Commerzbank:Gehen, wenn's am schönsten ist

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Ein Karusselldach, dahinter der Römer, dahinter der Commerzbank-Turm: Nach dem Rückzug des Chefs ergeben sich für das Institut neue Perspektiven. (Foto: Frank Rumpenhorst/dpa)

Der Zeitpunkt für die Abschieds-Ankündigung von Commerzbank-Chef Blessing ist gut, die Bank ist aus dem Gröbsten raus.

Von Harald Freiberger und Meike Schreiber, Frankfurt

Wenn Unternehmenslenker ihren Rückzug ankündigen und der Aktienkurs daraufhin in die Höhe schießt, ist das wie ein Schlag ins Gesicht für Spitzenmanager. Im Fall der Commerzbank dürfte es jedoch eher an den am Montag vermeldeten Quartalszahlen und der Aussicht auf eine Dividende gelegen haben, dass die Papiere von Deutschlands zweitgrößter Bank am Montag einen Sprung von zeitweilig über sieben Prozent machten und damit größte Dax-Gewinner waren. Dass Commerzbank-Chef Martin Blessing am Sonntag nach sieben Jahren als Vorstandschef überraschend angekündigt hatte, seinen Vertrag im Herbst 2016 auslaufen zu lassen, stand laut Analysten jedenfalls nicht hinter dem Kursplus.

Blessing hat sich also einen guten Zeitpunkt für seinen Rückzug ausgesucht. Die Commerzbank, die in der Finanzkrise mit 18 Milliarden Euro an Steuergeldern vor der Pleite bewahrt werden musste und an der der Bund immer noch mit 15 Prozent beteiligt ist, scheint zumindest aus dem Gröbsten heraus: Im dritten Quartal 2015 steigerte sie den operativen Gewinn im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um rund ein Viertel auf 429 Millionen Euro - vor allem dank kräftiger Zuwächse im Privatkundengeschäft. Zudem musste das Haus dank der guten Konjunktur erneut weniger Geld für faule Kredite zurücklegen. Unter dem Strich blieb im dritten Quartal zwar weniger Gewinn hängen, das lag aber vor allem daran, dass das Institut mehr Steuern zahlen musste als im Vorjahr.

"Viele Investoren hätten sich gewünscht, dass Blessing verlängert. Immerhin läuft die Restrukturierung doch recht erfolgreich", sagte Ingo Frommen, Analyst der Landesbank Baden-Württemberg.

Das war längst nicht immer so: Als er im Mai 2008 als Nachfolger von Klaus-Peter Müller antrat, musste der Manager bereits in den ersten Monaten den Staat bitten, die Bank zu retten. Vorausgegangen war die von ihm und Aufsichtsratschef Müller betriebene - und von der Bundesregierung forcierte - Übernahme der Dresdner Bank, die nach der Lehman-Pleite die Commerzbank fast mitriss. Bis heute ist der Bund mit 15 Prozent Großaktionär - für marktwirtschaftlich denkende Banker mehr als nur ein Schönheitsfleck. So verdiente Blessing wegen der Staatsbeteiligung jahrelang maximal 500 000 Euro. Auf der Hauptversammlung im Mai stellte sich der Bund zudem quer, als die Bank Mitarbeitern die Fixgehälter erhöhen wollte.

In diesem diplomatischen Minenfeld jedoch bewegte sich Blessing stets geschickt: Der 52-Jährige konnte sich auch deshalb so lange auf seinem Schleudersitz halten, weil er gegenüber dem Bund offene und ehrliche Ansagen machte. Politiker, die in den entsprechenden Ausschüssen saßen, äußerten sich immer wieder lobend über Blessing. Auch gegenüber der Öffentlichkeit beherrschte er diese Kunst: Obwohl seine Bank über Jahre am Abgrund stand, schaffte er es, das wenige Positive deutlich in den Vordergrund zu stellen.

