Brexit:Bauernopfer

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Irland ist der größte Rindfleisch-Exporteur der Nordhalbkugel. Dummerweise geht die Hälfte der Ausfuhren nach Großbritannien. Der EU-Austritt bedroht diese Geschäfte - und die Existenz vieler Landwirte.

Von Björn Finke, Wicklow

Das schneeweiße Kalb ist ein wenig wackelig auf den Beinen. Unsicher stakst es auf dem Hügel der Mutterkuh hinterher. Die Aussicht von hier ist schön: Im Osten reicht der Blick bis zur Irischen See, deren Blaugrau am Horizont mit den Wolken verschmilzt. Im Westen erheben sich die Wicklow Mountains, ein bei Wanderern beliebter Gebirgszug südlich der irischen Hauptstadt Dublin. Der höchste Berg dort misst 925 Meter, was für irische Verhältnisse geradezu hochalpin ist.

Bauer Angus Woods trägt eine schlammige Hose und schlammige Schuhe. Er zeigt auf das Kalb. "Das ist gerade mal eine Woche alt", sagt er. "Wenn die Rinder 16 Monate alt sind, werden sie in Wexford geschlachtet." Das ist eine Nachbarstadt. Von da geht es weiter ins Nachbarland: "All mein Rindfleisch wird nach Großbritannien geliefert", sagt der 45-Jährige.

Der Brexit könnte solche Verkäufe erschweren. Für Woods und viele andere Landwirte in Irland wäre das ein ernstes Problem: "Werden Exporte ins Königreich schwieriger, würden weite Teile des ländlichen Irlands sehr leiden", sagt Woods. Die grüne Insel mit den sanften Hügeln und dem vielen Regen ist der größte Exporteur von Rindfleisch auf der Nordhalbkugel. Das ist bemerkenswert für einen kleinen Staat, in dem vor 170 Jahren noch eine Hungersnot tobte. Rindfleisch ist nach Milchprodukten das wichtigste Exportgut der irischen Agrarbranche. Allerdings geht die Hälfte der Fleischausfuhren, 270 000 Tonnen im vorigen Jahr, ins Vereinigte Königreich: Irlands Rinderfarmer und Schlachthöfe sind gefährlich abhängig vom Nachbarstaat.

Ohne Freihandelsabkommen werden hohe Zölle auf Importe von Fleisch fällig

Ohnehin trifft der Brexit kein anderes verbleibendes EU-Mitglied so hart wie Irland. Der Staat teilt eine Landgrenze mit dem Königreich, die Wirtschaft ist eng verflochten; mehr als 400 000 gebürtige Iren leben in Großbritannien. Für die vielen internationalen Konzerne, die in Irland Standorte oder gar ihre Europazentralen unterhalten, ist der Brexit ein Ärgernis, aber kein Desaster. Schließlich bedienen Unternehmen wie Apple und Google von Irland aus Kunden auf dem ganzen Kontinent. Doch für einheimische Firmen und die Agrarbranche ist Großbritannien der wichtigste Exportmarkt - und der EU-Austritt eine ernste Bedrohung.

Angus Woods treibt eine Kuh über die hügelige Weide: Der irische Bauer verkauft sein Rindfleisch nach Großbritannien - und fürchtet den Brexit. (Foto: Börn Finke)

So wie für Bauer Woods. Wobei er zu seinem Glück nicht komplett auf Rindfleisch angewiesen ist. Er zeigt vom Hügel mit den Kühen herunter auf ein gepflügtes Feld: "Dort pflanze ich Gerste an. Daneben auf der Wiese grasen meine Schafe." Insgesamt bewirtschaftet er 160 Hektar auf seinem schmucken Hof am Rande der Kleinstadt Wicklow. Seine Eltern und seine Frau helfen mit, die achtjährige Tochter kümmert sich um ein paar Lämmer. Woods erntet Weizen und Gerste, hält 55 Rinder und 450 Schafe. Er führt hinunter in den Schafstall. Muttertiere stehen mit ihren Neugeborenen hinter Gattern im Stroh. "Ich war die ganze Nacht auf, weil die Schafe Lämmer bekommen haben", sagt er. "40 wurden geboren."

