Daimler:Der Wille zum Kulturbruch

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Krawattenknoten lösen und mehr Querdenken: Daimler-Chef Zetsche bricht mit alten Konventionen. (Foto: Thomas Kienzle/AFP)

Der Autohersteller Daimler legt gute Zahlen vor und möchte sich trotzdem in zentralen Punkten wandeln.

Von Max Hägler, Stuttgart

Die Bräsigkeit also ist die aktuelle Gefahr bei Daimler. In Stuttgart stellt Daimler-Chef Dieter Zetsche die Ergebnisse des vergangenen Jahres vor und kommt dann sehr rasch genau auf diesen Punkt, die gefährliche Selbstzufriedenheit, jetzt, wo es gut läuft. Tatsächlich ist ja das allermeiste sehr erfreulich, wieder einmal: Die Verkäufe legten abermals kräftig zu, auf 2,9 Millionen Autos, Busse und Lastwagen. Der Umsatz ist deshalb um 15 Prozent auf 149,5 Millionen Euro gestiegen, der Gewinn unterm Strich gar um ein Viertel auf neun Milliarden Euro. Mit den Konkurrenten Audi und BMW ist man wieder auf Augenhöhe. Und die Silberpfeile sind wieder Formel 1-Weltmeister geworden. "Manche Leute könnten denken, großartig, aber das hat Daimler ja auch schon im Jahr zuvor geschafft", sagt der Vorstandsvorsitzende. Genau das sei die Herausforderung: Es sei hart, an die Spitze zu kommen. "Aber es ist noch härter, dort zu bleiben."

Zetsche hat quasi das Problem von Erfolgsmannschaften im Fußball: Wie motiviere ich das Team nach Siegen?

Im Sport kommt es zum Trainerwechsel, bei Daimler versuchen sie jetzt so etwas ähnliches. Zetsche bleibt, natürlich, aber er will etwas Zentrales ändern: Stil und Führungsmethoden. Deutlichstes Signal: Er sitzt ohne Krawatte auf dem Podium. Das machen jetzt immer mehr Wirtschaftslenker aus Schwaben und soll wohl heißen: Wir sind locker, auch wenn wir Autos für ältere Herrschaften bauen. Querdenken soll nun ein Mittel sein, um das Momentum des Erfolgs zu verstetigen, so redet der 62-Jährige Daimler-Chef. "Es ist deshalb an der Zeit, eine neue Führungskultur zu etablieren." Acht verschiedene Modelle sollen sich Mitarbeiter aus aller Welt ausdenken. Die Hierarchien, die Kultur der Meetings und die Leistungsbewertungen: alles kommt auf dem Prüfstand. "Die einzige Bedingung in diesem Prozess ist, dass es keine Bedingungen gibt", sagt der Chef. Wohin es dabei gehe? Er wisse es nicht, er sitze dabei nicht im "Driverseat", sagt er. "Und das ist gut so."

Ein wenig Machtteilung, das ist neu bei Daimler. Aber sie scheinen den Kopf frei zu haben dafür. Die dazu passende Taktik bei der Pressekonferenz ist: Das schwierigste Thema der Branche nicht ansprechen. Nur auf Nachfrage sagt Zetsche etwas zum Diesel, dieser Antriebsart, die durch die Manipulationen bei Volkswagen ins Zwielicht gekommen ist. Auf aktuelle Vorwürfe der Deutschen Umwelthilfe, auch Daimler habe manipuliert, geht er auch dann nicht ein, sondern betont: Sein Konzern manipuliere nicht und das Verhältnis von verkauften Diesel- und Benzinmotoren sei bislang gleich geblieben. Diesel-Krise - doch nicht bei Daimler, so die Botschaft.

Auch andere Themen sprechen Zetsche und seine beiden Kollegen Bodo Uebber (Finanzen; noch mit Krawatte) und Wolfgang Bernhard (Lastwagen und Busse; ebenfalls mit Krawatte) nicht mehr so offensiv an, wie noch vor zwei, drei Jahren. Die groß angekündigte Brennstoffzellentechnik etwa ist jetzt beinahe in der Versenkung verschwunden. Und von "Mobilitätskonzern" ist derzeit auch nicht mehr so laut die Rede, wie zuletzt: Die drei Tochterfirmen - der Carsharing-Anbieter Car2go, der Taxi-Vermittlungsdienst MyTaxi und die Verkehrsinfo-App Moovel - laufen; aber die etwa 100 Millionen Euro Umsatz sind noch keine richtig relevante Dimension, zumindest nicht buchhalterisch.

Zwei Welten verbinden: die langsame Autoindustrie und die schnelle Softwarebranche

Das Unternehmen konzentriert sich offenbar wieder auf die Tradition, das Bauen von Autos mit herkömmlichen Antrieben. Und dazu kommt die digitale Welt. Zwar wird auch künftig etwa alle sieben Jahre ein Modell erneuert, wie in der Branche üblich. Aber die darin verbaute Software werde sich künftig viel öfter aktualisieren, sagen die Manager. Und sie bekommt immer mehr Platz in den Wagen: Ganz stolz sind sie auf ihre gerade eben vorgestellte E-Klasse, deren Armaturenbrett quasi nur noch aus einer beinahe meterbreiten Digitalanzeige besteht. Was darauf zu sehen ist, das ist nicht für alle Zeit festgeschrieben. Es wird Updates geben, so wie bei den Apps der Smartphones, die für viele ähnlich wichtig geworden sind, wie das Auto.

Die Kräfte der Industrie würden durch die Digitalisierung aufgemischt, sagt Zetsche, der die unterschiedlichen Geschwindigkeit dieser beiden Welten zusammenfügen will - und muss. Wer mitspielen wolle, müsse anders denken als die Autoindustrie bislang, brauche eine andere Mentalität und Kultur, sagt Zetsche. So wie das die IT-Firmen in den USA oder in China vormachten. In Deutschland sei die Region Berlin vielleicht in der Lage, rasch aufzuschließen. Das reiche nicht. Er will auch den gesamten schwäbischen Konzern dorthin bringen: zum schnelleren Arbeiten, zum digitalen Denken, ungeachtet althergebrachter Konventionen.

© SZ vom 05.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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