Energiewende:Die Rechnung zahlt immer der Verbraucher

Vor Entscheidung zu Energiepaket

Auch im Angebot: das Braunkohlekraftwerk von Vattenfall in Jänschwalde, Brandenburg.

(Foto: Patrick Pleul/dpa)

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel feiert das Ergebnis des Strom-Gipfels als "Versöhnung von Ökologie und Ökonomie". Viele Fragen bleiben offen - nur eine nicht: Wer für das Ganze zur Kasse gebeten wird.

Von Markus Balser und Michael Bauchmüller, Berlin

Nach wochenlangem Streit hat sich die große Koalition auf Eckpunkte zur Umsetzung der Energiewende geeinigt. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) sprach am Donnerstag in Berlin von einer "Blaupause für die Versöhnung von Ökologie und Ökonomie" und einem "historischen" Ergebnis. Endlich würden die "losen Enden der Energiewende" zusammengeführt. Ein Überblick.

Was sehen die Eckpunkte vor?

Die Koalition hat eine Reihe von Streitpunkten abgeräumt. So war lange unklar, wie sich das deutsche Klimaziel bis 2020 einhalten lässt - dazu sollen nun schrittweise Kohlekraftwerke vom Netz gehen. Umstritten war auch der Ausbau der Stromnetze Richtung Süden, gegen den Bayern Einspruch eingelegt hat; ebenso die Frage, ob der Staat in den Strommarkt eingreifen muss, damit sich der Bau sauberer Gaskraftwerke wieder lohnt. Selbst über Castoren sprachen die Parteichefs Angela Merkel, Horst Seehofer und Sigmar Gabriel.

Wird das Klimaziel nun erreicht?

Das bleibt fraglich. Gabriel selbst hatte dafür eine neue Abgabe ins Spiel gebracht, die vor allem ältere Braunkohlekraftwerke zusätzlich belastet hätte. Weil sich diese Abgabe auch jederzeit hätte verschärfen lassen, wäre sie vergleichsweise zielgenau gewesen. Genau deshalb lehnte die Stromwirtschaft sie ab. An ihre Stelle soll nun ein Mix aus Kraftwerks-Stilllegungen und der Förderung klimafreundlicher Anlagen treten. Ob das reicht, ist offen. Umweltschützer sprechen von "Luftbuchungen".

Was genau soll gefördert werden?

Allein 1,5 Milliarden Euro sollen in Kraftwerke fließen, die sowohl Strom als auch Wärme erzeugen. Sie gelten als besonders effizient. Das Geld soll unter anderem helfen, kohlegefeuerte Anlagen durch solche zu ersetzen, die das klimafreundlichere Erdgas verbrennen. Dies soll bis 2020 jährlich vier Millionen Tonnen Kohlendioxid sparen. Auch Eigenheim-Besitzer können auf neue Förderung hoffen, zum Beispiel für den Austausch alter Heizkessel. Die Kommunen sollen ebenso etwas beitragen wie die Deutsche Bahn. Insgesamt 5,5 Millionen Tonnen CO₂ soll das einsparen - für 1,16 Milliarden Euro im Jahr.

Und welchen Beitrag leistet die Kohle?

Sie soll 12,5 Millionen Tonnen CO₂ einsparen, deutlich weniger als mit Gabriels ursprünglichem Vorschlag einer Abgabe. Dazu sollen zwischen 2017 und 2020 Kohleblöcke mit insgesamt 2,7 Gigawatt Leistung zuerst für vier Jahre in eine Reserve gehen, um dann endgültig stillgelegt zu werden. Das sind 13 Prozent der Braunkohle-Leistung. Je nach Größe der Kraftwerke könnte das bis zu zehn Blöcken entsprechen. Die Einzelheiten will die Regierung mit den Energieversorgern klären. Auch die EU-Kommission muss sie noch davon überzeugen, dass es sich nicht um eine unerlaubte Beihilfe handelt. 2018 soll überprüft werden, ob die 2,7 Gigawatt reichen.

