Allianz:"Die sitzen das aus"

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Der mächtige Turm der Allianz SE in Berlin. Der Versicherungskonzern sieht sich schweren Vorwürfen ausgesetzt. Er soll finanzielle Ansprüche von freien Vertretern falsch berechnet haben. (Foto: Michael Weber/mauritius images/imageBROKER)

Der Versicherer gibt sich gern sozial. Doch freie Vertreter sehen ihren Auftraggeber anders - sie fühlen sich um einen Teil der Rente betrogen.

Von Uwe Ritzer, München

Der Allianz für Kinder in Bayern e. V. ist ein Ableger des gleichnamigen Versicherungsriesen. Der Verein sammelt Spenden und verteilt sie an Einrichtungen für kranke und behinderte Kinder und Jugendliche. Von denen dürfen schon mal welche mit den Fußballstars des FC Bayern ins Stadion einlaufen. Passend zum Werbeslogan der Kinder-Allianz: "Hand in Hand für eine bessere Zukunft".

"Selbstlos" arbeite man und verfolge "nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke". So steht es in der Vereinssatzung. Doch das Bild von der karitativen Selbstlosigkeit hat einen hässlichen Kratzer erhalten. Der Vorwurf steht im Raum, dass der gemeinnützige Verein auch für Interessen des Versicherers eingespannt wird. Etwa dann, wenn sich jemand mit der Allianz anlegt. Wie Diana Vogler (Name geändert).

Die Versicherungsvertreterin aus Süddeutschland hat den Konzern im Sommer vor dem Landgericht München I verklagt und erhebt einen schweren Vorwurf: Der Versicherer bringe sie und viele andere seiner 8000 freiberuflichen Vertreter in Deutschland um Teile ihrer Rente. Und womöglich auch einige der ebenfalls 8000 Ruheständler, die bereits Alters- oder andere Versorgungsbezüge erhalten. Der Versicherungskonzern habe deren Ansprüche womöglich über lange Zeit falsch und zu seinen Gunsten berechnet, so Voglers Verdacht. Sollte er sich bewahrheiten, drohen dem Konzern schlimmstenfalls Nachzahlungen im hohen dreistelligen Millionenbereich - und ein Image-Desaster.

Immer wieder hat Diana Vogler über Jahre hinweg der zuständigen Allianz Beratungs- und Vertriebs-AG (ABV) haarklein nachgewiesen, dass von ihr abgeschlossene Lebens- und Sachversicherungen gar nicht oder nicht korrekt für ihre Altersvorsorge berücksichtigt wurden. Ein ums andere Mal musste das Vertreterversorgungswerk (VVW), die interne Rentenkasse für Allianz-Vertreter, Fehler korrigieren. Kaum damit fertig, tauchten neue auf. Beschwerte sich Vogler, wurde sie oft monatelang vertröstet. Bis sie die Nase voll hatte und vor Gericht zog.

Erstaunlich schnell wusste die Allianz daraufhin, Vogler sei ein "Einzelfall", zu dem "häufige Vertragsanpassungen und -wechsel bei wenigen großen Firmenkunden im Bereich der betrieblichen Altersversorgung" geführt hätten. Es lägen aber "keine Hinweise auf ein grundsätzliches Problem bei der Berechnung der Altersvorsorgeansprüche unserer Vertreterinnen und Vertreter vor", so ein Konzernsprecher. Interne Überprüfungen hätten dafür "keine Anhaltspunkte ergeben".

Doch an dieser Darstellung mehren sich die Zweifel. Wie kann die Allianz binnen kurzer Zeit die Ansprüche aller 8000 Vertreterinnen und Vertreter überprüft haben, wo sie doch selbst Vogler gegenüber schriftlich eingeräumt hat, allein um ihre Bestände zu prüfen fehle es an den nötigen Kapazitäten? Noch mehr Zweifel an der Einzelfall-Version nähren Reaktionen auf einen Bericht in der Süddeutschen Zeitung (SZ vom 11. 08. 2017) über Voglers Klage.

Mehrere aktive oder ehemalige Allianz-Vertreter berichteten in sozialen Netzwerken von ähnlichen Erfahrungen. Er kenne "persönlich noch mehrere Klagen gegen die ABV", schrieb der Versicherungsvertreter Stefan H. Sein Vater habe schon 2000 "bezüglich der Abrechnung aus dem VVW geklagt", woraufhin die Allianz einen großzügigen Vergleich mit ihm geschlossen habe. Sein Kollege Thomas L. gab an, auch sein "Buchauszug war unvollständig, entsprechende Reklamationen wurden ignoriert und ganze Sparten wären angeblich überhaupt nicht ausgleichspflichtig." Ein anderer Allianzer klagte: "Ich bin seit 29 Jahren Vertreter und habe bis heute keine richtige Möglichkeit gefunden, dieses System VVW nachzuvollziehen."

