Betriebliche Altersvorsorge:Die Angst vor der Pleite

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Minizinsen bringen immer mehr Unternehmen in existenzielle Not, weil die Kosten für die Absicherung der Beschäftigten im Alter enorm steigen. Die Bundesregierung erwägt deshalb nun Hilfen für die Firmen.

Von Alexander Hagelüken, München

Hans-Jürgen Schmidt schaut seit Jahren zu, wie die Zinsen fallen. Für den Geschäftsführer von Lindauer Dornier ein echtes Problem. Je niedriger die Zinsen sind, desto mehr Geld muss er für die Altersvorsorge zurückstellen, die der Maschinenbauer den meisten der knapp 1000 Mitarbeiter gewährt. Vergangenes Jahr summierte sich das auf fast 12 Millionen Euro. "Mehr als das Jahresergebnis", sagt Schmidt. "Wir haben nur für die Altersvorsorge gearbeitet, das darf doch nicht sein."

Der Mittelständler aus Lindau am Bodensee ist kein Einzelfall. Seit die Europäische Zentralbank den Preis des Geldes gegen Null schleuste, geraten viele Arten betrieblicher Altersvorsorge unter Druck. Ganz klar das in Deutschland dominante Modell der Direktzusage, bei der meist mit dem Geld im Unternehmen gearbeitet wird, um daraus die Auszahlungen für pensionierte Beschäftigte zu erwirtschaften. Erst trafen die Nullzinsen die großen Konzerne. Jetzt sind viele kleine und mittlere Betriebe dran - mit Verzögerung, weil sie ihre Rückstellungen nicht gemäß Marktzinsen, sondern gemäß des Durchschnittszinses der vergangenen sieben Jahre bilden. Und der fällt nun stark, von 4,5 Prozent Ende 2014 auf voraussichtlich 2,7 Prozent Ende 2017, sagt die Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung voraus. "Das mindert den Gewinn der Unternehmen um 35 bis 45 Milliarden Euro im Jahr", rechnet Geschäftsführer Klaus Stiefermann vor - eine gewaltige Summe.

Kein Wunder, dass sich wegen des Themas jede Woche Unternehmer bei der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft melden, wie Geschäftsführer Bertram Brossardt erzählt: "Hier tickt eine Zeitbombe, die entschärft werden muss". Maschinenbauer Schmidt sagt: "Sobald die Wirtschaft nicht mehr so gut läuft, wird es wegen der Niedrigzinsen Insolvenzen geben".

Die Bundesregierung will den Unternehmen entgegenkommen. Sie hat nun beschlossen, den Zeitraum für die Zinsberechnung von sieben auf zehn Jahre zu erhöhen. Das wäre eine Entlastung. Der Durchschnittszins sinkt dann dieses Jahr nach Berechnungen der Unternehmensberatung Mercer um gut 0,7 Prozentpunkte weniger als bei geltender Gesetzeslage. Nach einer Faustregel müssen die Firmen dadurch etwa 15 Prozent weniger Rückstellungen bilden. Allerdings will die Regierung den Unternehmen verbieten, die durch die geringeren Rückstellungen erreichten Gewinne an die Eigentümer auszuschütten. Das Geld soll in den Firmen bleiben, um die Altersvorsorge zu stärken. Manager wie Schmidt hätten erstens gerne einen noch längeren Zeitraum von zwölf bis 15 Jahren, damit der Zins langsamer sinkt - und zweitens lehnen sie die Ausschüttungssperre als bürokratisch und als Eingriff in ihr Geschäft ab.

Das Ganze spielt sich in einer Situation ab, in der Betriebsrenten inzwischen bei vielen Arbeitgebern wegen steigender Kosten negativ besetzt sind, wie Funktionär Stiefermann beobachtet. Lindauer Dornier bietet Neueingestellten keine Direktzusage mehr, nachdem ein Vorstoß scheiterte, die Kosten durch Anpassungen für alle Beschäftigten zu zügeln. So was widerspricht dem Ziel der Bundesregierung, Betriebsrenten auszubauen, etwa als Gegengewicht zu staatlichen Rentenkürzungen.

Möglich wäre eine Steuerentlastung zum Nachteil des Fiskus

Die Frage ist, wie viel die Regierung dafür tun will. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) werkeln an besseren Bedingungen für die Betriebsrenten, etwa für Geringverdiener. Was die Kosten für die Firmen durch Niedrigzinsen angeht, weisen Fachleute darauf hin, dass eine Verlängerung der Berechnung das Problem vor allem nach hinten verschiebt. Wenn die Marktzinsen wieder steigen, wirkt die Entlastung ebenfalls später, warnt Schäubles Staatssekretär Michael Meister (CDU), ein diplomierter Mathematiker, die Unternehmer: "Wenn die Zinsen wieder steigen, werden Sie den Tag verfluchen, an dem Sie bekommen haben, was Sie jetzt wollen."

Wichtiger als die Verlängerung des Zeitraums ist für Maschinenbauer Schmidt denn auch anderes: Die steuerliche Absetzbarkeit. Weil die Steuerbilanz einen Rechenzins von sechs Prozent vorsieht, viel höher als real, können Firmen die höheren Rückstellungen kaum von der Steuer absetzen. Staatssekretär Meister deutet nun erstmals an, dass die Regierung eine Absenkung dieses Rechenzinses um ein bis 1,5 Prozentpunkte erwägt - eine teure Sache, weil jedes Prozent zwölf Milliarden Euro weniger Steuereinnahmen bedeutet. "Wenn wir absenken, dann auf zehn Jahre oder so verteilt, sonst ist das finanziell für Bund und Länder untragbar", sagt Meister. Aber hat das für die Regierung angesichts steigender Ausgaben für Flüchtlinge im Jahr vor der Wahl Priorität? Schmidt ist skeptisch. Meister kündigt an, bei den Ländern vorzufühlen, ob eine Mehrheit für das Vorhaben ist.

© SZ vom 05.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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