Daimler:Wandel im Werk

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Sie sehen modern aus, sind aber bald Kandidaten fürs Museum: Verbrennermotoren bei Daimler. (Foto: Daimler AG)

Die Mitarbeiter in Untertürkheim hatten Angst um ihre Arbeitsplätze, nun hat Daimler sie beruhigt. Das Stammwerk stellt auf E-Motoren um. Und den Mitarbeitern will der Autokonzern das übliche Tarifgehalt zahlen.

Von Stefan Mayr, Stuttgart

So schnell kann es gehen. Vor einer Woche saß Mechaniker Thomas Jaeschke noch in einem Büro des Betriebsrats im Daimler-Werk Untertürkheim und haute auf den Tisch. Wenn der Vorstand mehr Mumm hätte, würde er kräftig in den Standort investieren "und nicht nur an die Großaktionäre denken", wetterte der 52-Jährige mit seiner blauen Latzhose, auf der der Mercedes-Stern prangt. Am Donnerstagmittag ist die Wut verflogen, Jaeschke verlässt die Stuttgarter Schleyerhalle mit einem zufriedenen Lächeln und sagt: "Der Vorstand hat verstanden und eingelenkt. Ganz klasse."

Wenige Minuten zuvor hatte das Management auf einer Betriebsversammlung

verkündet, dass die Daimler AG künftig an ihrem historischen Stammsitz in Stuttgart-Untertürkheim Batterien für Elektro-Autos produzieren will - und den Mitarbeitern auch das übliche Tarifgehalt zahlen wird. Damit hat die Werkleitung einen wochenlangen Streit mit den Arbeitnehmern beendet, der in der Branche gespannt verfolgt wurde. Denn der Konflikt drehte sich um jenes Thema, das in aller Munde ist: Die Elektromobilität und ihre Folgen für die deutsche Automobil-Industrie. Der Zoff von Untertürkheim wurde als Vorbote für weitere Streitigkeiten bezeichnet, die allen Autoherstellern ins Haus stehen. Die zentralen Fragen dabei: Wie viele Arbeitsplätze gehen in Deutschlands wichtigster Industrie auf dem Weg in die E-Ära verloren? Und wenn selbst der bestens verdienende Daimler große Einschnitte macht, wie läuft das dann bei schlechter aufgestellten Unternehmen? Mechaniker Jaeschke formulierte seine Sorge so: "Gehen in Untertürkheim bald die Lichter aus?"

Das Daimler-Werk Untertürkheim ist alles andere als irgendeine Autofabrik. Nachdem 1903 ihre Hallen in Cannstatt abgebrannt waren, baute die damalige "Daimler-Motoren-Gesellschaft" im benachbarten Untertürkheim eine neue Produktionsstätte auf. Seit 1904 ist hier auch der Firmensitz. Bis heute schlägt hier das Herz des Weltkonzerns mit dem Stern, und kein anderer Standort kann solch eine Geschichte vorweisen. 19 000 Menschen arbeiten hier, vom Vorstandschef Dieter Zetsche bis hin zu den Hilfsarbeitern in der Schmiede oder in der Gießerei. Heute besteht der Standort aus sechs Werkteilen, von denen jedes für sich eine eigene Großfabrik ist: Cannstatt, Mettingen, Esslingen, Brühl, Hedelfingen und eben Untertürkheim. Es ist eine Stadt mitten in der Stadt - mit Schmiede und Gießerei, mit Forschung und Entwicklung, mit Teststrecke inklusive Steilkurve mit 90 Grad Neigungswinkel.

Überall ist der Mercedes-Stern zu sehen. Auf den Dächern, aber auch auf verschwitzten T-Shirts oder schicken Business-Hemd mit eingesticktem Namen. Sie alle tragen das weltweit bekannte Symbol mit Stolz. Doch der Streit um die Zukunft des Werks drückte auf die Stimmung. Mechaniker Jaeschke und seine Kollegen fürchteten um ihre Jobs. Die Arbeitgeber um die Wettbewerbsfähigkeit. Dass der Wandel vom Verbrenner zum Stromer kommt, da waren sie sich noch einig. Aber wie und wann? Und vor allem: Wie wird das Daimler-Stammwerk für jene Zeit aufgestellt, in der keine Motorblöcke mehr gegossen und keine Getriebe mehr zusammengeschraubt werden müssen?

Das erste Angebot des Managements sah eine Batteriefertigung in Untertürkheim vor - allerdings ohne Tarifgehälter. Dies und weitere Forderungen trieb das Personal auf die Barrikaden. Untertürkheims Betriebsratschef Wolfgang Nieke verweigerte fast zwei Wochen lang jegliche Überstunde. Das tat richtig weh. Der Konzern musste zwei Samstag-Schichten bei der E-Klasse-Produktion in Sindelfingen absagen, weil Teile fehlten. Höhepunkt des Konflikts war eine Betriebsversammlung, bei der Werkleiter Frank Deiß vor Tausenden Mitarbeitern ausgebuht wurde.

Auch bei Audi kocht die Diskussion um die künftige Strategie hoch

Was für eine paradoxe Situation: Untertürkheim brummt mehr denn je, produziert am Anschlag und macht Gewinne ohne Ende. Dennoch gab es Zoff und Zukunftssorgen - bis zur Verkündigung der Einigung am Donnerstag. Künftig sollen also 250 tarifgebundene Arbeitsplätze in der E-Mobilität entstehen, etwa in der Fertigung von Batterien und der Montage von Antriebsmodulen. "Das sind gute Signale ", sagt Betriebsratsboss Nieke zufrieden. Damit sei sichergestellt, dass Untertürkheim beim Wandel ins Stromzeitalter mit dabei sei. Die Beschäftigten müssten sich keine Sorgen um ihre Jobs machen, heißt es aus dem Betriebsrat. Bis 2025 sei das Werk ausgelastet, und danach könne man auf den zugesagten E-Strukturen aufbauen. Allerdings ist auch klar, dass sich die Arbeit in Untertürkheim und allen anderen Autofabriken massiv ändern wird. "Die Beschäftigung in der Produktion wird an den teuren Standorten zurückgehen", sagt Willi Diez, Leiter des Instituts für Automobilwirtschaft in Geislingen. Dafür werden zwar mehr Arbeitsplätze durch die Digitalisierung entstehen - diese erforderten aber "komplett andere" Qualifikationen.

Bei Audi in Ingolstadt kocht die Diskussion um die E-Zukunft ebenfalls hoch: Betriebsrats-Chef Peter Mosch kritisierte am Mittwoch auf einer Betriebsversammlung Vorstandschef Rupert Stadler, weil keine zukunftssichernde Produktionsstrategie erkennbar sei. Der Stuttgarter Sportwagenhersteller Porsche seinerseits präsentierte am Donnerstag vor Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) seine neue Elektromotoren-Fertigung sowie die Baustelle für die Produktion des künftigen Stromflitzers Mission E.

Kretschmann zeigte sich "schlichtweg begeistert" von der Tatsache, dass Porsche eine Milliarde Euro in die E-Mobilität investiert und 1200 neue Jobs schafft. "Jetzt schlägt die Stunde der Investitionen", ermahnt er alle Hersteller, "die Zeit eilt, um die Hunderttausende hochwertigen Arbeitsplätze zu erhalten." Daimler-Mechaniker Thomas Jaeschke macht sich dennoch keine Sorgen: "Wir haben bei der Elektromobilität den Fuß in der Tür, das ist gut so."

© SZ vom 14.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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