Aufrufe der Professoren:Das Leiden der Ökonomen

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Plötzlich laut: In den vergangenen Wochen haben sich zahlreiche Ökonomen zu Wort gemeldet. Vielen macht die jüngste Entwicklung in der Euro-Krise und einer Bankenunion derart zu schaffen, dass sie sich mit Aufrufen bemerkbar machen.

Eine Übersicht.

Seit Ausbruch der Finanzkrise stehen die Wirtschaftswissenschaften unter Generalverdacht. Warum konnte eine Wirtschaftskrise so gewaltigen Ausmaßes erst über die Vereinigten Staaten und dann über Europa hereinbrechen, obwohl jedes Jahr Milliarden in die Ausbildung tausender Ökonomen fließen und mittlerweile die Erfahrungen aus zahllosen Wirtschaftskrisen vorliegen? Hat die Ökonomie etwa nichts zu sagen, weil sie "Korrekt, präzise und absolut nutzlos" ist, wie die deutsche Ausgabe des Wall Street Journal in aller Hässlichkeit formulierte?

Immerhin: Professoren wie der Münchner Hans-Werner Sinn versuchen, mit scharfen Thesen eine Debatte über die Lösung der Eurokrise anzuzetteln und somit wenigstens ein Grundrauschen in der Ökonomie zu erzeugen, was so lange gefehlt hat. Und es hat ein wenig gewirkt: Dem Aufruf, den Sinn gemeinsam mit dem Dortmunder Wirtschaftsstatistiker Walter Krämer initiiert hat, folgten Stellungnahmen und neue Initiativen wie das Plenum der Ökonomen. Eine Übersicht.

Der Aufruf von Hans-Werner Sinn und Walter Krämer

Entstehung: Der Dortmunder Wirtschaftsstatistiker Walter Krämer verfasste nach der Lektüre eines Interviews mit seinem Münchner Professoren-Freund Hans-Werner Sinn Anfang Juli einen offenen Brief. Sinn, Chef des ifo-Wirtschaftsforschungsinstituts, unterstützte das Vorhaben. Mittlerweile haben den Brief knapp 270 Ökonomen unterschrieben. Es gab zahlreiche Reaktionen, wobei - verwirrend genug - manche Ökonomen später auch die Repliken unterstützten. Sinn und Krämer haben unterdessen in einem Artikel für die Frankfurter Allgemeine Zeitung erneut Stellung bezogen - und die Anschuldigung zurückgewiesen, "die Öffentlichkeit sei in unserem Aufruf falsch informiert worden".

These: Bloß keine Bankenunion!

Wichtige Aussagen: "Wir, Wirtschaftswissenschaftlerinnen und Wirtschaftswissenschaftler der deutschsprachigen Länder, sehen den Schritt in die Bankenunion, die eine kollektive Haftung für die Schulden der Banken des Eurosystems bedeutet, mit großer Sorge. Die Bankschulden sind fast dreimal so groß wie die Staatsschulden und liegen in den fünf Krisenländern im Bereich von mehreren Billionen Euro. Die Steuerzahler, Rentner und Sparer der bislang noch soliden Länder Europas dürfen für die Absicherung dieser Schulden nicht in Haftung genommen werden, zumal riesige Verluste aus der Finanzierung der inflationären Wirtschaftsblasen der südlichen Länder absehbar sind." ...

"Die Sozialisierung der Schulden löst nicht dauerhaft die aktuellen Probleme; sie führt dazu, dass unter dem Deckmantel der Solidarität einzelne Gläubigergruppen bezuschusst und volkswirtschaftlich zentrale Investitionsentscheidungen verzerrt werden."

Webseite: http://www.statistik.tu-dortmund.de/kraemer.html

Sondergutachten der fünf Wirtschaftsweisen

Entstehung: Praktisch gleichzeitig mit dem vom Dortmunder Professor Walter Krämer iniitierten offenen Brief publizierte das wirtschaftswissenschaftliche Beratungsgremium der Bundesregierung - kurz nach dem jüngsten EU-Gipfel am 5. Juli 2012 - überraschend ein Sondergutachten. Die sogenannten Wirtschaftsweisen warnen vor den Gefahren für die ökonomische Stabilität Deutschlands.

Das Sondergutachten trägt den Titel: "Nach dem EU-Gipfel: Zeit für langfristige Lösungen nutzen." Dem Gremium gehören die Volkswirte Wolfgang Franz, Peter Bofinger, Christoph M. Schmidt, Lars P. Feld und Claudia M. Buch an. Peter Bofinger hatte in einer Replik auf den Offenen Brief von Krämer geantwortet: "Der Aufruf schadet dem öffentlichen Ansehen der deutschen Wirtschaftswissenschaft." Er vermisse die nüchterne Diagnose und wirtschaftspolitische Handlungsanweisungen. Die gibt es nun in dem Sondergutachten.

These: Schuldentilgungspakt ist notwendig, reicht aber nicht. Darum ist eine Bankenunion denkbar, nur nicht im Schnellverfahren!

Wichtig Aussagen: "Der Euro-Raum sieht sich drei gravierenden und zugleich eng miteinander verbundenen Problemfeldern gegenüber: einer Staatsschuldenkrise, einer Bankenkrise und einer makroökonomischen Krise. Besonders gefährlich ist es dabei, dass sich diese Krisen wechselseitig verstärken und somit in einer Vertrauenskrise münden, die die Stabilität der Währungsunion insgesamt in Frage stellt."

