Autonamen:Fahr schon mal den Karl vor

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Autohersteller brauchen immer wieder neue Namen für ihre Modelle. (Foto: Renault)

Cactus oder Twingo? i3, Miev oder Twizy? Die Namen vieler neuer Autos klingen seltsam. Weil immer mehr Wagen aus immer mehr Ländern den Markt fluten, kommen die Namensgeber allmählich an ihre Grenzen.

Von Thomas Fromm, München

Diese kurzen intimen Treffen sind für ihn wohl eine Art Ritual. Ein diskretes Tête-à-Tête: Tür zu, absolute Ruhe. Nur er. Und das Auto.

Wenn Manfred Gotta dann allein ist mit dem Wagen, will er ihn beobachten, ihm in die Augen schauen. "Ein Auto hat ein Gesicht, hat eine Seele", sagt er über seinen Job. Um die zu verstehen, lässt er sich mit dem Auto einschließen. "Lasst mich 20 Minuten allein mit dem Auto, dann weiß ich mehr."

Gotta ist ein Namenerfinder. Er muss viel wissen über ein Auto, denn er soll aus namenlosen Blechkarossen Marken machen. Ihnen Namen geben wie Smart, Vectra oder Twingo. Namen, die dem Auto dann so etwas wie eine Identität bringen. Ein Image. Ein Gesicht.

Der Autoname ist entscheidend für den Erfolg

Es sind die Namen, die am Ende auch mit darüber entscheiden, ob sich ein Auto gut verkauft - oder floppt. Genau das aber macht die Sache so schwierig.

Es gibt: immer neue Autos, neue Hersteller, neue Technologien. Nischenfahrzeuge, Derivate, Sportversionen, Nachfolger und Sonderanfertigungen - noch nie waren da so viele verschiedene Automodelle wie heute. Es gibt Menschen, die halten es für einfacher, ein neues Auto zu konstruieren, als sich immer wieder neue Namen einfallen zu lassen.

An die 65 Millionen Autos wurden 2013 weltweit produziert, in den nächsten Jahren wird irgendwann die 100-Millionen-Grenze erreicht sein. Weil immer mehr Autos aus immer mehr Ländern den Markt fluten, kommen die Namensgeber allmählich an ihre Grenzen.

Früher nannte man ein Auto Mustang und schuf, ganz nebenbei, eine Ikone. Damit hatte man erst mal Ruhe, manchmal für Jahrzehnte. Jetzt, da die Zeit der großen Ikonen vorbei ist und jede Woche irgendwo ein neues Auto an den Start geht, gehen den Erfindern allmählich die Namen aus. Die 20-Minuten-Begegnungen des Manfred Gotta sind daher, wenn man so will, schicksalhafte Begegnungen. So wie beim Twingo.

Für Manfred Gotta sind Autos ein bisschen wie Menschen

Als der kleine Renault vor ein paar Jahren zum ersten Mal vor Gotta stand - Kulleraugen, Stupsnase, freundliches Lächeln -, da fiel ihm dieser seltsame Kunstname ein. Mit einem Auto, sagt der Autonamen-Erfinder, sei es ein bisschen wie mit Menschen. "Es hat Augen, einen Hintern." Deshalb gibt es ja auch so viele Menschen, die ihr Auto direkt ansprechen. "Alter" zu ihm sagen, oder "Dickerchen" oder "Süßer" oder "Schluckspecht". Name und Fahrzeug müssen unbedingt zusammenpassen, sagt Gotta, sonst funktioniert die Sache nicht.

Bei Oberklasse-Herstellern wie BMW versucht man gar nicht erst, sich Namen wie Twingo einfallen zu lassen. Stattdessen: 3er. 5er. 7er. Eine einheitliche Strategie, weltweit, seit über 40 Jahren. "Stellen Sie sich vor, Sie müssten jetzt jedem BMW-Modell einen eigenen Namen geben - das ginge gar nicht", sagt der BMW-Produktmanager Thomas Giuliani.

