Alternde Gesellschaft:Deutschland altert - na und?

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Dieser Dame macht das Älterwerden gar nichts aus (Symbolbild) (Foto: imago/photothek)

Die Menschen leben nicht nur länger, sondern bleiben auch viel länger fit. Das starre Rentenalter gehört endlich abgeschafft - dann ist das Alter kein Problem, sondern eine Chance.

Kommentar von Marc Beise

Nun werden wieder Krippenspiele in Seniorenheimen aufgeführt, und die kleinen Hirten und Engel sehen die alten und sehr alten Menschen, für die sie spielen und musizieren, und das wird für manche, zumal wenn sie selbst noch rüstige Großeltern haben, ein einprägsames Erlebnis. Sie bekommen eine erste Ahnung davon, wie die Gesellschaft mit denen umgeht, die nicht mehr im Alltag bestehen können oder wollen: Sie werden zur Seite geschoben, gehören nicht mehr richtig dazu.

Früher waren das vergleichsweise wenige, heute werden es immer mehr. Wir alle altern, und mit uns altert die Gesellschaft, Letztere dummerweise aber immer schneller. Die Lebenserwartung beträgt heute im Schnitt bereits 80 Jahre, darauf hat soeben der Chef der Deutschen Rentenversicherung hingewiesen. Alle zehn Jahre steigt die statistische Lebenserwartung der Deutschen um zweieinhalb Jahre. Jedes zweite heute geborene Baby kann nach manchen Prognosen damit rechnen, 100 Jahre alt zu werden. Weil gleichzeitig viel zu wenig Kinder geboren werden, verändert sich die Statik der Gesellschaft. 2035 wird es doppelt so viele 60-Jährige geben wie unter 20-Jährige. Deutschland wird dann die älteste Bevölkerung der Welt haben.

So wird es kommen, aber ist das schlimm? Es wäre dann schlimm, wenn die Gesellschaft sich dieser Verschiebung weiter nicht stellt. Wenn sie ihre Systeme nicht ändert. Dabei geht es nicht so sehr darum, immer mehr für "die Alten" zu tun. Es ist schön, dass der Staat für immer mehr barrierefreie Zugänge sorgt, das Kulturangebot erweitert und neue Pflegeheime baut. Noch wichtiger aber wäre es, den ganzen Lebenszyklus in den Blick zu nehmen, Jung und Alt zusammenzubringen.

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Es ist offensichtlich, dass die gesetzliche Rente reformiert werden muss

Beispiel Arbeitswelt: Es ist schon ein Phänomen, dass in diesem Land die Menschen, obschon sie immer älter werden, gleichzeitig immer weniger arbeiten. Als der Reichskanzler Bismarck im Jahr 1889 das gesetzliche Rentensystem einführte, wurde Rente erst mit 70 gezahlt, die durchschnittliche Lebenserwartung jedoch lag bei 40 Jahren; das war finanzpolitisch eine clevere Nummer. Seitdem steigt die Lebenserwartung unablässig, aber Altersgrenze und Wochenarbeitszeit sinken. Wer 1960 in den Ruhestand ging, blickte auf mutmaßlich zehn Rentenjahre. Heute, ein halbes Jahrhundert später, sind es 20 Rentenjahre.

Vor diesem Hintergrund ist es offensichtlich, dass die gesetzliche Rente reformiert werden muss. Nicht sofort, aber in einigen Jahren wird das gegenwärtige Umlagesystem nicht mehr funktionieren, bei dem viele Arbeitnehmer weniger Rentner finanzieren. Wie einfach wäre alles, wenn die Menschen länger arbeiten würden - und wie mühsam ist es, dafür politisch die Voraussetzungen zu schaffen! Der Kraftakt der Rente mit 67 gilt als nicht wiederholbar, eine Diskussion um längere Lebensarbeitszeiten war im Wahlkampf ein No-Go.

Das Thema ist hochemotional, mit Mathematik kommt man nicht weit, mit ökonomischer Rationalität auch nicht. Besserung ist erst in Sicht, wenn das Alter nicht mehr als Problem gesehen wird, sondern als Chance. Nicht als Vorstufe des Siechtums, sondern als Verlängerung der aktiven Phase. Wir werden alle älter - werden wir nicht eigentlich alle jünger, wenn man nur den richtigen Vergleich wählt?

Die Erfahrung der Älteren wird immer wichtiger

75-Jährige sind heute so fit wie früher 65-Jährige. Pro fünf gewonnene Jahre kann der Deutsche drei gesund erleben. Dass der Staat Menschen heute mit 65 oder etwas später aus dem Arbeitsleben drängt, dass viele Unternehmen Mitarbeiter schon mit 50 ausmustern, ist ökonomisch, psychologisch, gesellschaftlich falsch. Je komplexer Wirtschaft und Gesellschaft werden, desto wichtiger ist die Erfahrung der Älteren - im Unternehmen und in der Gesellschaft. Ein Staat mit immer mehr älteren Bürgern hat, wenn er diese ausgrenzt, schon verloren.

Im Gegenteil muss, zumal in Zeiten der Digitalisierung, die Arbeitswelt flexibilisiert werden. Ein starres Rentenalter hat sich überlebt, es gehört kurzfristig geöffnet, längerfristig abgeschafft. In den Unternehmen müssen die Jungen in den Jahren höchster privater Belastung entlastet und gleichzeitig die Alten gefördert werden. Und der Staat muss mit aller Kraft lebenslanges Lernen fördern.

Erst wenn man das Alter wirklich als eine Fortsetzung der Jugend begreift und nicht als eine neue, letzte Phase, kann sich wirklich etwas ändern. "Wir müssen das verlängerte Leben insgesamt in den Blick nehmen", hat vor zwei Jahren Joachim Gauck als Bundespräsident gefordert. Die "lange lebende" müsse zur "lange lernenden Gesellschaft" werden. Ein gutes, ein zwingendes Thema für die nächste Regierung.

© SZ vom 08.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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