Brexit:Grenzenloser Ärger

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Der größte britische Wirtschaftsverband fordert, dass das Land in einer Zollunion mit der Europäischen Union bleibt. Damit stellt er sich gegen die Regierung - und das kurz vor dem Start wichtiger Gespräche mit Brüssel.

Von Björn Finke, London

Die Insel Großbritannien liegt bekanntlich im Atlantik. Das hält die Regierung in London nicht davon ab, über die Mitgliedschaft in einem Wirtschaftsblock von Pazifik-Staaten nachzudenken. Nach dem Brexit könnte das Königreich Teil der Trans-Pacific Partnership (TPP) werden. Der Gruppe gehören elf asiatische und amerikanische Staaten an; die USA zogen sich aus dem Freihandelsabkommen zurück. Greg Hands, Staatssekretär im britischen Handelsministerium, sagt, bei solchen Verträgen müsse es "keinerlei geografische Einschränkungen geben". Sprich: Dass Großbritannien im falschen Ozean liegt, sollte kein Problem darstellen.

Die Chefin des wichtigsten Wirtschaftsverbands im Königreich hält jedoch nichts von solchen Gedankenspielen. Carolyn Fairbairn, Geschäftsführerin der Confederation of British Industry (CBI), forderte am Montag, dass Großbritannien nach dem Brexit in einer Zollunion mit der EU bleibt. Als Mitglied einer solchen Union darf das Land keine eigenen Handelsverträge abschließen oder um Aufnahme in andere Wirtschaftsblöcke bitten. Aber ohne Zollunion würden wiederum Geschäfte über den Ärmelkanal schwieriger. Fairbairn sagte, die Vorteile der Zollunion überwögen die Nachteile, keine eigenen Abkommen unterzeichnen zu dürfen.

Damit stellt sich der mächtige Lobbyverband klar gegen die Regierung von Premierministerin Theresa May, und das zu einem heiklen Zeitpunkt: Im April beginnen die Gespräche zwischen London und Brüssel über die Grundzüge eines künftigen Handelsabkommens. May hat sich festgelegt, dass Großbritannien nur bis 2020 oder 2021, dem Ende einer Übergangsphase nach dem Brexit, in einer Zollunion bleibt. Danach möchte die Regierung ihre eigene Handelspolitik betreiben, selbst über Zölle bestimmen und Freihandelsabkommen mit Wirtschaftsmächten wie den USA oder dem TPP-Block abschließen.

Solche Verträge schleifen Zölle. Um diese Abkommen vorzubereiten, schuf May eigens ein Handelsministerium, das Brexit-Fan Liam Fox leitet. Die Türkei ist nicht Mitglied der EU oder des Binnenmarktes, aber in einer Zollunion. Würde das Königreich diesem Modell folgen, wäre das Ministerium von Mr. Fox überflüssig, denn für Handelspolitik bliebe dann Brüssel zuständig. Dort werden die einheitlichen Zölle festgesetzt und Abkommen verhandelt.

Vor dem EU-Referendum versprach die Brexit-Kampagne, dass das Königreich nach dem Austritt schnell viele Freihandelsverträge mit wichtigen Staaten abschließen könne. Dank dieser Abkommen werde Großbritannien zu einer globalen Exportmacht, hieß es. Doch CBI-Chefin Fairbairn setzt diesen Träumereien ein paar nüchterne Zahlen entgegen. Sie rechnete in ihrer Rede vor, dass etwa der Pazifikblock TPP nur sieben Prozent des Handels britischer Unternehmen beisteuere. "Deutschland alleine steht für elf Prozent, die EU für 43 Prozent", sagte sie.

Europa wird der wichtigste Markt bleiben. Ohne Zollunion würden Geschäfte schwieriger

Vielleicht komme einmal der Tag, an dem das Verlassen der Zollunion sinnvoll sei, sagte die Lobbyistin. Dann nämlich, wenn die Vorteile eigener Handelsverträge mit aufstrebenden Wirtschaftsmächten die Vorteile der Zollunion mit der EU überträfen: "Aber dieser Tag ist noch nicht da."

Die meisten Volkswirte bezweifeln, dass dieser Tag bald kommen wird. Viele Studien belegen, dass geografische Nähe wichtig für Exporterfolg ist. Benachbarte Länder handeln deutlich mehr miteinander als weit entfernte Staaten: Die Transportkosten sind geringer, Unternehmen und Lieferketten sind enger verflochten, das kulturelle Verständnis von Kunden und Partnern ist besser. Für britische Firmen sind die anderen EU-Staaten der mit Abstand größte Auslandsmarkt, und das wird sich wegen der geringen Entfernung nicht so rasch ändern. Eigene Freihandelsverträge mit den USA oder dem TPP-Block würden Geschäfte in diesen Ländern vereinfachen, allerdings würde das Verlassen der Zollunion zugleich Exporte in den wichtigsten Markt, nach Europa, erschweren.

Denn ohne Zollunion müssten Grenzbeamte in Calais oder Nordirland Lastwagen stichprobenartig kontrollieren. Lieferungen würden sich verzögern, Fabriken müssten mehr Zulieferteile auf Lager halten, Manager müssten Zollpapiere ausfüllen. Das kostet Geld und Mühe. Kontrollen sind selbst dann nötig, wenn dank eines Freihandelsvertrags britische Waren zollfrei bleiben. Die EU-Beamten müssten prüfen, ob in den Containern Güter aus Staaten versteckt sind, die Produkte zwar zollfrei nach Großbritannien exportieren dürfen, nicht aber in die EU. Das wäre der Fall, wenn London ein Freihandelsabkommen mit den USA oder der TPP-Gruppe abschließt, Brüssel jedoch nicht. Die neue Freiheit würde viel Ärger machen.

© SZ vom 23.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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