Autonamen müssen weltweit funktionieren

Als die Münchner ihre neuen Elektroautos auf den Markt brachten, waren das der i3 und der i8. Man kann das unspektakulär finden, sogar langweilig. Woanders nennt man solche Fahrzeuge Volt, Ampera oder Twizy. Man habe "viele Alternativen geprüft", berichtet Giulianis Kollegin Lisa Gerbode. Die Namen müssten "weltweit aussprechbar und verständlich" sein. Von Neuseeland bis Kanada. In Asien und Europa.

Deshalb also diese Suppe aus Buchstaben und Ziffern, wieder mal. Mitsubishi machte es anders und nannte sein Elektroauto i-Miev. Das steht zwar für "Mitsubishi innovative electric vehicle". Aber trotzdem ist es ziemlich blöd, wenn ein Elektroauto, das ganz ohne Sprit und Abgase fährt, in Deutschland "Miev" heißt.

Manchmal nennt man ein Auto Ford Focus, und es wird zu einem der meistverkauften Auto der Welt. Das ist Glück, weil der Name fast überall funktioniert. Und der Mustang von Ford wurde auch deshalb ein Erfolg, weil im Namen alles drin war: Sportwagen, Muscle Car, Prärie, Wildnis.

Und manchmal hat man einfach Pech wie Mitsubishi. Die benannten einen Geländewagen vor Jahren nach der südamerikanischen Raubkatze Leopardus pajeros, die durch entlegene Gebirgszüge zieht. So kam es dann zum Mitsubishi Pajero . Klingt gut . Nur funktioniert es nicht in Ländern, in denen man Spanisch spricht . Pajero? Niemand will mit einem Auto herumfahren, auf dem "Wichser" steht.

Elegante Form, stilvolles Ambiente: So sah ein Opel aus, als es noch Namen wie Commodore gab. (Foto: picture-alliance/gms)

Bei Volkswagen, wo sie ihre Autos mal nach Nomadenvölkern (Touareg), Riesenwölfen aus der Inuit-Mythologie (Amarok), Sahara-Winden (Scirocco) oder - der Klassiker - Meeresströmungen (Golf) benennen, ist man deshalb äußerst vorsichtig. Erst Milliarden in die Entwicklung eines Autos investieren und dann am Ende die Taufe vermasseln: Das ist der Albtraum schlechthin für jeden Automanager.

Auch kulturelle Probleme müssen ausgeschlossen werden

"Neben den rechtlichen Prüfungen müssen wir sicherstellen, dass es keine kulturellen Probleme mit einem Autonamen gibt", sagt Guido Haak vom VW-Produktmarketing. "Allein für den chinesischen Markt müssen wir Namen in fünf verschiedenen Dialekten prüfen." Mit Winden und Meeresströmungen kenne man sich bei VW inzwischen sehr gut aus, sagt Haak. Was vermutlich auch schon ziemlich viel aussagt über die Arbeit der Taufpaten in den Autokonzernen.

Bis zu 200 Namensvorschläge liegen für neue Modelle auf dem Tisch. Das bedeutet: lange Diskussionen, Umfragen und Prüfungen weltweit. Einfacher ist es, wenn man seine Autos durchnummeriert wie bei BMW. Oder wie die Kollegen von Daimler in Stuttgart.

"Unsere Namenslogik steht für eine klare Ordnung", sagt Mercedes-Vertriebschef Ola Källenius. "Da genügt es, sich ein paar wichtige Buchstaben zu merken." Ein paar Buchstaben, die für sehr unterschiedliche Modelle stehen: Von der A- über die B- und C-Klasse bis zur E- und S-Klasse - eine klare Sache, von klein und kompakt bis Luxus ist alles dabei. Oder wie man in Stuttgart sagt: Die Modelle sind "hierarchisch" aufgereiht. Von unten nach oben. Seit Jahrzehnten geht das schon so: kein Twingo, keine Corvette. Stattdessen: strenge Ingenieurslogik. Tradition. Klare Ordnung.

