Bischof Marx:"Moralisches Handeln bringt ökonomischen Erfolg"

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Erzbischof Marx über die Lehren aus der Krise, fehlende Chef-Vorbilder und seine Idee von einem Weltkartellamt.

Karl-Heinz Büschemann

Reinhard Marx, 56, ist seit zwei Jahren Erzbischof von München und Freising. Der Westfale nimmt gerne Stellung zu Fragen der Wirtschaft und schrieb ein Buch mit dem Titel "Das Kapital". Er nimmt erstmals am Weltwirtschaftsforum in Davos teil.

Erzbischof Reinhard Marx fordert strengere globale Kontrollen. (Foto: Foto: dpa)

SZ: Herr Erzbischof, was haben Sie als Kirchenmann in Davos verloren?

Reinhard Marx: Ich hoffe, dass hier so viele Entscheidungsträger zusammenkommen, dass der Schwung stärker wird, aus der Finanz- und Wirtschaftskrise zu lernen und nicht zum Business as usual zurückzukehren.

SZ: Sie glauben, die Vertreter der Wirtschaft hätten aus der Krise nicht gelernt?

Marx: Das ist mein Eindruck. Es ist doch spürbar, dass kein Lerneffekt eingetreten ist. Es ist noch nicht viel Zählbares passiert.

SZ: Was ist Ihre zentrale Botschaft?

Marx: Der Markt ist kein moralfreier Raum. Das haben wir ja in der Krise gesehen. Es reicht nicht, nur den Gesetzen zu entsprechen. Nur moralisches Handeln bringt langfristig ökonomischen Erfolg. Also nicht: Catch the money and run away - das sollten die Verantwortlichen kapieren. Das Hauptproblem in dieser Krise ist doch die Kurzfristigkeit des Denkens. Es geht um den schnellen Gewinn. Damit kann man keine Wirtschaft aufbauen. Diese Gedanken will ich einbringen. Wir wollen hier aber nicht eine Art folkloristischer Dekoration sein, sondern zeigen, dass es vernünftig ist, was wir sagen und dass es der Wirtschaft dient.

SZ: Die Vertreter der Wirtschaft haben für alles Statistiken. Sie bringen nur weiche Werte mit nach Davos. Wie wollen Sie hier bestehen?

Marx: Da habe ich keine Sorge. Die Manager und Ökonomen glauben selbst nicht mehr, dass alles genau vorhersehbar ist. Deshalb gibt es inzwischen auch eine größere Offenheit in der Frage, welche grundsätzlichen Ziele wir haben. Es ist keine weiche Angelegenheit, über Ziele und ordnungspolitische Rahmenbedingungen in der Wirtschaft zu diskutieren, sondern die harte Voraussetzung für eine bessere Zukunft.

SZ: Welche Ziele haben Sie im Auge?

Marx: Eine Lehre ist, dass wir nicht alles dem Markt überlassen können und dass Wachstum nicht die Lösung für alle Probleme ist.

SZ: Was haben Sie gegen den Markt?

Marx: Nichts. Märkte und Wettbewerb sind notwendig. Ohne Märkte kann ich mir eine Zivilisation gar nicht vorstellen, ohne sie gibt es keinen Fortschritt. Aber die Märkte verteilen von sich aus nicht gerecht. Man kann Waren auf Märkten handeln, aber Gesundheit und Bildung etwa eignen sich nicht oder nur sehr eingeschränkt für den Markt. Und wir brauchen eine gesellschaftliche Übereinkunft darüber, dass alle Menschen eine Chance haben müssen, Arbeit zu finden. Kurzum: Ich bin für einen politischen Ordnungsrahmen.

SZ: In der Wirtschaft gilt das Primat des Wachstums. Produktion, Umsatz, Gewinn, alles muss wachsen. Sie predigen das Gegenteil. Sind Sie naiv?

Marx: Überhaupt nicht. Es geht darum, wo man Wachstum braucht und welches Wachstum es ist. In Haiti wird ein Aufbau nur mit Investitionen möglich sein. Dazu braucht man auch materielles Wachstum. Aber das materielle Wachstum ist nicht alles, es muss zu den gesellschaftlichen Zielen passen. Bei uns in Deutschland reicht die Orientierung am Bruttoinlandsprodukt nicht mehr.

SZ: Wie sollen wir in Europa Beschränkungen einführen, die auf anderen Märkten nicht gelten?

Marx: Für den Weltmarkt gilt, was wir in Deutschland und Europa eingeführt haben. Es muss eine Wettbewerbsordnung da sein.

SZ: Wollen Sie etwa ein Weltkartellamt einführen?

