtigen Systems von weltweiten Waffen-Lieferungen, vorbei an den deutschen Behörden, vorbei am deutschen Ausfuhrrecht. Von "der Spitze des Eisbergs" sprechen Sig-Sauer-Mitarbeiter, die anonym bleiben möchten.

Tausende Pistolen gingen offenbar ohne Genehmigung in den Irak ( mehr dazu hier). Wie Recherchen von SZ, NDR und WDR zeigen, gelangten außerdem Sig-Sauer-Scharfschützengewehre nach Brasilien und womöglich auch nach Indien und Pakistan. Brasilien ist allerdings das einzige dieser Länder, für das vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) seit 2000 die Lieferung von solchen Gewehren aus Deutschland überhaupt erlaubt wurde - und auch das nur ein einziges Mal: im Jahr 2007 für gerade mal sechs Waffen. Schon ein Jahr zuvor hatte die Militärpolizei im Bundesdistrikt Distrito Federal nach eigenen Angaben allerdings acht Sig-Sauer-Scharfschützengewehre vom Typ SSG 3000 gekauft. Waffen aus deutscher Produktion.

Sig Sauer Deutschland hatte sie offenbar an die Schwesterfirma in den USA geliefert, von wo sie weiter nach Brasilien geschickt wurden. Nach deutschem Recht wäre für den Weitertransport - einen Re-Export - eine Genehmigung der Bafa nötig gewesen. Ob es eine solche gab, ist von dem Amt jedoch nicht zu erfahren. Sig Sauer wollte sich auf Anfrage nicht äußern.

Auch bei Pistolen-Lieferungen nach Kasachstan und Kolumbien hatte die Waffenschmiede den Umweg über die USA gewählt, ebenso bei Gewehrexporten von SSG 3000-Scharfschützengewehren nach Kolumbien. Solche Gewehre warten dem Vernehmen nach auch in einem indischen Armee-Stützpunkt auf ihren Einsatz. Im Sig-Sauer-Konzern wird zudem noch von Lieferungen nach Pakistan gemunkelt.

Im Sig-Sauer-Konzern vertrat man offenbar jahrelang die Auffassung, dass man an eine Waffe lediglich ein amerikanisches Teil anbauen müsse, etwa einen Schaft, ein Zielfernrohr oder eine Zubehörschiene, und - schwuppdiwupp - werde aus einer deutschen eine amerikanische Waffe. Ein Vorgehen, das selbst ein deutscher Anwalt, mit dem Sig Sauer zusammenarbeitete, später illegal nannte: "Attaching a stock to the SSG 3000 firearm does not make for a self-contained new firearm", heißt es im vierseitigen Schreiben einer rheinland-pfälzischen Anwaltskanzlei: Einen neuen Schaft an ein Gewehr zu schrauben, mache daraus keine neue Waffe. Damit verdeutlicht der Anwalt, dass die offenbar langjährige Praxis von Sig Sauer gegen deutsches Exportrecht verstößt. Gingen die Exporte dennoch weiter? Dazu wollte sich der Waffenbauer nicht äußern.

Das Unternehmen steckt derzeit in der Krise. Die Staatsanwaltschaft Kiel ermittelt, das Ausfuhrverbot bereitet Probleme. Sig Sauer hat inzwischen Kurzarbeit eingeführt, die komplette Nachtschicht soll gestrichen worden sein. Die 200 Mitarbeiter, von denen auf der Firmenhomepage die Rede ist, beschäftigt das Unternehmen längst nicht mehr, es sind nur noch etwa 130. Und Ron Cohen, der Chef von Sig Sauer USA, soll eine bereits geplante Reise zur deutschen Schwesterfirma in Eckernförde abgesagt haben. In der Firma heißt es, er habe wohl gefürchtet, festgenommen zu werden.

Mitarbeit: Murali Krishnan, Marcelo Soares da Silva

© SZ vom 10.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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