Manchmal gibt es über 200 Vorschläge

Deshalb ist Daimler ein gutes Beispiel dafür, was ein Konzern tut, wenn er vor einer Flut neuer Autos steht. Bis 2020 sind elf neue Mercedes-Benz-Modelle geplant, dazu kommen zehn neue Plug-in-Versionen, also Autos, die mit einem doppelten Antrieb aus Elektro- und Benzinmotor laufen, bis zum Jahr 2017. Das heißt: alle vier Monate eines. Källenius sagt dazu: "Wir wachsen sehr stark."

Der Konzern plant deshalb, im kommenden Jahr einige Modellreihen neu zu benennen. Die Logik dahinter: Der letzte Buchstabe soll künftig auf die Plattform und damit auf die Klasse des Fahrzeugs hinweisen. Zum Beispiel den Geländewagen GLK: Der soll nicht zufällig wohl bald GLC heißen. GLC, weil er auf der C-Klasse aufbaut. Aus der Roadster-Reihe SLK wird SLC, ein möglicher kleiner Roadster würde zum SLA.

Auch bei der immer größeren Anzahl von Fahrzeugen mit alternativen Antrieben muss sich der Konzern etwas einfallen lassen. Und noch etwas planen die Strategen in Stuttgart angeblich: Die Luxusmarke Maybach, vor zwei Jahren eingestellt, um die S-Klasse zu befeuern, kommt durch die Hintertür zurück: für einige Luxus-Varianten der S-Klasse, die dann wohl Mercedes S Maybach heißen dürften. Branchenkenner vermuten, dass der Konzern seine neuen Maybachs Ende November in Los Angeles zeigen wird.

"Es wurde diskutiert, aber im Grunde gab es zu den beschlossenen Änderungen keine Alternative", heißt es aus dem Konzern. Auf Anfrage wollte sich das Unternehmen nicht zu den geplanten Neuerungen äußern. Nur so viel: In der kommenden Woche wollen die Stuttgarter erklären, wie genau das alles funktionieren soll.

3er, 5er, GLC und SLA: Die Buchstaben- und Zahlenspiele der Premiumhersteller haben den Vorteil, dass man sie endlos lange spielen kann. Überall auf der Welt. Sie haben aber auch den Nachteil, dass sie schon bald vielleicht keiner mehr versteht. Sie sind eigentlich ziemlich unsexy, und manchmal klingen sie wie die Abkürzungen von Krankenkassen oder Kleingewerkschaften. Und man könnte fragen, was diese kalten Nummern eigentlich aussagen über so ein Auto.

Was schwingt da mit, wenn wir Namen wie A1 oder CLA hören? Und was bei Giulietta oder Mustang? Genau.

Opel setzt auf bodenständige Namen wie Adam und Karl

Bei Opel hat man sich gerade an die Gründerväter des Konzerns erinnert; Kleinwagen aus Rüsselsheim haben hier, wo große Autos früher Commodore oder Kapitän hießen, seit Neuestem Namen wie Adam. Im nächsten Jahr sogar: Karl. Namen, über die in der Branche eine Zeit lang Witze gemacht wurden ("Sagt die eine Frau zur anderen: Du, mein neuer Karl ist in der Garage").

Namenserfinder Gotta meint, dass da jemand "die Auto- mit der Waschmittelbranche verwechselt". Andere finden, dass Adam und Karl vielleicht doch gar nicht so schlecht sind, wenn Autos ein Gesicht haben sollen. Wenn man mit Namen Geschichten erzählen will. Aber warum nur ist es Opel so wichtig, dass Adam selbst in Deutschland englisch ausgesprochen wird, also: Ädäm? Adam klinge wohl zu konservativ, vermuten Marketingleute. So ganz sicher kann man sich da aber nicht sein. Vielleicht sollte sich doch noch mal jemand mit Adam einschließen - für mindestens 20 Minuten. Und: Genau hinschauen, bitte.

© SZ vom 08.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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