Anleihen:Ein Spiegel aller Krisen

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Wenn es irgendwo auf der Welt brennt, geraten sofort Anleihen von Staaten und Unternehmen in den Blickpunkt. Die Niedrigzinspolitik der Zentralbanken hat den Markt radikal verändert.

Von Harald Freiberger, München

Sie bestimmen seit Jahren die Nachrichten: "Schuldenschnitt bei griechischen Anleihen." "Rendite von Bundesanleihen im Minus." "EZB kauft Unternehmensanleihen." So lauten die Schlagzeilen, seit 2008 die Finanzkrise ausbrach. Wenn irgendwo auf der Welt eine Krise aufflackert, spiegelt sich dies auf dem Anleihemarkt wider. Aber was ist eine Anleihe eigentlich genau - und wie funktioniert sie?

"Eine Anleihe ist eine Art von Kredit, den sich der Schuldner bei Investoren beschafft", sagt Elmar Völker, AnleihenExperte bei der Landesbank Baden-Württemberg. Die größten Schuldner auf der Welt sind die Staaten. Sie haben Anleihen in Billionenhöhe ausgegeben. Aber auch Unternehmen können sich über Anleihen finanzieren. Der wichtigste Unterschied zum Kredit ist, dass eine Anleihe verbrieft wird: Der Schuldner verspricht dem Investor eine feste jährliche Zinszahlung, Kupon genannt, und er garantiert ihm die Rückzahlung von 100 Prozent zu einem vereinbarten Zeitpunkt, Laufzeit genannt.

Im Gegensatz zum Kredit ist eine Anleihe handelbar, sie kann ge- und verkauft werden. Der Anleihemarkt ist zum einen wegen seiner schieren Größe so bedeutend, zum anderen, weil sich Veränderungen in Sekundenschnelle auf ihm niederschlagen. Ein anderer wichtiger Unterschied: Kredit gibt es (meist) von der Bank, mit einer Anleihe verschuldet sich der Emittent dagegen am Kapitalmarkt, also bei Investoren auf der ganzen Welt; die wichtigsten sind Profis wie Pensionskassen und Versicherungen, aber jeder Privatanleger kann eine Anleihe kaufen und zum Teil des Kapitalmarkts werden.

Unterschieden wird nach dem "Primärmarkt" und dem "Sekundärmarkt": Der Primärmarkt umfasst alle Anleihen, die vom Schuldner erstmals ausgegeben werden. Sobald der erste Investor die Anleihe aber weiterverkauft, spricht man vom Sekundärmarkt. Es gibt Investoren, die Anleihen kaufen und bis zum Ende der Laufzeit halten. Gerade Profis aber kaufen und verkaufen Anleihen vorzeitig, sie spekulieren mit ihnen, versuchen Kursunterschiede für sich auszunutzen.

Illustration: Lisa Bucher (Foto: Lisa Bucher)

An dieser Stelle ist es wichtig, auf den Unterschied zwischen "Kupon" und "Rendite" hinzuweisen. Der Kupon ist das jährliche feste Zinsversprechen des Schuldners, die Rendite schwankt täglich. Der Schuldner gibt eine Anleihe in der Regel zum Kurs von 100 Prozent aus und verspricht, zum Beispiel, über eine Laufzeit von fünf Jahren jedes Jahr 1,5 Prozent Zinsen zu zahlen; die Anleihe hat dann einen Kupon von 1,5 Prozent. Hält der Investor die Anleihe bis zum Ende der Laufzeit, bekommt er 100 Prozent zurückgezahlt und hat jedes Jahr 1,5 Prozent Zinsen kassiert.

