Digitalisierung:Die Angst vor der Umarmung

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Eine Studie zeigt: Deutschland hat eigentlich gute Voraussetzungen, um bei der digitalen Transformation ganz weit vorne zu sein - aber es mangelt an der Bereitschaft zum Wandel.

Von Ulrich Schäfer, München

Platz 17: Das ist für ein Land, das im Internet der Dinge ganz vorn mit dabei sein will, nicht gerade toll. Platz 17: Das passt nicht zum Anspruch der Kanzlerin, die auf ein "digitales Wirtschaftswunder" hofft. Platz 17: Das ist die Position, die Deutschland in einem Index einnimmt, der erstmals die digitale Wettbewerbsfähigkeit von Nationen misst.

Am Mittwoch hat das IMD in Lausanne diesen Index erstmals veröffentlicht. Schon seit Jahren bewertet das World Competitiveness Center der Schweizer Eliteuniversität, wie gut es um die Wettbewerbsfähigkeit ganzer Volkswirtschaften bestellt ist (Deutschland liegt hier aktuell auf Rang 13, ganz vorne: Hongkong, die Schweiz, Singapur und die USA). Nun hat es erstmals einen speziellen Blick auf jenes Feld der Wirtschaft geworfen, dem die Zukunft vorausgesagt wird: das Digitale.

Und dabei hat sich gezeigt: Deutschland fehlt es nicht so sehr am Geld, nicht so sehr an innovativen Unternehmen, nicht so sehr an Patenten in diesem Bereich oder am Wissenstransfer - sondern vor allem an der "richtigen Einstellung", meint Arturo Bris, der Direktor des IMD World Competitiveness Center. "Es fehlt an der nötigen Agilität und Flexibilität, an der Bereitschaft, die digitale Transformation wirklich zu umarmen."

Dies hat zur Folge, dass Deutschland in der digitalen Weltrangliste selbst hinter Ländern wie Neuseeland (Platz 14), Australien (Platz 15) und Österreich (Platz 16) rangiert. Und damit auch deutlich hinter den drei Erstplatzierten Singapur, Schweden und den USA. In diesen Ländern ist die Digitalisierung entweder - wie in Singapur - ganz essenzieller Teil einer aggressiven Wirtschaftspolitik; oder aber es sind - wie in den USA - die Unternehmen aus Entwicklungszentren wie dem Silicon Valley, die für ein anderes Denken im ganzen Land sorgen.

Insgesamt gebe es aber keinen Anlass dafür, in Deutschland in Depression zu verfallen, meint Bris. Denn für ein vergleichsweise großes Land sei die Bundesrepublik gar nicht so schlecht positioniert. Kleine und mittlere Staaten hätten bei der digitalen Wettbewerbsfähigkeit einen klaren Vorteil, ihnen falle es sehr viel leichter, die notwendige Infrastruktur zu schaffen: die leistungsstarken Mobil- und Breitbandnetze, vernetzte Behörden, Schulen und Universitäten. All dies sind Aspekte, die in die Bewertungen des IMD einfließen.

Insgesamt haben die Forscher aus der Schweiz 52 unterschiedliche Aspekte ausgewertet, anhand derer sich die digitale Wettbewerbsfähigkeit von Nationen vergleichen lässt. Weit vorn liegt Deutschland dabei in Bereichen, die schon seit jeher als Stärke der hiesigen Wirtschaft gelten: Die duale Berufsausbildung (und damit das fundierte Wissen deutscher Facharbeiter) ist im digitalen Zeitalter ebenso von Vorteil, wie die Forschungsstärke der hiesigen Wissenschaftler oder die Innovationskraft der etablierten Unternehmen.

Weit hinten liegt Deutschland dagegen, wenn es zum Beispiel darum geht, wie leicht sich ein Start-up gründen lässt: Platz 54 von 63 Plätzen. Auch die Investitionen in die Telekommunikation (Platz 51) sind nach Ansicht des IMD zu gering. Ebenso gebe es zu wenig weibliche Forscher und Entwickler in den Unternehmen, hier nimmt Deutschland nur Platz 40 ein. Und doch glaubt Arturo Bris, dass Deutschland eigentlich über gute Voraussetzungen verfügt, um bei der Digitalisierung in den nächsten Jahren ganz weit vorne mit dabei zu sein. "Andere Länder müssen erst mal sehr lange in ihr Bildungssystem investieren, in ihre Infrastruktur oder ihre bestehenden Unternehmen innovativer machen. All das muss Deutschland nicht", sagt Bris. "Die Aufgaben sind kleiner."

China zum Beispiel liege nur auf Rang 31. Denn abseits der großen Metropolen sei von der Digitalisierung oft nicht allzu viel zu spüren. Auch Brasilien, zuletzt hoch gelobt als Standort innovativer Start-ups, hat massive Probleme mit seiner Infrastruktur und dem Bildungssystem. Die Folge: nur Rang 55.

Deutschland dagegen könne die Probleme, die es gebe, sehr viel schneller beheben, sie seien nicht so gravierend, meint Bris. Entscheidend sei es, die notwendigen Veränderungen schnell und entschlossen anzugehen und sich der digitalen Transformation wirklich zu öffnen. "Dann wird Deutschland in den nächsten Jahren deutlich aufholen", sagt der Wissenschaftler vom IMD. Und verweist dabei insbesondere auf die Möglichkeiten, die das Internet der Dinge biete: also die Vernetzung von Milliarden digitaler Geräte - vom Smartphone über das Haus und das Auto bis hin zu Fabriken und Krankenhäusern. "Auf lange Sicht werden jene Länder vorne liegen, die schon traditionell über eine starke Industrie verfügen", sagt Bris.

© SZ vom 01.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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