Demografischer Wandel:"Die Deutschen werden weniger. Na und?"

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"Wir werden es schon wuppen", sagt Thomas Straubhaar. (Foto: dpa)
  • Der Ökonom Thomas Straubhaar ist mit einem neuen Buch zurück. Seine These: Die Horrorszenarien, die wegen des demografischen Wandels verbreitet werden, sind übertrieben.
  • Auch seine neuen Thesen zur Flüchtlingsfrage und dem demografischen Wandel haben etwas Überraschendes an sich.

Von Hannes Vollmuth

Der Ökonom, der sagt, alles sei gar nicht so schlimm, hat heute wenig Publikum. Die Geschäftsräume der Körber-Stiftung am Pariser Platz in Berlin: Vor den dicken Glasscheiben schiebt sich ein Pulk spanischer Touristen Richtung Brandenburger Tor. Thomas Straubhaar begrüßt drei Journalisten und setzt sich an den XXL-Konferenztisch, an dem auch gut zehnmal so viele Menschen Platz gefunden hätten. Entwarnungen sind natürlich keine fetten Schlagzeilen. Aber drei Zuhörer? Straubhaar, Wirtschaftswissenschaftler und Professor an der Universität Hamburg, schlägt die Beine übereinander und sagt: "Die Deutschen werden weniger. Na und? Wir werden es schon wuppen."

Bitte was? Deutschland erlebt die größte Einwanderungswelle seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Kritiker warnen vor einem überforderten Sozialsystem, Befürworter schwärmen davon, dass man mit jungen Syrern jetzt endlich den demografischen Wandel aufhalten kann. Der Ökonom Thomas Straubhaar sagt: "Beides trifft einfach nicht zu." Weder sei der demografische Wandel ein Problem, noch könnte er mit Flüchtlingen behoben werden.

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Er leugnet nicht, dass die Gesellschaft altert, aber er sieht es entspannt

Straubhaar beobachtet, wie die Digitalisierung Jobs vernichtet, und jetzt kommen auch noch Roboter dazu. Die Schätzung, dass es in der Wirtschaft 4.0 auch weniger Arbeitskräfte gibt, hält er für angemessen. "Ich leugne nicht, dass die deutsche Gesellschaft altert", sagt der Ökonom. Aber er sieht es entspannt. Und er zweifelt an den demografischen Hochrechnungen, die bis ins Jahr 2060 gehen, also viel zu weit. "Wir sehen doch gerade, dass viele Dinge passieren, die man nicht vorhersehen kann." Der Entwarner warnt davor, den demografischen Wandel als gottgegeben anzusehen.

Lange war es ruhig um den 58-jährigen Ökonomen Straubhaar, der 2014 seinen Posten als Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI) aufgegeben hat. Jetzt ist er mit einem Buch zurück, das zwar entwarnen soll, aber in seiner Aufmachung natürlich trotzdem forsch daherkommen muss. Titel: "Der Untergang ist abgesagt." 200 Seiten darüber, warum der demografische Wandel nicht das Schlechteste ist. Mehr Platz in Schulen, Parks und Schwimmbädern! Weniger Menschen, auf die der Wohlstand verteilt werden kann!

Straubhaar galt lange als Marktradikaler, der auch für die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft tätig war. Nach mehreren Aufenthalten im Ausland, auch in Südamerika, machte er dann von sich reden, weil er für das bedingungslose Grundeinkommen eintrat und es auch noch immer für sinnvoll hält. Auch seine neuen Thesen zur Flüchtlingsfrage und dem demografischen Wandel haben etwas Überraschendes an sich.

Horrorszenarien hält er für Mythen

Straubhaar wehrt sich dagegen, an jeden Flüchtling eine Kosten-Nutzen-Rechnung anzulegen. Was kosten Flüchtlinge, was nützen sie dem Arbeitsmarkt? Solche Fragen hält er für falsch. "Die Aufnahme von Flüchtlingen hat etwas mit Humanismus zu tun", sagt der Ökonom. "Hier werden Sachen vermengt, die nicht zusammengehören."

Vielleicht ist Straubhaar auch deshalb so qualifiziert, über Demografie und Migration zu sprechen, weil beides zu seiner Biografie gehört. Straubhaar ist Schweizer, seit Kindertagen ist er mit den Diskussionen um Gastarbeiter vertraut. Die Arbeit, die ihn zum Professor machte, trug den Titel: "On the Economics of International Labor Migration", zur Ökonomie internationaler Arbeitsmigration.

Er ist inzwischen zögerlich mit Prognosen jeder Art, er hat sich selbst schon schwer geirrt. "Den demografischen Wandel gibt es", sagt er. Nur die Horrorszenarien dazu teile er nicht. Straubhaar hält sie für Mythen, und er hat ihnen den Kampf angesagt.

© SZ vom 04.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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