Marx: Warum nicht. Es gibt doch inzwischen auch einen internationalen Strafgerichtshof. Auch das galt lange als undenkbar. Ähnlich wird es auch in der Weltwirtschaftordnung sein. Es muss Regeln geben, die durchgesetzt werden können. Da könnte die Welthandelsorganisation helfen. Wir sollten bestimmte Dinge im Welthandel nicht mehr akzeptieren, zum Beispiel Kinderarbeit. Menschenrechtsfragen sollten in den WTO-Prozess einfließen. Und wir brauchen eine Ethikdebatte darüber, welche Güter der Verbraucher nicht akzeptieren sollte. Wir werden von Europa aus nicht alles verändern können. Aber dass es überhaupt keine Regeln gibt, ist untragbar.

SZ: Können Manager und Politiker nach der Krise noch als Vorbilder gelten?

Marx: Menschen, die Vorbild sein wollen, zeichnen sich besonders dadurch aus, dass sie zu ihren Fehlern stehen.

SZ: Haben Sie Einsicht erkannt?

Marx: Mir ist da nicht viel aufgefallen. Manche haben vielleicht eingeräumt, Fehler gemacht zu haben, aber nicht so klar, dass es zu offenen Diskussionen gekommen wäre. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs galt der von staatlichen Regelungen befreite Markt als modern: Alles, was privat organisiert wird, was dem Markt überlassen wird, ist besser. Aber das ist doch nicht wahr. Das stimmt doch nicht. Da vermisse ich schon eine Umkehr, in der Wissenschaft wie in den Chefetagen. Ich hätte mir gewünscht, dass die Vertreter der Wirtschaft bescheidener werden und einräumen, Fehler gemacht zu haben. Die Krise als eine Art Betriebsunfall abzutun, ist viel zu schwach.

SZ: Wie sollen einzelne Manager sich gegen die Globalisierung stemmen?

Marx: Die Globalisierung ist kein naturgegebener Prozess, dem wir uns anpassen. Es ist umgekehrt. Wir müssen die Globalisierung so gestalten, dass sie dem Menschen und seinen langfristigen Zielen angepasst ist. Wenn man es anders herum sieht, hat man doch jeden Gestaltungswillen abgegeben.

SZ: Was schlagen Sie vor?

Marx: Wir haben in Europa jetzt die Chance, noch einmal Einfluss zu nehmen und unsere Grundvorstellungen in die Architektur einer Weltordnung einzutragen. Zum Beispiel in Davos. Diese Chance haben wir vielleicht in 30 Jahren nicht mehr. Wir müssen die Amerikaner erinnern, dass wir eine gemeinsame Zivilisation haben. Mir macht Sorge, dass aus der Gruppe der 20 Industrieländer, den G 20, eine Art G 2 wird, in der nur noch Amerika und China die Weltordnung ausmachen. Das haben wir ja bei der Klimakonferenz in Kopenhagen bereits erlebt. Das wäre für die Welt nicht gut.

SZ: Haiti wird ein großes Thema in Davos sein. Die Spendenbereitschaft der Menschen ist überwältigend. Ist die Welt nicht doch in Ordnung?

Marx: Bei solchen Katastrophen wie in Haiti wird ein spontanes Empfinden der Menschen für Solidarität deutlich. Das freut mich. Aber das allein wird nicht reichen. Es gibt viele Länder, die nicht wegen einer Naturkatastrophe im Vordergrund stehen, zum Beispiel in Afrika. Wie in Haiti brauchen wir dort eine ganz langfristige Bereitschaft zur Hilfe. Da ist die Welt überhaupt nicht in Ordnung. In vielen Ländern fehlt es an einem geordneten Gemeinwesen wie einem Rechtsstaat mit Menschenrechten. Dazu gehört auch eine soziale Marktwirtschaft, die in unterschiedlichen Kulturen verschieden aussehen kann. Aber ohne die Grundprinzipien wird es nicht gehen. Das ist eine sehr langfristige Aufgabe.

SZ: Sind Sie selbst auch Manager?

Marx: Ich empfinde mich nicht als Manager. Aber ich möchte in aller Bescheidenheit einen Hinweis geben: Es gab Bischöfe schon lange, bevor es Manager gab. Wir stehen da in einer anderen Tradition, und wir verstehen auch etwas von Führung. In der Kirche gibt es Führungsaufgaben, das wird schon in den Evangelien klar. Aber ich lerne auch von Managern, so wie Manager von der Kirche lernen können.

SZ: Auch die Kirchen müssen sparen. Wie geht ein Erzbischof mit Kostendruck um?

Marx: Wir gehen mit Kosten so um, dass eines klar ist: Wir wollen keine Schulden aufnehmen. Wir müssen doch in Jahrhunderten denken. Wir können nicht einfach in Insolvenz gehen.

© SZ vom 27.01.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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