"Der Sachverständigenrat hat mit dem Schuldentilgungspakt im November 2011 ein Konzept entwickelt, das es auf der einen Seite stabilitätsorientierten Ländern ermöglichen würde, sich zu Zinsen zu refinanzieren, die nicht durch die Spannungen an den Finanzmärkten verzerrt sind, das aber über die Tilgungsverpflichtung zugleich dafür Sorge trägt, dass die unter gemeinschaftlicher Haftung begebene Verschuldung nur temporärer Natur und zudem mit umfassenden Absicherungen versehen ist."

"Aufgrund der aufgezeigten Interdependenz der drei Krisen ist jedoch ein Ansatz, der lediglich auf die Lösung der Staatsschuldenkrise abzielt, nicht hinreichend. Dieser muss daher begleitet werden von länderspezifischen Strukturreformen in den betroffenen Ländern und konkreten Maßnahmen zur Stabilisierung des europäischen Finanzssystems."

"Im Kern gehen die Gipfelbeschlüsse vom 29. Juni 2012 insofern in die richtige Richtung, als sie die Verflechtung zwischen Banken und Staaten in das Zentrum rücken."

"Bis zu einer Bankenunion ist es noch ein weiter Weg. Zentrale Fragen, die zu klären sind, betreffen die Ansiedelung und Ausgestaltung der Bankenaufsicht, die Etablierung einheitlicher Verfahren zur Abwicklung und Restrukturierung von Banken, die Einlagensicherung und nicht zuletzt die damit verbundenen Finanzierungsfragen."

http://www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/fileadmin/dateiablage/download/publikationen/sg2012.pdf

Heinemann-Illing-Stellungnahme

Entstehung: Das Schreiben wurde von den Professoren Frank Heinemann (TU Berlin) und Gerhard Illing (LMU München) am 7. Juli als Antwort auf den Aufruf von Krämer und Sinn initiiert. Erstunterzeichner sind 16 Personen, darunter auch die frühere Sachverständige Beatrice Weder di Mauro und der Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft Dennis Snower, die auch den Masterplan des Institute for New Economic Thinking mittragen. Daneben werden zahlreiche Unterstützer aufgeführt, so dass insgesamt 220 Personen die Stellungnahme mittragen.

These: Ohne eine Bankenunion geht es nicht!

Wichtige Aussagen: "Nur wenn es gelingt, die Refinanzierung der Banken von der Solvenz nationaler Staaten abzukoppeln, kann sich die Kreditversorgung in den Krisenländern stabilisieren."

"Staatshaushalte müssen für die Refinanzierung ihrer systemrelevanten Banken einstehen. Umgekehrt halten die Geschäftsbanken in großem Umfang Schuldverschreibungen ihrer eigenen Staaten. Dadurch wird jede Bankenkrise zu einer Staatsschuldenkrise und umgekehrt - das Misstrauen schaukelt sich gegenseitig immer weiter hoch."

"Es darf dabei keinesfalls um eine Vergemeinschaftung der Haftung für Bankschulden gehen. Vielmehr kommt es darauf an, dass die europäische Bankenaufsicht wirksame Durchgriffsrechte auf insolvente Banken in den Krisenländern bekommt."

http://www.macroeconomics.tu-berlin.de/fileadmin/fg124/allgemein/Stellungnahme_zur_Europaeischen_Bankenunion.pdf

Masterplan des Institute for New Economic Thinking (Inet)

Entstehung: Das Inet versucht, frischen Wind in die Volkswirtschaftslehre zu bringen. Es wurde in New York unter anderem von George Akerlof, Michael Spence und Joseph Stiglitz gegründet, die 2001 gemeinsam den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erhalten hatten. Finanziert wird das Institut unter anderem von dem Investor George Soros. Es hat nun einen Rat initiiert, dem 17 europäische Volkswirte angehören - darunter auch Lars Feld und Peter Bofinger, die zugleich als Wirtschaftsweise auch an dem Sondergutachten des Sachverständigenrates zur Eurokrise beteiligt waren. Deneben sind beispielsweise die ehemalige Sachverständige Beatrice Weder di Mauro und Dennis Snower, Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, darin vertreten.

Kernthesen: Kurzfristig einen Schuldentilgungspakt, langfristig eine Bankenunion!

Zitate: "Wir glauben, dass Europa ... schlafwandelnd auf eine Katastrophe mit unkalkulierbaren Ausmaßen zutaumelt."

"Der Eindruck einer nicht-enden-wollenden Krise, bei der ein Dominostein nach dem anderen fällt, muss korrigiert werden. Der letzte Dominostein, Spanien, steht nach Aussagen des eigenen Finanzministers unmittelbar vor einer Liquiditätskrise. Dies ist das Ergebnis einer Struktur für die Eurozone, die in ihrer derzeitigen Konstruktion völlig defekt ist."

"Die Bewältigung der aktuellen Krise ist kein Nullsummenspiel. Stattdessen ist es eine Win-win-Situation für die Gläubiger wie für die Schuldnerländer"

http://ineteconomics.org/sites/inet.civicactions.net/files/INET%20Council%20on%20the%20Euro%20Zone%20Crisis%20-%2023-7-12.pdf

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