Bundeshaushalt:Schäubles Zahlenkolonnen fehlt die Kraft

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Nach außen hin wirkt der Finanzplan für die Jahre bis 2016 wie das Programm eines großen Sparers. Die Regierung will die Schuldenbremse nicht nur erfüllen, sondern übererfüllen. Der Witz dabei: Finanzminister Schäuble spart gar nicht. Er sitzt nur unter dem Baum und lässt sich die reifen Früchte in den Schoß fallen. Gestaltende Finanzpolitik sieht anders aus.

Claus Hulverscheidt

Für Genussmenschen muss ein Bundeshaushalt der blanke Horror sein: Tausende Seiten mit Zahlenkolonnen, Tabellen und seltsamen Abkürzungen - allenfalls der Gott der Buchhalter und Kassenprüfer, gäbe es ihn denn, könnte Wohlgefallen an einem solchen Zahlenfriedhof finden. In Wahrheit ist der Haushalt natürlich weit mehr: Er ist das in Zahlen gegossene politische Bekenntnis einer Regierung, der Fußabdruck, den sie hinterlässt, die Selbstauskunft, die sie jedes Jahr aufs Neue ausfüllen muss. Ein Dokument, gespickt mit politischen Botschaften und voller Interpretationsspielräume; das Gegenteil von Horror also.

Der Finanzplan für die Jahre bis 2016, dessen Eckwerte das Kabinett jetzt beschlossen hat, ist ein gutes Beispiel dafür. Seine Kernaussagen: Die Regierung erfüllt die Schuldenbremse im Grundgesetz nicht nur, sie übererfüllt sie sogar. Und zweitens: Der Etat zeigt deutlicher denn je, warum das schwarz-gelbe Bündnis als Koalition der vertanen Chancen in die Geschichtsbücher eingehen wird.

Finanzminister Schäuble kapriziert sich verständlicherweise auf den ersten dieser beiden Punkte. Und tatsächlich: Die Neuverschuldung ist deutlich rückläufig und soll am Ende der Planungsperiode erstmals seit 1969 wieder die Nulllinie ins Visier nehmen. Rechnet man konjunkturelle Einflüsse heraus, erreicht sie sogar schon 2014 jene Zielmarke, die der Bund laut Verfassung erst ab 2016 dauerhaft einhalten muss.

Das ist zweifellos ein Erfolg - Schäubles Erfolg. Es gibt sogar Ökonomen - und Ministerkollegen - vor allem aus dem angelsächsischen Raum, die den Sparkurs der Bundesregierung als übertrieben und ökonomisch schädlich brandmarken werden.

Gestaltende Finanzpolitik sieht anders aus

Der Witz ist nur: Schäuble spart ja gar nicht. Er streicht konjunkturbedingte Mehreinnahmen ein, er erfreut sich an unerwartet niedrigen Arbeitsmarkt- und Zinsausgaben, er verschiebt Milliardenposten zwischen dem Haushalt und den Sozialversicherungen hin und her - alles schön und gut, aber sparen? Der Minister sitzt unter dem Baum und lässt sich die reifen Früchte in den Schoß fallen.

Das aber ist zu wenig. Schäuble selbst war es, der jenen angelsächsischen Ökonomen stets entgegengehalten hat, dass nicht kreditfinanzierte Konjunkturpakete Voraussetzung für dauerhaftes Wirtschaftswachstum sind, sondern solide Haushalte. Ein Finanzplan aber, der weitere vier Jahre Zeit einräumt, um die Neuverschuldung endlich auf null zu reduzieren, ist kein Ausweis soliden Haushaltens. Er kommt im Gegenteil einem Verzicht auf jede gestaltende Finanzpolitik gleich.

Das zeigt auch die Tatsache, dass die ersten Kritiker des Budgetentwurfs nicht etwa aus der Opposition, sondern aus den eigenen Reihen kamen: Schäuble könnte demnach statt 2016 schon 2014 ohne neue Schulden auskommen, wenn er nur ein klein wenig ehrgeiziger wäre.

Der ganzen Koalition fehlt der Wille zu Veränderungen

Nun ist eine Senkung der Neuverschuldung natürlich nicht das einzige Erfolgskriterium eines Etats. Es stellt sich vielmehr auch die Frage, ob die Regierung für die von ihr selbst postulierten politischen Schwerpunkte die nötigen Mittel bereitstellt. Die Bilanz ist durchwachsen: Die Ausgaben für Bildung und Forschung etwa steigen, beim Kampf gegen die Armut in der Welt hingegen bleibt die Koalition weit hinter ihren eigenen internationalen Zusagen zurück.

Auch die Energiewende ist nicht ausreichend finanziert, und für Risiken der Euro-Schuldenkrise wird keinerlei Vorsorge getroffen. Dafür werden neue, dauerhafte Ausgabeposten geschaffen, beispielsweise für das völlig unsinnige Betreuungsgeld.

Das zeigt: Nicht nur dem Finanzminister fehlt der Wille zu echten Veränderungen, der gesamten Koalition fehlt er. Das war in der Steuerpolitik so, wo eine große Reform nicht etwa an Etatnöten scheiterte, sondern an ideologischen Schranken, und das ist in der Haushaltspolitik genau so. Horror ist Schäubles Finanzplan nicht. Ein in Zahlen gegossenes Dokument der Kraftlosigkeit aber allemal.

© SZ vom 22.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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