Bruttoinlandsprodukt:Die Geschichte hinter der Zahl

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Wie und warum die mächtigste Kennziffer der Wirtschaft erfunden wurde. Ein historischer Rückblick.

Von Catherine Hoffmann, München

Das Bruttoinlandsprodukt ist eine großartige Erfindung: Es bildet die gesamte Wirtschaftskraft eines Landes in einer einzigen Zahl ab. Das kommt heute nicht nur Ökonomen ganz selbstverständlich vor. Doch das Konstrukt war vor dem Zweiten Weltkrieg noch weitgehend unbekannt. Wie kam es, dass das BIP, wie es abgekürzt heißt, derart triumphieren konnte? Der Ökonom Philipp Lepenies hat darüber ein kleines Buch geschrieben ("Die Macht der einen Zahl"), das die politische Geschichte des BIP erzählt.

Sie beginnt mit dem Engländer William Petty (1623-1687). Der trug im 17. Jahrhundert Zahlen zusammen, die den "Wert der Ländereien, der Menschen, Gebäude" eines jeden Landes erfassen sollten. Besonders interessierte er sich für Großbritannien sowie seine Nachbarn Frankreich und Holland. So versuchte Petty nachzuweisen, dass England es aufgrund seines Reichtums und seiner Ressourcen in wirtschaftlicher und militärischer Hinsicht mit den beiden feindlichen Ländern aufnehmen konnte. Pettys Arithmetik gilt als der wichtigste historische Vorläufer des BIP. Seine Zahlen waren größtenteils erfunden.

Im 17. Jahrhundert erfasste ein Brite erstmals den "Wert der Ländereien, Menschen, Gebäude"

In den folgenden 250 Jahren tat sich dann nicht viel. Es gab zwar hier und da Versuche, das Nationaleinkommen einzelner Staaten zu berechnen, aber ohne großen Erfolg. Das änderte sich mit der Weltwirtschaftskrise 1929. Der britische Chemiker Colin Clark (1905-1989) war frustriert darüber, wie Ökonomen die Krise zu lösen versuchten - nämlich ohne volkswirtschaftliche Daten, die ihnen die Entscheidungen erleichtert hätten. Also schlug Clark im Jahr 1932 erstmals vor, sich statistisch aus drei unterschiedlichen Perspektiven der Wirtschaft zu nähern. Er wollte wissen: Wie viel wird in einer Volkswirtschaft produziert? Wie viel wird konsumiert und wie sieht es mit der Verteilung der Einkommen aus? So schuf er im Alleingang viele Grundlagen der BIP-Berechnung. Allerdings nahmen die Politiker davon keine Notiz.

Der entscheidende Anstoß für die Ermittlung des Volksvermögens kam fast zeitgleich vom US-Senat. Der beauftragte 1932 den Ökonomen Simon Kuznets (1901-1985) damit, ihm ein quantitatives Bild der Wirtschaftskrise zu verschaffen. Die erste Schätzung des gebürtigen Russen, beim Blick auf die Jahre 1929-1932, brachte ein aufsehenerregendes Ergebnis: Das Volkseinkommen der USA war um 50 Prozent eingebrochen. Kuznets nutzte seine in der Frühzeit der Sowjetunion gemachten Erfahrungen mit Statistik für die Kalkulation. Seine Zahlen dienten dem US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt schon bald zur Begründung staatlicher Investitionen ("New Deal"). Die statistische Information über das Wohlergehen der Wirtschaft war zu einer politischen Größe geworden.

Das Bruttosozialprodukt, wie wir es heute kennen, wurde erstmals 1942 in den USA öffentlich erwähnt. Es sollte im Krieg bei der Rüstungsplanung helfen.

© SZ vom 23.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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