Im Bauernverband Irish Farmers' Association ist Woods Vorsitzender der Abteilung Rinderbauern. Er sagt, viele Rinderhalter in Irland schöben wegen des geplanten Brexit bereits Investitionen auf, seien vorsichtig. Zumal den Bauern schon der Absturz des Pfundkurses nach dem EU-Referendum zu schaffen macht; Verkäufe im Königreich sind in Euro nun weniger wert. "Unsere Kosten sind aber gleich geblieben", klagt Woods.

Einigen sich London und Brüssel in den Austrittsgesprächen nicht auf einen Freihandelsvertrag, käme es noch schlimmer. In dem Fall unterlägen Geschäfte mit dem Königreich nach dem Brexit, also in zwei Jahren, den Regeln der Welthandelsorganisation WTO. Und die sehen Zölle von mehr als 50 Prozent für Rindfleisch vor. Das würde den Appetit der Briten auf irische Steaks zügeln. Unterzeichnen die EU und Großbritannien ein Freihandelsabkommen, würden zumindest keine Zölle eingeführt. Trotzdem könnten die Exporte der irischen Bauern leiden: "Vielleicht muss unser Fleisch in Großbritannien bald mit billigem Rindfleisch aus Südamerika konkurrieren", befürchtet Woods.

SZ-Grafik (Foto: SZ-Grafik)

Die EU schützt europäische Bauern mit hohen Zöllen vor der Konkurrenz durch günstigere Importe. Die britische Premierministerin Theresa May hat sich jedoch festgelegt, dass das Königreich nach dem Brexit nicht an Binnenmarkt und Zollunion der EU teilnimmt. Die Regierung will ihre eigene Handelspolitik betreiben, will selbst über Zölle bestimmen und schnell viele Freihandelsverträge mit Wirtschaftsmächten abschließen. Diskutiert Mays Handelsminister Liam Fox so ein Abkommen mit den USA oder dem südamerikanischen Staatenbund Mercosur, werden seine Gesprächspartner darauf dringen, dass Bauern aus den USA oder Südamerika ihr Rindfleisch zollfrei und unbegrenzt nach Großbritannien exportieren dürfen.

Die Bauern müssen neue Kunden in der EU suchen. Das setzt die Fleischpreise unter Druck

Irische, aber auch britische Rinderbauern werden nicht mithalten können mit Großbetrieben aus der Pampa oder der nordamerikanischen Steppe, deren Kosten deutlich niedriger sind. Fleisch würde in den Kühltheken der britischen Supermärkte billiger: Schön für die Kunden, doch vielen irischen Bauern und Schlachtern drohte das Aus.

Mehr als 100 000 irische Farmer mästen Rinder, Schlachthöfe und Zulieferer beschäftigen weitere 20 000 Menschen. Bauern und die Lebensmittelbranche sind wichtige Arbeitgeber im ländlichen Irland - in den Dörfern, die nicht profitieren vom Boom der Städte, wo sich internationale Konzerne ansiedeln. Ein Einbruch der Exporte nach dem Brexit würde gerade die ärmeren Regionen besonders heftig treffen.

Die Regierung in Dublin hofft, dass die Nahrungsmittelfirmen ihre Ausfuhren in andere Staaten steigern können, dass sie neue Abnehmer finden und weniger abhängig von Großbritannien werden. Bord Bia, die staatliche Exportfördergesellschaft für Lebensmittel, investiert stärker in Messeauftritte im Ausland, im Herbst eröffnete die Organisation in Singapur ihr erstes Büro in Südostasien. Doch sollte der Brexit den Briten wirklich die Lust auf irische Steaks rauben, bräuchten bis zu 270 000 Tonnen Rindfleisch im Jahr neue Käufer - eine gigantische Menge.

"Irische Anbieter würden in dem Fall versuchen, viel davon in anderen EU-Staaten loszuwerden", sagt Woods. "Das würde die Fleischpreise in der EU drücken, Europas Bauern würden leiden." Daher sei es im Interesse der Landwirte aller EU-Länder, dass der Brexit nicht die irischen Exporte ins Königreich gefährdet.

Woods zeigt auf eine Weide: "Viele meiner Rinder werde ich erst in knapp zwei Jahren verkaufen", sagt er - also ungefähr dann, wenn Großbritannien die EU verlässt. "Einen Wasserhahn kann man zudrehen, aber wir Bauern können unser Angebot an Fleisch nicht so einfach verringern", sagt er. "Die Tiere sind ja schon geboren."

© SZ vom 06.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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