Was kostet das?

Die Stromkonzerne lassen sich dafür bezahlen, dass sie die Kraftwerke einsatzbereit halten. Das Wirtschaftsministerium rechnet mit jährlich 230 Millionen Euro Kosten allein dafür, macht bei vier Jahren gut 900 Millionen Euro. Anschließend soll geklärt werden, ob eine solche Reserve für die Zukunft überhaupt nötig ist.

Wer zahlt das alles?

Die Kosten für die Reserve werden auf die Netzentgelte umgelegt, die alle Stromkunden zu zahlen haben. Das gleiche gilt für Mehrkosten beim Netzausbau, etwa für die teurere Erdverkabelung. Ein Großteil der Förderungen soll über den "Energie-und Klimafonds" gezahlt werden, mittelbar sind das Steuermittel. Und die Förderung der Wärme-Kraftwerke soll per Umlage bei den Stromkunden erhoben werden. Diese so genannte "KWK-Umlage" gibt es schon. Um sie gleichmäßiger zu erheben, sollen auch energieintensive Unternehmen künftig mehr Umlage zahlen.

Was heißt das für die Stromkonzerne?

Drei Unternehmen fördern und verbrennen hierzulande Braunkohle: Vattenfall, RWE und die mitteldeutsche Mibrag. Sie sind mit der Lösung fein raus, Vattenfall sprach am Donnerstag von einer "guten Nachricht für die mehr als 8000 Mitarbeiter der Braunkohlensparte". Denn der Kompromiss macht aus der Last einer Klimaabgabe für sie Mehreinnahmen: Sie müssen für ihre alten Kraftwerke keinen Aufschlag mehr zahlen, sondern werden dafür entlohnt, dass diese stillstehen. Von einem "denkwürdig bizarren" Ergebnis sprach die Umweltstiftung WWF. Allerdings will der Bund verhindern, dass in der neuen Reserve auch Kraftwerke landen, deren Stilllegung ohnehin geplant war.

Was bedeutet die Einigung zu den Stromnetzen?

Die Bundesregierung kommt dem schärfsten Gegner neuer Trassen, Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU), entgegen. Er hatte sich vehement gegen neue Leitungen gestemmt, mit denen Strom aus dem Norden ohne große Übertragungsverluste nach Süden gebracht werden soll. Viele Bürgerinitiativen hatten sich gegen die sogenannten Monstertrassen gewehrt, vor allem in Bayern. Nun sollen unterirdische Erdkabel bei Gleichstromtrassen Vorrang vor Freileitungen bekommen. Zudem sollen neue Trassen verstärkt entlang bestehender Leitungen verlegt werden. "Eine Monstertrasse verschwindet einfach", sagt Seehofer.

Entstehen aber sollen im Süden bis 2021 einige Gasturbinen - die schnell Strom liefern, wenn er mal eng wird.

Lässt sich das ohne Weiteres umsetzen?

Nein. Die Netzbetreiber müssen nun Planungen umstellen. Das kostet Zeit. Zudem soll die geplante Suedlink-Trasse, die vom Norden nach Bayern und Baden-Württemberg führen soll, eine andere Strecke nehmen. Anders als bisher geplant, soll sich die Trasse nicht erst im unterfränkischen Grafenrheinfeld teilen, sondern weiter nördlich. Die hessische Landesregierung erklärte prompt, sie sei zu "einseitigen Geschäften zu Lasten Hessens" nicht bereit.

Und was ist mit den Castoren?

Auch hier drückt Bayern auf die Bremse. Erst kürzlich hatte das Bundesumweltministerium einen Plan vorgelegt, mit dem von 26 heimatlosen Castoren bis zu neun beim Atomkraftwerk Isar abgestellt werden sollen, sehr zur Empörung der bayerischen Staatskanzlei. Nun soll erneut über die Atommüll-Behälter gesprochen werden, die ursprünglich für das mittlerweile geschlossene Zwischenlager in Gorleben vorgesehen waren.

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