Deutsche Bahn:Mit Tempo 300 nach Berlin

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Kanzlerin Angela Merkel und Bahnchef Rüdiger Grube sowie Lokführer Stefan Baumgart (v. li.) weihten am Mittwoch eine neue ICE-Strecke ein. (Foto: Jens Meyer/AP)

Die Bahn eröffnet ein 123 Kilometer langes Teilstück ihrer neuen Schnellstrecke von München an die Spree. Das Zehn-Milliarden-Projekt bleibt trotz kürzerer Fahrzeiten umstritten.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Für den Bund Naturschutz ist sie "ein Milliardengrab", für Bundeskanzlerin Angela Merkel ein Jubiläumsgeschenk zu 25 Jahren Deutsche Einheit: Ende 2017 wird die längste Baustelle Deutschlands, das "Verkehrsprojekt der Deutschen Einheit Nr. 8", voraussichtlich zum größten Teil beendet sein. Dann sollen Züge von Berlin nach München über Leipzig und Erfurt nur noch etwa vier Stunden brauchen. Zur Zeit sind es ungefähr sechs.

Bahnchef Rüdiger Grube und Merkel eröffneten am Mittwoch ein entscheidendes Teilstück der neuen ICE-Trasse, die 123 Kilometer lange, 2,8 Milliarden teure Schnellstrecke zwischen Erfurt, Leipzig und Halle. Mit dabei Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU), die Ministerpräsidenten von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen und zwei Sonderzüge, die auf der neu gebauten Verbindung fuhren.

Es ist ein Projekt der Superlative, bei dem sich wieder einmal zeigt, wie schwer solche Riesenbauvorhaben umzusetzen sind. Beschlossen wurde der Neubau 1991. Ursprünglich sollte die gesamte Trasse von Berlin nach München bereits zur Jahrtausendwende fertig sein. Immer wieder mussten Deutsche Bahn (DB) und Bundesregierung die Kosten neu kalkulieren. 1996 war noch von umgerechnet etwa fünf Milliarden Euro die Rede. Nun belaufen sich die Investitionen auf zehn Milliarden Euro. Ob sich der Aufwand für die Bahnkunden lohnt, ist jedoch umstritten. Der Konzern verweist darauf, dass sich bereits mit dem Fahrplanwechsel vom Sonntag an die Fahrzeiten zwischen Erfurt und Halle/Leipzig halbieren. Die ICE sind dann etwa 40 Minuten schneller in Halle und etwa 30 Minuten schneller in Leipzig. Auch Kunden, die per Zug von Dresden oder Berlin nach Frankfurt am Main reisen, sparen Zeit. Von der Hauptstadt in die hessische Metropole geht es dann in knapp vier Stunden, wenn die Züge wirklich wie vorgesehen teilweise Tempo 300 fahren.

Der Verkehrsclub Deutschland hätte das Geld lieber anders verteilt

Sollte wie geplant Ende 2017 der zweite Abschnitt durch den Thüringer Wald und nach Nürnberg fertig werden, will die Bahn ihr Angebot weiter ausbauen. Geplant sind dann drei ICE-Sprinter zwischen Berlin und München. Diese sollen noch mal eine halbe Stunde schneller sein als die normalen Hochgeschwindigkeitszüge, die nach früheren Angaben vier Stunden und 15 Minuten brauchen werden. Die Bahn erhofft sich dadurch einen Zuwachs an Fahrgästen auf der Reise von der Spree an die Isar um etwa 70 Prozent und mehr Kunden, die nicht mehr fliegen: Der frühere DB-Fernverkehrschef und neue Konzernvorstand Berthold Huber ging Anfang 2013 noch davon aus, dass dann 40 Prozent des gesamten Verkehrs zwischen Berlin und München auf der Schiene stattfinden wird.

Trotzdem hält der Fahrgastverband Pro Bahn nicht viel von dem neu eröffneten Teilstück des Prestigeprojekts: "Es ist mit ein bis zwei Zügen pro Stunde kläglich ausgelastet für die hohen Baukosten." Weil die Strecke ohne optische Signale am Gleis auskommt und stattdessen mit dem neuen funkbasierten europäischen Zugsicherungssystem ECTS ausgerüstet ist, werden laut Bahn außerdem zunächst kaum Güterzüge fahren. Dies lohne sich erst, wenn die ganze Neubaustrecke fertig sei. Auch der Verkehrsclub Deutschland hält die zehn Milliarden Euro für nicht gut angelegt. Anstatt so viel Geld in eine Rennstrecke zu stecken, die viel zu wenig Kunden nutze, hätte man besser viele kleinere Streckenabschnitte zügig ausbauen sollen, sagte eine VCD-Sprecherin. Ärgerlich sei auch, dass beim Bau dieser Trasse nicht an die Anbindung an angrenzende Strecken gedacht worden sei. "Es gibt noch keine Integration in das Gesamtnetz." Die Grünen monieren ebenfalls, dass nur wenige große Städte profitieren würden.

Die Bahn baut auch drei andere Strecken neu, zum Beispiel von Lübeck nach Puttgarden

Die Bahn will ihr Angebot im Fernverkehr allerdings langfristig ausbauen. Züge sollen nicht nur häufiger fahren als bisher, sondern auch in mehr Städten halten. Bis 2030 soll in nahezu allen Städten mit mehr als 100 000 Einwohnern mindestens alle zwei Stunden ein Fernzug stoppen. Dadurch erhalten fünf Millionen Menschen, die bislang keinen Zugang hatten, eine Anbindung an den Fernverkehr. Durch das neue Konzept sollen 190 zusätzliche Direktverbindungen aus kleineren Städten in die 50 größten Städte Deutschlands entstehen. Gleichzeitig baut die Bahn drei andere Strecken neu: von Karlsruhe nach Basel, die Hochgeschwindigkeitsstrecke von Wendlingen nach Ulm entlang der Autobahn A8 und die neue Fehmarnbelt-Trasse zwischen Lübeck und Puttgarden.

Bis alles fertig ist, brauchen die Kunden jedoch Geduld. Als Manfred Stolpe 2003 noch Bundesverkehrsminister war, hoffte der SPD-Politiker, dass die Neubaustrecke von Berlin nach München 2012 in Betrieb gehen wird - rechtzeitig für die Olympischen Spiele in Leipzig. Beides blieb ein Wunschtraum.

© SZ vom 10.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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