Bundestagswahl:Fahrrad oder Porsche

Lesezeit: 3 min

Wenig Gemeinsamkeiten: Die Spitzenkandidaten von Bündnis 90/Die Grünen, Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir, bei der Vorstellung ihres 10-Punkte Plans in Berlin (links). Rechts ein Plakat der FDP bei den Landtagswahlen in NRW mit Parteichef Christian Lindner. (Foto: Wolfgang Kumm/dpa, Ralph Goldmann/dpa)

Von den kleinen Parteien wird es abhängen, ob die große Koalition in Berlin abgelöst wird. Ein Bündnis mit Grünen und Freidemokraten aber könnte schwierig werden.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Wäre am vergangenen Sonntag Bundestagswahl gewesen, hätten 38 Prozent der Wahlberechtigten die Union gewählt, je sieben Prozent FDP und Grüne. Diese Zahlen hat das Institut Emnid am Sonntag veröffentlicht, und das Interessante daran ist die zwischen den Zahlen versteckte Botschaft. Grüne und FDP könnten nach der Bundestagswahl zu einem entscheidenden Machtfaktor werden. Ob nun die Union die Mehrheit holt oder doch noch die SPD, fest steht, dass beide großen Volksparteien mindestens einen, womöglich aber zwei kleinere Partner brauchen werden, um eine mehrheitsfähige Koalition zu schmieden. Die aktuelle Wahlumfrage zeigt, dass es an den beiden liberal ausgerichteten Parteien liegen wird, ob im Bund die große Koalition aus Union und SPD abgelöst werden kann.

Damit stellt sich ernsthaft die Frage, ob Grüne und Freie Demokraten auf Bundesebene überhaupt miteinander können.

Rein auf das Spitzenpersonal bezogen, fällt eine solche Vorstellung schwer. Christian Lindner, Vorsitzender der FDP und Spitzenkandidat zur Bundestagswahl, sagte kürzlich im Stern, er kaufe an freien Tagen gerne auf dem Markt ein, aber kein Obst und Gemüse, sondern "Leckereien" wie Fleisch oder Tabak aus Kuba. Ansonsten poliere er an einem typischen Samstag am liebsten händisch seinen Oldtimer-Porsche. Derlei Vorlieben sind von der grünen Konkurrenz nicht bekannt, im Gegenteil. Katrin Göring-Eckardt hält viel von Veggie-Days. Cem Özdemir reinigte kürzlich in einer Wahlkampfaktion in Münster die Fahrräder von Passanten und erzählte dabei von seiner Vorliebe für den Drahtesel, er selbst besitze drei Räder. Hier der Porsche, dort das Fahrrad, das zeigt, wie tief die ideologischen Gräben sind.

Detaillierten Aufschluss über das Verhältnis von Trennendem und Verbindendem geben die Wahlprogramme. Die FDP hat ihres bereits verabschiedet, die Grünen sind noch dabei, wobei die Eckpunkte stehen. Das Fazit ist ernüchternd: Grüne und FDP sind sich programmatisch fremd.

Bildung und Digitalisierung

Am ehesten sind Überschneidungen in der Bildungs- und Digitalpolitik zu erkennen. Die Grünen wollen zusätzliches Steuergeld in gute Bildung, in bessere Kita-Qualität und gut ausgestattete Schulen stecken. Die FDP nennt das Ganze eine "Bildungsrevolution": Bund, Länder und Gemeinden sollen gemeinsam deutlich mehr Milliarden in Schulen, Hochschulen und Forschung stecken. Deutschland soll einheitliche Bildungsstandards bekommen. Zudem fordern beide Parteien eine umfassende Digitalisierung von Verwaltung, Gesellschaft und Wirtschaft. Die FDP will ein Digitalministerium schaffen.

Europapolitik

In der Europapolitik sind die Programme nicht vereinbar. Zwar wollen beide Parteien an Europa festhalten, allerdings auf völlig verschiedenen Wegen. Die Grünen fordern eine klare Kurskorrektur in der deutschen Europapolitik, statt einseitiger Sparpolitik soll es Respekt, Solidarität und Nachhaltigkeit geben. Europa soll transparenter werden über mehr Entscheidungsrechte für Parlamente. Die FDP pocht dagegen auf Sparen. Sie lehnt Kreditprogramme für Griechenland ab und will, dass Athen den Euro verlässt. Der Euro-Rettungsfonds ESM soll langfristig auslaufen. Die Europäische Zentralbank soll ihre Niedrigzinspolitik beenden. Und auch die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sollen beendet werden.

Standort Deutschland

Die FDP singt den freien Marktkräften ein Loblied, mahnt aber zugleich vor sogenannten Wettbewerbsverzerrungen. Weshalb sie energieintensive Industrien, insbesondere die Chemie-, Stahl-, Metall-, Textil-, Bau- und Rohstoffindustrie, weiter subventionieren will, ebenso die maritime Wirtschaft und Fluggesellschaften. Sie fordert zudem, den Finanzplatz Deutschland zu schützen. Und: Die faire Besteuerung von Unternehmen dürfe den Standort nicht gefährden.

Ganz anders die Grünen. Sie propagieren den ökologischen Umbau der Wirtschaft. Details stellten sie gerade in ihrem 10-Punkte-Plan für gutes Regieren vor. Spätestens 2050 soll es nur noch saubere Energie in Deutschland geben, die Energiewende wird beschleunigt, Ausbaugrenzen für erneuerbare Energien werden abgeschafft. Die nächste Koalition soll die steuerlichen, fiskalischen und infrastrukturellen Voraussetzungen für eine emissionsfreie Mobilität schaffen, Subventionen für Spritfresser und das Dienstwagenprivileg sollen fallen.

Die FDP will wiederum das "Dauersubventionssystem" des Erneuerbare-Energien-Gesetzes beenden. Sie lehnt den "nationalen Klimaschutzplan 2050" ab, weil er für einzelne Sektoren in Deutschland konkrete Einsparziele vorschreibt. Damit liegen Grüne und FDP bei den Zielen zur Industrie-, aber auch zur Klima- und Energiepolitik weit auseinander.

Steuer

Auch hier gibt es so gut wie keine gemeinsamen Ansätze. Die Grünen wollen einen Teil der Haushaltsüberschüsse in die Familienförderung investieren. Sie wollen anders als die FDP den Solidaritätszuschlag erhalten, aber neu ausrichten. Der Spitzensteuersatz soll angehoben und Vermögen "angemessen" besteuert werden. Innerparteilich umstritten sind Vermögen- und Erbschaftsteuer.

Die FDP fordert, zuerst einmal Altschulden abzubauen. Gleichzeitig will sie bei Steuersenkungen nicht zurückstehen und Bezieher mittlerer und kleineren Einkommen um mindestens 30 Milliarden Euro entlasten. Eine Vermögensteuer oder auch die Finanztransaktionssteuer lehnt sie ab. Am Splittingverfahren für Ehe- und eingetragene Lebenspartnerschaften will sie festhalten, Kinderfreibeträge anheben, Betreuungskosten steuerlich absetzbar sein. Die Belastungsgrenze von Steuern und Sozialabgaben soll 50 Prozent des Einkommens nicht überschreiten.

© SZ vom 06.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: