Autokartell:Das Ende der Freude

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BMW war jahrelang stolz auf seine Sonderrolle: keine Schummelvorwürfe, keine frustrierten Kunden, keine teuren Rückrufe. Doch plötzlich ist alles anders. In München herrscht Ratlosigkeit.

Von Thomas Fromm, Max Hägler, Klaus ott, München

Es ist etwas zerbrochen an diesem Freitag in München. Es gehörte zu den wichtigsten Dingen, die dieser Autokonzern seit Jahrzehnten hatte: das Gefühl, anders zu sein als die anderen, irgendwie unantastbar. Dieses "Mia san mia"-Gefühl vom Olympiapark - es ist dahin.

Seit dem Wochenende sind die Bayerischen Motoren-Werke Teil eines ungeheuren Vorwurfs: Sie sollen bei einem Auto-Kartell mitgemacht haben, bei dem sich die fünf Hersteller Volkswagen, Daimler, Porsche, Audi und eben BMW jahrelang untereinander abgesprochen haben, um Geld im Einkauf oder bei technischen Entwicklungen zu sparen. Besonders pikant: Das womöglich illegale Kartell soll durch Selbstanzeigen von VW und Daimler aufgeflogen sein - und seitdem ist die BMW-Welt eine andere. Sie hat sich gedreht, und zwar kräftig, denn seit dem vergangenen Freitag gibt es für die Münchner kaum noch Freunde in der Branche. Nur noch Gegner. "Es herrscht Funkstille", heißt es in München. Und dieser Satz gehört noch zu den vornehmeren. Denn Daimler und VW wollen von einer Kronzeugenregelung und damit von einer Minderung einer möglichen Strafe profitieren. Für BMW dagegen könnte es teuer werden.

Das tut weh, denn in München sieht man das so: Ausgerechnet wir von BMW, die in der Dieselaffäre doch ganz gut davongekommen sind, sollen jetzt die höchste Strafe bekommen? Von der relativen Ruhe in den Schlamassel an nur einem Tag. Das Schlimme ist: Man weiß nicht, was in diesen Selbstanzeigen der anderen steht - sie sind streng vertraulich. "Daher ist BMW von den Anträgen von Daimler und VW wohl kalt erwischt worden", sagt der Kartellrechtler Michael Dietrich aus der Düsseldorfer Kanzlei Herbert Smith Freehills. "Es gab keine Möglichkeit, BMW über die Stellung der Anträge zu informieren."

Die Allianz mit Daimler beim Car-Sharing liegt vorerst auf Eis

Am Dienstag war Vorstandssitzung in München, und da man nicht weiß, was überhaupt in diesen Selbstanzeigen aus Stuttgart und Wolfsburg steht, weiß man nicht viel. Nur so viel: "Es gibt bis zum heutigen Tag keine Ermittlungen."

Keine Durchsuchungen, kein Besuch. Die Behörden ermitteln nicht, noch nicht, aber BMW selbst schaut nach: Anwälte scannen jetzt die Protokolle sämtlicher gemeinsamer Gremiensitzungen. Was genau wurde mit den anderen Kollegen besprochen? War da etwas, das über die Grauzone hinaus ins Schwarze ging? Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung haben BMW und Daimler schon erste Konsequenzen gezogen: Sämtliche für die kommenden Wochen und Monate geplanten Kooperationsgespräche wurden "auf Eis" gelegt, heißt es aus Industriekreisen. Betroffen sind vor allem Gespräche über gemeinsame Einkaufsprojekte bei Zulieferern. Auch die Zusammenarbeit bei einem gemeinsamen Tankstellennetz für Elektroautos schaut man sich noch einmal kritisch an. Die Genehmigungen der Kartellbehörden liegen bereits vor, diskutiert wird eigentlich nur noch über den Namen. Grundsätzlich heißt es nun: Vorsichtig sein bei allen Gesprächen. "Wenn Treffen jetzt öffentlich bekannt werden, dann macht das in der jetzigen Zeit keinen guten Eindruck."

Dazu kommt vor allem der Vertrauensbruch, der sich seit Freitag aufgebaut hat zwischen den Unternehmen. Denn wenn die Selbstanzeigen schon mindestens ein Jahr alt sind, dann stellt sich die Frage: Was war denn danach? Es gab noch einige Arbeitskreise nach den Selbstanzeigen durch VW und Daimler, bei denen man gegenüber BMW wohl so tun musste, als sei alles in Ordnung. Doppeltes Spiel im Fünferbund? Juristisch erklärbar, aber menschlich eben schwer zu verstehen; jedenfalls für die Partner in München. Dort dachte man, dass man zum gemeinsamen Wohlergehen an Projekten arbeitet. "Wir sind hintergangen worden", das vor allem hört man im Vierzylinder-Turm. Weiter im Westen, in Stuttgart, gibt man sich pragmatisch: Jeder sei sich selbst am nächsten.

BMW hält auch bei den Kartellvorwürfen eisern an der Linie fest, die das Münchner Unternehmen schon bei der Abgasaffäre eingeschlagen hat, als diese vor knapp zwei Jahren begonnen hatte. Man habe nicht manipuliert, man habe sich immer streng an Recht und Gesetz gehalten. Es gibt bislang wenige harte Vorwürfe. Der Hauptankläger der Branche, Jürgen Resch und seine Deutsche Umwelthilfe, hatten einmal bei einem 7er BMW "auffallend hohe" Stickoxid-Werte im Straßenbetrieb gemessen. Doch es sind bei BMW insgesamt weit weniger negative Ausreißer zu verzeichnen gewesen als bei anderen Herstellern. Anders als insbesondere Daimler hatte BMW daher bisher wohl auch keinen Anlass gesehen, die seit vielen Jahren bestehenden Arbeitskreise der fünf großen deutschen Autohersteller in Zweifel zu ziehen. Dort wurden offenbar viele Kooperationen diskutiert.

Anders als BMW hatte Daimler aber bereits Ärger mit den Wettbewerbsbehörden. Im Jahr 2011 war das, als ein Lkw-Kartell aufflog. Fortan war das Kartellrecht ein großes Thema in Stuttgart. Der schwäbische Konzern stellte zahlreiche Juristen ein, die sich um nichts anderes kümmerten. Kooperationen wurden plötzlich aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachtet, und im Zuge der Aufklärung des Lkw-Kartells fielen den Daimler-Juristen auch die Fünfer-Runden der deutschen Autohersteller auf. Die EU-Kommission, die wegen der Preisabsprachen bei Lastwagen ermittelte, wurde über diese Arbeitskreise ins Bild gesetzt.

BMW baut Motorräder und Autos, aber keine Lastwagen. Auch deshalb gab es hier wohl keine Alarmsignale, als das Lkw-Kartell aufflog. Anders als bei den Kollegen in Stuttgart.

© SZ vom 26.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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