Ceta:Gabriel hat recht, aber er ist trotzdem schuld

Sigmar Gabriel

Wird für die Ceta-Blamage mitverantwortlich gemacht: Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel.

(Foto: dpa)

Wer ist verantwortlich, wenn Ceta scheitert? Die Wallonen? Oder die EU-Kommission, wie der SPD-Chef kritisiert? Ja, auch, aber vor allem Gabriel selbst.

Kommentar von Nikolaus Piper

Günther Oettinger hat ja so recht. "Wollen wir jetzt noch den Kirchengemeinderat von Biberach befragen?", erregte sich der schwäbische EU-Kommissar, nachdem das Regionalparlament Walloniens das Freihandelsabkommen Ceta mit Kanada fast schon zum Scheitern gebracht hatte. Eine Blamage und ein Schlag für die Glaubwürdigkeit der EU. Wenn die Europäer nicht mal ein Handelsabkommen mit Kanada hinbekommen, was bekommen die dann überhaupt hin?

Nach dem Desaster hat die Suche nach Schuldigen begonnen. Das ist unvermeidbar und notwendig. Nur sollte man es sich dabei nicht zu einfach machen. Oberflächlich betrachtet, trägt natürlich die EU-Kommission die Verantwortung, also Oettinger und seine Kollegen. Sie hatte im Juli entgegen ihrer ursprünglichen Absicht und wider besseres Wissen die Ratifizierung von Ceta in die Hände der nationalen Parlamente gelegt. Schon damals war klar, dass der Prozess der Ratifizierung damit zur Qual werden würde. In irgendeinem Parlament wird sich immer eine Mehrheit gegen ein Handelsabkommen finden - und sei es nur, weil EU-Feindlichkeit gerade en vogue ist.

Gabriel hat Recht, wenn er die Arroganz der Kommission beklagt

Nur darf man nicht vergessen, dass die Kommission damit massivem öffentlichem Druck nachgab. Viele Ceta-Gegner taten so, als sei die Demokratie in Gefahr, wenn die Abgeordneten des Europaparlaments und nicht die nationalen Volksvertreter über das Abkommen befinden sollten. Dieser Druck kam vor allem aus Deutschland und dort vom zuständigen Minister Sigmar Gabriel. Die SPD hielt sogar einen Parteikonvent ab, bei dem die politische Zukunft Gabriels mit Ceta verknüpft wurde. Dieser Konvent war sicher größer als der Kirchengemeinderat von Biberach, zuständig für EU-Handelsverträge war er jedoch genauso wenig wie jener. Und angesichts des Gewichts Deutschlands in der EU ist klar, dass letztlich Gabriel die jetzige Krise zu verantworten hat.

Bei dieser Schuldzuweisung sind jedoch zwei Vorbehalte notwendig. Zunächst ein kleiner: Ein wichtiges Detail, das für Klagen von Investoren gegen Regierungen zuständige Gericht (anstelle des zuvor geplanten Schiedsverfahrens), ist auf Initiative Gabriels in das Abkommen aufgenommen worden. Dadurch dürfte Ceta tatsächlich "einigungsfähig" geworden sein, wie er heute sagt. Gabriel hat wohl auch recht, wenn er die Arroganz der Kommission beim Thema TTIP und Ceta beklagt.

Der europäische Konsens ist verloren gegangen

Und nun der große Einwand: Gabriel ist selbst ein Getriebener. Nach einem jahrelangen Kreuzzug gegen den Gedanken des Freihandels ist heute vermutlich die Mehrheit der deutschen Bevölkerung mehr oder weniger entschieden gegen TTIP und Ceta eingestellt. Für die Hunderttausenden, die am 17. September in deutschen Städten gegen die Abkommen demonstrierten, dürften die Wallonen Helden sein. Im Bundestag lehnen nicht nur Linke und Grüne, sondern auch viele SPD-Abgeordnete Ceta ab. Und im nächsten Jahr dürften mit der AfD weitere Freihandelsgegner ins Parlament einziehen. Und nicht zu vergessen: Das Bundesverfassungsgericht hat Ceta zwar gebilligt, aber eben nur unter Auflagen. Es kann durchaus passieren, dass die Bundesregierung die vorläufige Anwendung des Abkommens für Deutschland wieder außer Kraft setzen muss.

Schon vor langer Zeit haben die Mitgliedstaaten der EU in der Handelspolitik ihre nationale Souveränität nach Brüssel abgegeben. In einem gemeinsamen Markt kann das auch nicht anders sein. Der Kurs der EU sollte dabei im Prinzip freihändlerisch sein. Darüber herrschte in der Exportnation Deutschland früher ein breiter Konsens. Diesen gibt es nicht mehr. Und das ist das eigentliche Problem hinter der Ceta-Blamage. Gabriels Verhalten ist nur ein Symptom.

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