Banken:Niedrigzinsen machen erfinderisch

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Ausländischen Banken zahlen deutschen Kommunen Geld, wenn sie sich bei ihnen verschulden.

Von H. Dohms, H. Freiberger und M. Schreiber, Frankfurt/München

So würde sich das wohl jeder wünschen, der ein Haus baut: Wenn der Kämmerer des Main-Kinzig-Kreises zum ersten des Monats einen Kredit aufnimmt, überweist ihm die Bank gleich mal 300 Euro. Der Kredit läuft über einen Monat, er wurde schon sieben Mal verlängert. Am nächsten ersten gibt es wieder 300 Euro, und so geht das immer weiter bis der Kredit nicht mehr verlängert wird.

Kredit nehmen, Zinsen kassieren, so läuft das in der verrückten Welt des Negativzinses in immer mehr Bereichen. Der Main-Kinzig-Kreis ist nicht die einzige Kommune in Deutschland, die sich ihre Schulden inzwischen bezahlen lässt. Ob Köln, Bonn oder Essen, ob Ludwigshafen, Kiel oder Hannover - weil die deutschen Kommunen als Schuldner höchster Bonität gelten, ist der Zins für sie teilweise ins Negative gerutscht. Einheimische Banken bieten zwar noch keine Minus-Konditionen, aber eine Reihe ausländischer Institute hat sich darauf spezialisiert. Für sie ist das günstiger, als überschüssige Einlagen kurzfristig bei der Europäischen Zentralbank (EZB) anzulegen. Denn diese verlangt dafür einen Strafzins von 0,4 Prozent; sie will die Banken anstiften, mehr Kredite zu vergeben und die Wirtschaft zu fördern.

Der Main-Kinzig-Kreis hat auf diese Weise 35 Millionen Euro angelegt. Der Zinssatz beträgt minus 0,02 Prozent, das ergibt einen monatlichen Gewinn von 600 Euro. Den teilt sich der Landkreis mit dem Makler, der den Kredit vermittelt hat. "Wir nutzen natürlich die Möglichkeiten aus, die es inzwischen gibt", sagt ein Sprecher des Landkreises. Unterm Strich verdiene man mit den Zinsen aber kein Geld. Die Verschuldung liegt bei 265 Millionen Euro.

Ähnliche Erfahrungen hat Lars Martin Klieve gemacht, der Finanzchef von Essen, der Stadt mit den höchsten Kassenkrediten in Deutschland: rund 2,5 Milliarden Euro. Auch bei Klieve melden sich immer mehr Banken, um mit ihm ins Geschäft zu kommen: "Kredite mit negativen Zinsen sind zwar noch nicht die Regel, aber gerade bei den kürzeren Laufzeiten kommen wir immer häufiger in den Genuss", erzählt er. Der Zinsgewinn befinde sich im "einstelligen Basispunktebereich", also zwischen minus 0,01 und minus 0,09 Prozent. Bei einem Kredit von zehn Millionen Euro ergibt sich aufs Jahr ein Gewinn von bis zu 9000 Euro. 2008, berichtet Klieve, habe er allein für die Kassenkredite noch rund 60 Millionen Euro jährlich aufbringen müssen. Inzwischen sind es - trotz gestiegener Schulden - nur noch etwa die Hälfte, Tendenz weiter fallend.

Die Stadt Bonn rechnet in diesem Jahr mit Zinseinnahmen von 75 000 Euro

Zwei weitere Beispiele: Die Stadt Ludwigshafen hat bei zwei niederländischen Banken 150 Millionen Euro zu minus 0,02 Prozent angelegt, aufs Jahr gerechnet spart das 30 000 Euro. Bonn kassiert für 275 Millionen Euro Zinsen, im Jahr rechnet man mit 75 000 Euro Einnahmen.

Besonders Institute aus den Niederlanden, Belgien und Skandinavien entdecken die deutschen Städte als neuen Parkplatz für ihr Geld, ist aus den Kommunen zu hören. Teilweise waren sie vorher gar nicht in der Kommunalfinanzierung tätig. Zudem sollen sich verstärkt Makler aus Österreich oder der Schweiz bei den Kämmerern melden, die an Banken aus dem europäischen Ausland vermitteln wollen.

Einer der Finanzierer ist die niederländische Triados-Bank, die auch eine Filiale in Frankfurt hat. "Wir sehen uns nicht als Kommunalfinanzierer", sagt ein Sprecher. Das Institut ist spezialisiert auf ethische Geldanlagen, an Kommunen verleiht sie lediglich die Einlagen, die sie aus regulatorischen Gründen für den Fall vorhalten muss, dass Kunden Geld abziehen wollen. Der Sprecher nennt es "Liquiditätsmanagement". Knapp 200 Millionen Euro seien so angelegt. Die niederländische Mutter praktiziert dies in sechs europäischen Ländern.

In Deutschland denken Banken in ihrer Verzweiflung indes darüber nach, überschüssiges Geld nicht bei der EZB zu parken, sondern im hauseigenen Tresor. Bei der Commerzbank zum Beispiel gibt es offenbar Planspiele, das Geld zu bunkern, wie ein Insider sagt. Derzeit verwahrt das Institut zwar keine Milliarden im Tresor. Aber die Sache schon einmal zu prüfen, kann offensichtlich nicht schaden.

Auch bei den Sparkassen gab es bereits entsprechende Überlegungen. Der bayerische Sparkassenverband warf im Frühjahr die Frage auf, "ob es für sie wirtschaftlicher sein könnte, hohe Bargeldwerte nicht - wie bisher - bei der EZB einzulagern, sondern stattdessen selbst zu verwahren". Ab einem Strafzins von ungefähr 0,7 Prozent könnte sich das jedoch eventuell lohnen, hieß es bei den Sparkassen.

Natürlich versuchen die Banken auch, die Kosten der Negativzinsen weiterzugeben. Privatkunden müssen zwar noch keine Gebühren bezahlen, wenn sie ihr Erspartes zur Bank bringen. Für Mittelständler und große Unternehmen aber sind Strafzinsen inzwischen sehr verbreitet.

Aber ob sie es bei Kommunen lagern oder an die Kunden weitergeben: Davon abgesehen gibt es für die Banken kaum Entrinnen vom Strafzins. "Die Banken können Negativzinsen nicht leicht umgehen. Da gibt es keinen unbekannten Hebel", sagt Rüdiger Filbry, Bankenexperte bei der Unternehmensberatung Boston Consulting Group. Die Institute könnten ihr überschüssiges Geld bei Kommunen parken, aber bei vielen anderen Adressen gingen sie dann eben auch größere Risiken ein.

© SZ vom 10.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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