Deutsche Bahn:Große Baustelle

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Was die geplante Sperrung der wichtigen Zugstrecke in diesem Jahr für die Kunden und für das Unternehmen selbst bedeutet.

Von Markus Balser, Berlin

Es soll eigentlich ein guter Tag für die Deutsche Bahn werden - und auch für deren Kunden. Der Konzern lädt am Donnerstag zum Bildtermin in seine gläserne Zentrale am Potsdamer Platz in Berlin. Ex-Fußballspieler Mehmet Scholl soll etwas Sieger-Image verbreiten. Der Nationalspieler und Europameister von 1996 stellt bei einem Werbetermin die "Sieger BahnCard" vor, die sich der Konzern zur Fußball-EM im Sommer ausgedacht hat. Wer die Karte kauft und den EM-Sieger richtig tippt, darf im August kostenlos durchs Land reisen.

Es gibt also etwas zu gewinnen bei der Bahn. Doch für den sorgsam vorbereiteten Image-Termin interessiert sich kaum noch jemand. Eine ganz andere Nachricht rückt die Präsentation in den Hintergrund. Denn es ist durchgesickert, dass der Konzern eine seiner wichtigsten Schnelltrassen auf der Strecke zwischen Hannover und Kassel für zwei Wochen sperren muss. Für viele Bahnkunden bedeutet das wohl einen großen Zeitverlust.

Denn vom 24. April bis zum 8. Mai soll auf dem eigentlich viel befahrenen Abschnitt Stillstand herrschen. Schuld trägt eine "große" wie "kurzfristige" Baumaßnahme. Die Bahn muss auf der 30 Jahre alten Strecke auf mehreren Abschnitten den Schotter austauschen - eine Geschwindigkeitsreduzierung reicht nicht mehr aus. Das bestätigte die Bahn dann auch am Donnerstagabend. Auf mehreren Abschnitten der Schnellbahnstrecke Hannover-Kassel mit einer Gesamtlänge von mehr als 30 Kilometern solle das Gleisbett saniert werden. Insgesamt würden 130 000 Tonnen Schotter ausgetauscht. Die Auswirkungen für Kunden sollten so gering wie möglich gehalten werden, hieß es. Im Fernverkehr würden während der Sperrung über 90 Prozent der planmäßigen Kapazitäten angeboten. Auch der Messehalt in Hannover bleibe bestehen. Wegen der notwendigen Umleitungen werde es aber zu längeren Fahrzeiten von bis zu einer Stunde kommen.

Auch könnten nicht alle Bahnhöfe bedient werden. In der Bundespolitik wächst die Kritik an der Informationspolitik. Seit Jahren schon mahne die Bundesnetzagentur als zuständige Aufsichtsbehörde ein besseres Baustellenmanagement bei der Bahn an, kritisierte etwa der Grünen-Sprecher für Bahnpolitik im Bundestag, Matthias Gastel. "Die Bahn muss endlich dahin kommen, ihre Baustellen verlässlich zu koordinieren und frühzeitig zu kommunizieren. Sonst gehen ihr weitere Fahrgäste von der Stange", sagt Gastel. Auch Behörden machen Druck. "Die Bahn ist aufgefordert, das EBA über die weitere Entwicklung auf dem Laufenden zu halten", erklärte das Eisenbahn-Bundesamt.

Warum kündigt das Unternehmen Details erst kurzfristig an?

Dem Fahrgastverband Pro Bahn war längst klar, was die Streckensperrung bedeuten dürfte. Passagieren auf der Nord-Süd-Trasse drohe eine um eine Stunde längere Fahrzeit, sagte Ehrenpräsident Karl-Peter Naumann. "Was wir als Kundenverband nicht verstehen ist, dass man hier Maßnahmen en détail sehr kurzfristig ankündigt." Das sei man von anderen Baumaßnahmen nicht gewohnt.

Auch andernorts wächst das Unverständnis. Betroffen ist etwa auch die Hannover-Messe. Die größte Industrieschau der Welt beginnt Ende April. "Gerade die Nord-Süd-Verbindung ist für unsere Besucher extrem wichtig", sagte ein Messe-Sprecher. Viele ausländische Besucher und Aussteller reisten über das Luftverkehrs-Drehkreuz Frankfurt am Main an oder nähmen den Zug.

