Dauerhaftes Fracking-Moratorium:Wir Hobbits

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Die Demonstranten haben gesiegt, in Deutschland wird auf Sicht nicht gefrackt. Wieder einmal haben sich damit die Romantiker durchgesetzt. (Foto: AFP)

Das Beispiel Fracking zeigt: Statt sich mit Chancen und Risiken einer Technik auseinanderzusetzen, machen die Deutschen lieber gegen alles Moderne mobil - und die Politik folgt ihnen. Mehr Bildung und weniger Verschwörungsglaube sind dringend nötig.

Von Guido Bohsem

Was hat der Hobbit mit dem Fracking zu tun? Ganz einfach, die Welt des kleinen Erdhöhlen-Bewohners ist der Gegenentwurf zu unserer modernen Zeit mit ihren Widersprüchen und Komplexitäten. Der Hobbit bedient eine Sehnsucht, Gut und Böse eindeutig zu erkennen. Mit den Guten wird gefeiert, den Bösen zieht man das Schwert über den Kopf. Gerade im romantisch geneigten Deutschland, wo mittelalterliche Burgfeste als Flucht vor dem technisierten Alltag eine ungeheure Anziehungskraft und Popularität entfalten, ist der Wunsch nach dieser einfachen Dichotomie der Welt weit verbreitet.

Und so kommt es, dass gerade die Bürger im Industrieland Deutschland immer häufiger vor technischen Neuerungen zurückschrecken, ohne die Chancen und die Risiken wirklich vollständig abgewogen zu haben. Für viele steht daher die Schädlichkeit des Frackings fest, noch bevor es ausreichend erforscht wurde. So fest verankert ist das Vorurteil, dass sich auch die Regierung das Fracking lieber auf ewig verbietet.

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Irrationale Ängste

Wo Ängste sich breit machen, versagt das Argument. Das Zahnfüllmittel Amalgam zum Beispiel ist einer der am besten erforschten Hilfsstoffe, die im menschlichen Körper eingesetzt werden. Und trotz der mehrfach erwiesenen Unbedenklichkeit glauben viele Menschen, das Zeug vergifte den Körper. Ähnlich geht es mit Bisphenol, einer Chemikalie, mit der Einkaufsbons gedruckt werden. Obwohl die europäische Lebensmittelbehörde angesichts der geringen Menge in den Zettelchen längst Entwarnung gegeben hat, fürchten viele Menschen, es löse Krebs aus, wenn sie die Bons nur anfassen.

Die hygienischen Bedingungen, unter denen heutzutage Lebensmittel verarbeitet werden, sind laut Bundesinstitut für Risikobewertung dramatisch besser, als sie es noch vor zwanzig oder dreißig Jahren waren. Dennoch fürchten sich die Deutschen mehr als jemals zuvor vor Lebensmittel-Skandalen. Ähnliche Ängste regen sich, wenn es um Funkmast-Strahlung oder um die unterirdische Lagerung von CO2 geht. Auf der anderen Seite unterschätzen die Deutschen die wirklichen Risiken des Alltags - das Autofahren etwa.

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Schwindendes Vertrauen und gezielt gesäte Zweifel

Der Risikoforscher Gerd Gigerenzer führt das vor allem auf die Unfähigkeit der Menschen zurück, Wahrscheinlichkeiten richtig zu verstehen. Dies mache sie so anfällig für Manipulationen mit Statistiken und komplexeren Zahlen. Da ist viel dran, doch vermengt sich dieser stochastische Analphabetismus mit zwei gesellschaftlichen Tendenzen, nämlich dem Beginn des Informationszeitalters und dem sinkenden Vertrauen in althergebrachte Autoritäten, sei es nun in Politik, Wissenschaft oder Gesellschaft.

Mit dem Internet steht immer mehr Menschen das Wissen der Welt zur meist freien Verfügung. Mit ein paar Klicks können sie selbst über die abwegigsten Dinge einen ganzen Berg von Informationen erhalten. Allerdings steht auf vielen dieser Seiten ausgemachter Blödsinn. Häufig wird dieser Blödsinn sogar absichtlich und gezielt produziert, etwa um die eigenen Geschäftsideen zu fördern oder an politischem Einfluss zu gewinnen.

Es ist nicht leicht, das Seriöse vom Quatsch zu trennen, und so trägt die Informationsflut mitunter mehr zur Verwirrung als zur Aufklärung bei. Dadurch mündet die segensreiche Erfindung des Internets in einem Paradox: Es ist gleichzeitig einfacher und schwieriger geworden, ein bewusster Verbraucher, mündiger Patient, informierter Kunde und aufgeklärter Bürger zu sein. Hobbits haben es da einfacher.

Mehr Wissen bedeutet mehr Offenheit

Zugleich schwindet das Vertrauen, das Einrichtungen oder Institutionen ehedem genossen haben. Patienten hinterfragen Diagnosen ihrer Ärzte, wissenschaftliche Erkenntnisse werden geleugnet, und die Politik steht ohnehin unter dem Generalverdacht, nur im eigenen und nicht im Interesse des Bürgers zu agieren. Manche gehen sogar soweit, fehlende Hinweise auf eine Verschwörung als sicheren Beleg für eine Verschwörung zu deuten, nach dem Motto: Nur wer so viel zu verbergen hat, verwischt so gründlich seine Spuren.

In so einem gesellschaftlichen Klima können Chancen nur schlecht gedeihen, weil zuvorderst die Risiken gesehen werden. Doch das Lamentieren hilft nicht. Drei Dinge braucht es, um wieder mehr Offenheit und Wagemut zu fördern: Eine bessere statistische Grundausbildung, durch die schon Schüler echte von manipulierten Zahlen zu unterscheiden lernen. Eine bessere Ausbildung im Umgang mit der Informationsfülle des Internets. Und schließlich müssen Autoritäten die lernen, besser zu erklären. Denn mit guten Argumenten könnten auch sie sich weiterhin durchsetzen. Es ist nur nicht mehr so einfach wie im Mittelalter.

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