Komplizierter wird es, wenn ein Anleger die Anleihe vor Ende der Laufzeit verkauft. Dann nämlich kommen auch Veränderungen des Kurses zum Tragen. Der Kurs ist - wie bei einer Aktie - dazu da, Veränderungen in der Bewertung auszugleichen. "Der Kurs bildet sich nach Angebot und Nachfrage", sagt Experte Völker. Wenn Investoren den Kurs einer Anleihe als günstig sähen, stiegen Nachfrage und Kurs - und umgekehrt. Ein wichtiger Faktor für den Kurs von Anleihen ist das Zinsumfeld, also der Leitzins, den die Notenbanken setzen. Er gibt das Grundniveau für den Zins vor. Der Zins von Anleihen sicherer Emittenten, zum Beispiel Deutschland, bewegt sich in der Nähe dieses Grundniveaus. Je schlechter die Bonität eines Emittenten, umso größer die Gefahr, dass er die Anleihe nicht zurückzahlen kann. Dieses Risiko lassen sich Investoren mit einem Zinsaufschlag bezahlen. Deshalb sind etwa die Zinsen griechischer Staatsanleihen viel höher als jene deutscher Papiere.

Auch Veränderungen in der Bonität spiegeln sich sofort im Anleihekurs wider. Kommen zum Beispiel schlechte Nachrichten von der Konjunkturlage in Italien, verkaufen Investoren italienische Staatsanleihen - sie fallen im Kurs. Kommt die Nachricht, dass die EZB noch mehr Staatsanleihen kauft, steigen Nachfrage und Kurs.

Die Investoren verlangen vom Emittenten für höhere Risiken mehr Zinsen für ihr Geld

Ist der Kurs über 100 Prozent gestiegen und ein Anleger kauft eine Anleihe auf dem Sekundärmarkt, bekommt er am Ende der Laufzeit weniger zurück, als er gezahlt hat. Der Kupon fließt in der vereinbarten Höhe zwar jedes Jahr weiter, die Rendite aber - das, was der Anleger unterm Strich rausbekommt - sinkt. "Kurs und Rendite verhalten sich spiegelbildlich, sie ergeben sich mathematisch auseinander", sagt Völker. Steigt der Kurs, sinkt die Rendite, sinkt der Kurs, steigt die Rendite.

Niedrige Zinsen, hohe Unsicherheit - wie soll man da noch sein Geld investieren? In der "Geldwerkstatt" erklären wir aktuelle Fragen zur Geldanlage. (Foto: SZ-Grafik)

Ein vereinfachtes Beispiel aus der aktuellen Negativzins-Welt: Eine deutsche Staatsanleihe mit zwei Jahren Laufzeit rentiert mit etwa minus 0,5 Prozent. Bei einer Neuemission wird der Kupon bei 0 Prozent festgesetzt. (Einen negativen Kupon gibt es nicht, das hätte einen abschreckenden Effekt auf Anleger und wäre praktisch schwer umzusetzen.) Zum Ausgleich gibt der Bund die Anleihe zu einem Kurs von 101 Prozent heraus, also einen Prozentpunkt über dem normalen Niveau. Da der Anleger am Ende nur 100 Prozent zurückbekommt, verliert er über zwei Jahre einen Prozentpunkt - oder pro Jahr 0,50 Prozent. Die jährliche Rendite liegt also bei minus 0,50 Prozent. Steigt der Kurs nun auf 101,2 Prozent, wirkt sich das auch auf die Rendite aus: Das Kursplus von nunmehr 1,2 Prozentpunkten, geteilt durch zwei Jahre Laufzeit, ergibt eine jährliche Rendite von minus 0,6 Prozent - vorausgesetzt, der Anleger hält die Anleihe bis zum Schluss. Verkauft er vorher, kann er das Kursplus realisieren.

Die seit Jahren anhaltende Niedrigzins-Politik der Notenbanken hat den Anleihemarkt radikal verändert: Bundesanleihen fast aller Laufzeiten rentieren inzwischen negativ. Rendite bekommen Anleger nur noch, wenn sie ins Risiko gehen und ihr Geld Staaten leihen, bei denen die Rückzahlung nicht so sicher ist. Dasselbe Bild bei Unternehmensanleihen, seit die EZB im Juni angefangen hat, auch solche Papiere zu kaufen: Große, finanzstarke Konzerne geben mittlerweile Anleihen aus, deren Kupon nahe null ist. Rentabel ist das nur für Schuldner - nicht aber für Investoren.

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© SZ vom 05.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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