Die Deutsche Bahn hatte erst im Februar das größte Modernisierungsprogramm ihrer Geschichte vorgestellt. Es umfasst Investitionen von insgesamt 28 Milliarden Euro in Erneuerung und Instandhaltung des deutschen Schienennetzes bis zum Jahr 2019.

Die Bahn plant nach Angaben der Schienentochter DB Netz in diesem Jahr insgesamt 850 Baustellen im Streckennetz - so viele wie noch nie in der Geschichte des Unternehmens und etwa ein Viertel mehr als in gewöhnlichen Jahren. Die Streckensperrung zwischen Hannover und Kassel war bislang jedoch nicht bekannt.

Die Bahn bietet Reisenden während der Bauarbeiten auf dieser Strecke Kulanzregelungen an. Unter anderem erhalten Inhaber von ICE- und IC-Zeitkarten im Abo eine Teilerstattung. Bereits erworbene Sparpreistickets und Reservierungen können kostenlos storniert werden. Zum Normalpreis gebuchte Zugtickets können sie bis einen Tag vor der Reise zurückgeben und bekommen dann den vollen Preis erstattet.

Wenn vorher klar ist, dass die Fahrt länger dauert, gibt es keine Entschädigung

Für Bahnkunden stellt sich auch die Frage, ob mögliche Verspätungen zu Entschädigungen führen. Denn bei Verspätungen von mehr als 60 Minuten können sich Fahrgäste normalerweise 25 Prozent des Fahrpreises erstatten lassen, bei mehr als 120 Minuten sind es sogar 50 Prozent. Einen Anspruch haben Kunden bei einer beim Fahrkartenkauf angekündigten Fahrzeitverlängerung im rechtlichen Sinn nicht. Denn es handelt sich dann nach den Regeln der Bahn nicht um eine Verspätung.

Auf ihrer Website weist die Bahn bei Buchungen an den genannten Tagen bereits auf deutlich längere Fahrzeiten und eine Baustelle und mögliche Umleitungen hin. Über welche Strecken der Bahnverkehr umgeleitet wird, lässt die Bahn jedoch offen.

Der Staatskonzern muss mit der Vielzahl der Bauprojekte derzeit die seit Langem nötigen Sanierungen seiner teils maroden Infrastruktur beschleunigen, Engstellen beseitigen, aber auch neue Trassen bauen. Meist läuft der Verkehr allerdings während der Bauarbeiten weiter.

Für die Bahn wird die Baustelle auch zum Problem, weil sie eigentlich pünktlicher werden will. Bahn-Chef Rüdiger Grube hatte dies zum großen Projekt des Konzerns für 2016 erklärt. Etwa 25 Prozent der Fernzüge erreichen ihr Ziel bislang mit mehr als fünf Minuten Verspätung. Grube will den Wert in diesem Jahr eigentlich auf 20 Prozent senken. Im kommenden Jahr soll er schon bei nur noch 15 Prozent liegen. Ob die Züge angesichts der vielen Baustellen dieses Jahr tatsächlich pünktlicher ankommen, scheint zweifelhaft.

Die Bahn-Marketingstrategen versuchen dennoch das Beste aus der Baustellenflut zu machen. Max Maulwurf, das Maskottchen aller Projekte ist auf Plakaten mit Helm, Warnweste und Spaten immer mit einem Lächeln dabei, wenn der Konzern ein neues Ärgernis ankündigt. Offenbar ist die Figur inzwischen so bekannt, dass man in die Offensive geht. Den "knuffigen Wühler" gibt es für 3,90 Euro als Schlüsselanhänger im Bahnshop.

Allein Mehmet Scholl setzt in der Bahnzentrale sein Siegerlächeln auf. Bei der Bahn-Card-Präsentation mit einer Bahnmanagerin gibt es zwar auch keine Antworten auf die drängenden Kundenfragen. Aber immerhin: Fußball-Experte Scholl gibt sich Mühe, es den Bahnkunden beim Raten etwas leichter zu machen: "Mein Tipp? Schwer zu sagen, aber ich hoffe natürlich auf die deutsche Elf."

© SZ vom 01.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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