Mit einem Begrüßungsgeld für das Girokonto, angriffslustigen TV-Spots und dem demonstrativen Festhalten am Filialnetz gelang es ihm zum Beispiel, viele Privatkunden zu gewinnen. Das Ziel, bis Ende 2016 mehr als eine Millionen neue Kunden einzusammeln, ist in greifbarer Nähe.

"Die Bank steht heute wieder stabil da", sagte er am Montag in einem intern für die Mitarbeiter verbreiteten Interview. Sie habe die Integration der Dresdner Bank gestemmt, die Staatshilfen weitgehend zurückgezahlt, Stresstests bestanden und ihre Risiko-Papiere bedeutend abgebaut. Wenn im nächsten Frühjahr erstmals seit 2007 eine Dividende fließe, "sind wir wieder eine ganz normale Bank". Das sei ein guter Zeitpunkt für einen Wechsel.

Wer auch immer sein Nachfolger wird - intern gilt unter anderem Markus Beumer, der Chef des Mittelstandsgeschäfts, als Kandidat -, für ihn bleibt gleichwohl noch viel zu tun. Denn neben den allgemeinen Problemen, mit denen Banken derzeit kämpfen, den Magerzinsen und steigenden Kosten für Regulierung, leidet die Commerzbank darunter, dass sie stark vom deutschen Markt abhängt. Hierzulande jedoch herrscht mit den vielen Sparkassen und Volksbanken besonders harte Konkurrenz am Bankenmarkt.

So verdient die Bank zwar Geld, ist dabei aber noch nicht besonders profitabel. Wenn sich irgendwann die Konjunktur wieder verschlechtert und die Risikovorsorge für faule Kredite in die Höhe schießt, kann der überschaubare Gewinn schnell wieder dahinschmelzen.

Dirk Becker, Analyst bei Kepler Capital Markets, spricht sogar von einer "höchst durchwachsenen Bilanz" der Amtszeit Blessings. Der Aktienkurs habe sich mehr als gezehntelt, zugleich habe sich die Zahl der Aktien vervielfacht durch insgesamt zehn Kapitalerhöhungen. Nicht zu vergessen, dass die Bank sieben Jahre keine Dividende an die Aktionäre ausschüttete.

Dass sich die Lage schnell wieder eintrüben kann, zeigte sich im dritten Quartal zum Beispiel im Mittelstandsgeschäft. Die Sparte, über Jahre der einzige Bereich der Bank, der noch funktionierte, schwächelt auf einmal: Das operative Ergebnis halbierte sich im Vergleich zum Vorjahresquartal fast auf 216 Millionen Euro. Das ist zum einen eine Folge der zunehmenden Konkurrenz, weil immer mehr Banken in das Geschäft mit Unternehmenskrediten drängen. Das wiederum drückt die Gewinnmargen. Zum anderen musste die Commerzbank auf den Pleite gegangenen Gebäudeausrüster Imtech 41 Millionen Euro abschreiben; , sie hält eine Beteiligung von knapp zwölf Prozent an ihm. Für Firmenkunden-Vorstand Beumer ist das nicht die beste Ausgangsposition im Rennen um die Nachfolge Blessings. Ohnehin dürfte Aufsichtsratschef Müller auch außerhalb des Konzerns nach Kandidaten fahnden. Der Neue muss dann recht bald die bis 2020 reichende neue Strategie festgelegen. Über allem steht dabei die Frage, ob die Commerzbank die vielen Herausforderungen alleine bewältigen kann oder besser im Schulterschluss mit einer anderen großen europäischen Bank. Zum jetzigen Kurs von gut 10 Euro wird der Bund aber nicht verkaufen, schließlich hatte er 2009 noch 22 Euro für die Aktie gezahlt.

Die Nachfolgesuche dürfte jetzt erst so richtig beginnen, denn Blessings Entscheidung scheint frisch. Seine Vorstandskollegen informierte er jedenfalls erst am Sonntag nachmittag per Telefon.

© SZ vom 03.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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