Amazon:Big Business

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Ein Lager von Amazon in England. Im Einzelhandel ist der US-Konzern schon eine feste Größe. Das will er nun auch im Großhandel werden. (Foto: Peter Macdiarmid/Getty)

Amazon reichen die Endverbraucher nicht mehr. Der US-amerikanische Konzern macht sich auch im Großhandel breit.

Von Korbinian Eisenberger, München

Man möchte meinen, die Zukunftssorgen von Max Meister, Geschäftsführer eines der größten technischen Handelsunternehmen Deutschlands, dürften sich in Grenzen halten. Bei der Dachauer Firma "Ludwig Meister", Spezialist für Werkzeug-, Antriebs-, und Fluidtechnik, läuft die Versandmaschinerie schließlich auf Hochtouren, die Wachstumszahlen liegen weit über dem Branchenschnitt. Und dennoch sagt der 32-Jährige, rechne er damit, dass der Familienbetrieb schon bald zunehmend Kunden verlieren werde. Und das möglicherweise nicht zu knapp.

Großhändlern wie der Firma Ludwig Meister, so prognostizieren Verbände und Experten, steht ein Rivale ins Haus, der demnächst in Deutschland Teile der Branche ersetzen könnte. Bereits vor einigen Jahren hat sich Amazon, längst weltweit Marktführer im Einzelhandel, den Großhandel in den USA vorgenommen. Früher oder später, daran zweifeln die wenigsten, dürfte Amazon sein Angebot auf Europa ausweiten. In Fachverbänden und Firmenkreisen wird längst nicht mehr die Frage nach dem Ob diskutiert, sondern nach dem Wann.

In den USA bietet "Amazon Business", wie sich der Zweig des Internethändlers dort seit Kurzem nennt, bereits im großen Stil jene Waren an, die hierzulande noch fast ausschließlich über Großhändler wie Ludwig Meister vertrieben werden: Etwa Schrauben, Ersatzteile oder Glasplatten. Doch nicht erst seitdem Amazon vor etwa drei Jahren, damals noch mit dem Beinamen "Supply", in den USA auf den Markt ging, wachsen dort die Umsätze: Deutlich ertragreicher ist seit Längerem der weltweit zweitgrößte Großhändler Grainger. Laut einer Studie des Wiener Unternehmensberaters Lead Innovation Management setzte Grainger 2014 zehn Milliarden Dollar um, etwa 40 Prozent davon im Onlinegeschäft, Tendenz steigend.

"Wir beobachten das mit Sorge. Unsere Branche ist angreifbar."

Erstaunlich ist das freilich kaum: Dem Wirtschaftsmagazin Forbes zufolge wird im Business-to-Business, also im Geschäft von Firmen mit Firmen, allein in den USA jährlich ein Umsatz von 7,3 Billionen Dollar gemacht. Der Einzelhandel setzt rund vier Billionen Dollar um.

Tatsächlich zählt die Branche der Großhändler zu einer der weltweit größten. Allein in Deutschland arbeiten knapp zwei Millionen Menschen für Großhandelsbetriebe - und dennoch ist deren Berufsstand für viele nur ein abstrakter Begriff, denn sie sind eine Art Vermittler, die unmittelbare Verbindung zum Endkunden. Der schaut meistens nur auf die Marke des Herstellers, der Großhändler taucht gar nicht auf. "Die Großhändler tun gut daran, Amazon und Co. ernst zu nehmen", sagt André Schwarz, stellvertretende Geschäftsführer beim Bundesverband für Groß- und Außenhandel. "Man sieht ja, wie groß das Internet im Einzelhandel ist", sagt er. Ähnlich sieht das Thomas Vierhaus, Geschäftsführer des Fachverbands für technischen Handel. "Wir beobachten das mit Sorge. Unsere Branche ist angreifbar."

Eigentlich gibt es auf Amazons herkömmlicher Handelsplattform auch im deutschen Netz schon jetzt nahezu alles, was ein Konzern benötigt. Die Business-Plattform von Amazon bietet jedoch zusätzliche Anreize, die nur für Firmen gelten - und gerade dann lukrativ sind. So können Händler etwa direkt Mengenrabatte auf ihre Produkte geben oder mit besonders schnellen Lieferzeiten werben. Zudem ist Amazon Business in den USA laut einer Studie der Boston Consulting Group ein Viertel preiswerter als herkömmliche Großhändler. Daran dürfte auch in Deutschland kaum zu rütteln sein.

Ist der deutsche Großhandel in Gefahr?

Stefan Stegemann muss diese Frage in letzter Zeit immer häufiger beantworten. Stegemann, Sprecher der Geschäftsführung beim Elektrogroßhändler Sonepar Deutschland, ist jedoch davon überzeugt, dass der Großhandel gegenüber reinen Netzanbietern in vielen Bereichen weiterhin entscheidende Argumente hat. "Wir haben über Jahrzehnte eine vertrauensvolle Beziehung zu unseren Kunden aufgebaut", sagt Stegemann. "Teilweise haben wir sogar die Garagenschlüssel unserer Kunden, um nachts liefern zu können". Seine Mitarbeiter seien häufig vor Ort und würden sich um die Kunden kümmern. "Es geht nicht nur um den Preis, sondern vor allem um Service und Kompetenz", sagt Stegemann. Vertrauen und Nähe - der Entscheidende Vorteil gegenüber Amazon?

Nicht unbedingt. Gerade bei Waren, bei denen kaum Dienstleistungen erbracht werden - etwa Schrauben oder Arbeitshandschuhe - sei vor allem ein günstiger Preis entscheidend, sagt André Schwarz vom Dachverband. "Da könnte es sein, dass dem Großhandel bestimmte Bereiche wegbrechen." Und nicht nur da. Viele Großhändler würden ihre Produkte im Artikelverzeichnis teilweise gar nicht oder unzureichend beschreiben. Das spart zwar Zeit am Computer, wo die Daten allesamt eingetippt werden müssen. Es erschwert aber, den Überblick zu bewahren. Oft fehlen dann Ersatzteile, andere stapeln sich im Lager.

Um dieses Problem zu lösen, hat der Betrieb von Großhändler Meister sein Warenlager direkt mit den Kundensystemen verbunden und individuell abgestimmt - ein aufwendiges Prozedere, auf das viele Firmen verzichten. Ein Trugschluss? Entscheidend sei, sagt Meister, "dass sich der Kunde die Ware möglichst einfach und automatisch beschaffen kann". Es soll schließlich schnell gehen mit der Lieferung, und die Ware immer verfügbar sein - so wie die Netzanbieter das versprechen. "Persönliche Betreuung ist die Grundlage", so Meister. Um Amazon die Stirn zu bieten, reiche dies allein längst nicht mehr aus.

© SZ vom 16.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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