Digitalisierung:Mit Datenbrille auf der Baustelle

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Illustration: Stefan Dimitrov (Foto: N/A)

Warum ein hessischer Malermeister die digitale Welt für seinen Betrieb nutzt, auch wenn dies aufwendig ist.

Von Thorsten Riedl

Frank Oswald muss lachen. Ja, einige seiner Malerkollegen würden ihn schon für durchgedreht halten. Denen zeige er dann aber gern einen Blick in das Ergebnis seines Betriebs. Und das kann sich sehen lassen - dank Investitionen in digitale Werkzeuge. "Kein Handwerker macht sich Gedanken um eine Bohrmaschine für 1000 Euro", sagt Oswald, "aber eine Software für die Hälfte, die dann die Arbeit deutlich erleichtert, eine solche Investition wird dreimal überlegt." Für ihn ist klar: Er würde den digitalen Weg immer wieder gehen - auch wenn es manchmal nicht einfach fällt.

Mittelstand und Digitalisierung - das wird nicht sofort zusammengebracht. Einer Studie der Commerzbank zufolge ist Oswald aber nicht alleine. Laut Umfrage unter 4000 mittelständischen Unternehmern nutzt jeder sechste digitale Techniken im eigenen Betrieb. "Vorreiter gibt es in allen Branchen und unabhängig von der Unternehmensgröße oder dem Alter der Manager", wird Markus Beumer im Rahmen der Studie zitiert, Vorstand der Commerzbank und verantwortlich für das Mittelstandsgeschäft. Wenn das Potential der Digitalisierung auch die meisten erkennen, Taten folgen nicht unbedingt. Immerhin 63 Prozent der Befragten räumen ein, dass der Mittelstand das Thema noch eher vernachlässigt.

Oswald ist Malermeister und Betriebswirt des Handwerks - sowie Inhaber des Malerbetriebs Adam Oswald im hessischen Geisenheim in vierter Generation. Ein wenig Familientradition hält er aufrecht: Morgens etwa läutet er mit einer Glocke zu einer Lagebesprechung der 30 Mitarbeiter des Unternehmens. Mit dieser Glocke hat schon sein Vater die Mannschaft zusammengerufen. Sonst hat sich einiges geändert, vor allem an den Abläufen.

Die Maler und Stuckateure protokollieren ihre Einsatzzeiten mit dem Handy

Kommen die Angestellten auf der Baustelle an, geht der erste Griff zum Handy. Nein, nicht WhatsApp oder Facebook checken - die Maler und Stuckateure protokollieren ihre Einsatzzeiten und Aufgaben. Die Informationen wandern automatisch ins Computersystem in der Zentrale. Dort werden die Daten für die Lohnabrechnung ebenso genutzt wie für das Erstellen der Rechnungen für die Klientel. Die Kollegen am Ort können auch Vorschläge weitergeben: wenn der Kunde beispielsweise noch eine andere Arbeit wünscht. Das Ganze funktioniert nicht nur schriftlich auf den Handys und Smartphones der Mitarbeiter. Wer will, kann die Informationen auch gesprochen weitergeben. Der Computer wandelt das Gesendete automatisch in eine E-Mail und informiert den Baustellenleiter. "Wir sind stolz darauf, so innovativ zu sein", sagt Oswald.

Der Computer denkt an all die Kleinigkeiten, die auf dem Bau anfallen

Der clevere Gebrauch der Diensthandys ist nur ein Beispiel. Dem Malermeister geht es darum, möglichst viele Abläufe im Betrieb zu digitalisieren. Das schließe Fehlerquellen aus und erhöhe die Qualität. Die Digitalisierung im Dienst des Kunden beginnt schon vor dem Auftrag. Wenn ein Interessent anruft, werden seine Daten im Computer erfasst. Der Chef bekommt vom System den Auftrag, ein Angebot zu unterbreiten. Die Sekretärin erhält automatisch die Aufgabe, nachzutelefonieren. Ist der Auftrag erteilt, hilft der Computer auf der Fahrt zur Baustelle weiter: Er "denkt" an all die Kleinigkeiten, an das Informieren der Nachbarschaft beispielsweise, an die Genehmigung für das Gerüst - oder auch die Toilette für die Baustelle. "Das System unterstützt uns automatisch bei den vielen einzelnen Verrichtungen für die Arbeitsvorbereitung", sagt Oswald. Am Anfang sei es viel Arbeit gewesen, die Software auf den Betrieb und die eigenen Bedürfnisse einzurichten. Vor allem die Mitarbeiter zu gewinnen, sei aber das Schwierigste gewesen. So habe es zur Vorstellung der Diensthandys extra eine Teambesprechung gegeben, um Ängste zu nehmen. Es gehe eben nicht darum, erklärt der Malermeister, die Kollegen zu überwachen, sondern deren Arbeitsleben zu erleichtern. "Nur allein die technischen Voraussetzungen zu schaffen und zu glauben, jeder spielt mit, das funktioniert so nicht", sagt er.

Die Idee zur Einführung der Software hatte er beim Besuch eines Seminars mit einem befreundeten Unternehmensberater. Dort erfuhren beide, dass es Mittel vom Staat für Handwerksbetriebe gibt, um solche Vorhaben zu realisieren. Die Adam Oswald GmbH ist nun ein Vorzeigebetrieb der Mittelstand Digital-Initiative des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Die Finanzierung der Software stemmte Oswald aus eigener Tasche. Einen Teil der Kosten gab es zurück. Die Finanzierung war also kein Thema.

Glaubt man der Unternehmensberatung Wieselhuber & Partner könnte das allerdings künftig zu einem Problem werden. Auch wenn der Mittelstand die drängenden Aufgaben der Digitalisierung erkannt hat, bei den Banken fehlt das Verständnis noch. "Banken und Sparkassen sind auf die Finanzierung der Digitalisierung nicht ausreichend vorbereitet", erklärt Christian Groschupp, Berater bei der Gesellschaft. Die Digitalisierung verändere den Finanzbedarf. Eine digitale Fabrik nach dem Industrie 4.0-Standard etwa brauche nicht unbedingt teure Maschinen, sondern clevere - mit ganz anderem Platzbedarf und zu ganz anderen Kosten.

Oswald ficht das nicht an. Sein System läuft. Und: "Mir bereitet es Freude, an neuen Dingen mitzuarbeiten." Da sein Malerbetrieb als Pilotprojekt einige Prominenz hat, arbeitet er eng an neuen Vorhaben, etwa mit Wissenschaftlern des Fraunhofer Instituts. Elektronische Datenbrillen etwa hätten seine Mitarbeiter schon auf der Baustelle getestet oder digitale Assistenzsysteme, die in Jacken untergebracht waren. Der Weg zurück, der sei für ihn unvorstellbar. "Es gibt doch noch Kollegen, denen man ein Fax schicken muss, damit sie in ihr Mail-Postfach sehen - das kann es im Jahr 2015 ja auch nicht mehr sein." Und wieder kann er sich ein Lachen nicht verkneifen.

© SZ vom 10.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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