Der SZ liegen darüber hinaus weitere solcher Aussagen vor. "Auch mein Bestand ist nicht in Ordnung", so ein Allianzer. Eine Kollegin: "Das Provisionssystem ist vollkommen marode und in keiner Weise nachzuvollziehen." Wenig schmeichelhaft für die Allianz, die Versorgungswerke nicht nur für ihre Leute, sondern auch für andere Firmen und Berufsgruppen betreibt.

Viele betroffene Vertreter ballen zwar die Faust in der Tasche, scheuen aber den Streit mit dem finanzstarken Konzern. "Die sitzen das aus und ziehen es in die Länge, während du am ausgetreckten Arm verhungerst", befürchtet einer. Wie mühsam und zermürbend das sein kann, zeigt der Fall von Heinz Gruber (Name geändert).

Früher war der Pensionär aus Hessen einer der erfolgreichsten Vertreter der Vereinten Versicherung, die zur Jahrtausendwende von der Allianz geschluckt wurde. Seit 17 Jahren kämpft Gruber darum, dass seine Altersbezüge neu berechnet werden. Zig Verträge, die er mit Kunden abgeschlossen habe, seien nicht korrekt herangezogen worden, sagt Gruber. Die Allianz habe sie unter den Tisch fallen lassen. Er hat viele Briefe an Allianz-Manager geschrieben, ohne Erfolg. 2014 hat er die ABV am Landgericht München I verklagt. "Wäre alles korrekt gelaufen, müsste ich etwa 3000 Euro Rente monatlich mehr bekommen", sagt Gruber. Gewinnt er den Prozess, könnte das eine Lawine auslösen. "Ich war nicht der einzige Vereinte-Vertreter, dem es so ging", sagt Gruber.

Ein Vergleichsangebot habe sie "schnellstmöglich zum Schweigen bringen sollen"

Ein Allianz-Sprecher lehnte es auf Anfrage ab, zu den einzelnen Klagen und Vorwürfen Stellung zu nehmen. Aus datenschutzrechtlichen Gründen sei das nicht möglich. Konzernchef Bäte, von der SZ bereits im Sommer konfrontiert, äußerte sich bisher nicht. Dabei sollte er um die Probleme bei der Vertreterversorgung und das damit verbundene Kostenrisiko eigentlich wissen. Denn Diana Vogler hat ihn im Januar 2017 über ihren Fall informiert.

Ihr Streit eskaliert inzwischen. Bei einem Gerichtstermin im Herbst vereinbarte Vergleichsverhandlungen sind gescheitert. Anfang Dezember kickte die Allianz die unbequeme Vertreterin raus. Während ein Firmensprecher sich auch dazu "aus datenschutzrechtlichen Gründen" nicht äußern will, erhebt Vogler Vorwürfe: Das Vergleichsangebot der Allianz habe sie "schnellstmöglich zum Schweigen bringen und einschüchtern" sollen.

Dabei kommt der gemeinnützige Verein Allianz für Kinder ins Spiel. Immer wieder hatte er in der Vergangenheit von Diana Vogler vorgeschlagene Projekte gefördert. 2017 wurden ihre Anträge abgelehnt. "Das derzeit laufende Gerichtsverfahren zwischen Ihnen und der ABV ist ein weiterer Grund für unsere Entscheidung", schrieb die Vereinsgeschäftsführerin. Voglers Replik: "Sie unterstützen Hilfsprojekte also nur, wenn ein Vertreter fügig ist und Missstände bei der Allianz nicht anzeigt?"

Die Vorwürfe, dass angeblich selbstlose Vereinsarbeit endet, wo Interessen des Allianz-Konzerns berührt sind, und Vogler abgestraft wurde, weist Vereinsvorsitzender Jürgen Heinle zurück. Man könne angesichts der Fülle nicht jedem Antrag folgen. Außerdem habe man "vor dem Hintergrund der derzeit laufenden gerichtlichen Auseinandersetzung" den Eindruck vermeiden wollen, Vogler durch Zuschüsse an bedürftige Kinder "im Verfahren der Allianz gegenüber gewogener zu stimmen." Eine kuriose Begründung. Dabei muss man wissen: Vereinsvorsitzender Heinle ist auch Vorstand der von Vogler verklagten Allianz Beratungs- und Vertriebs AG.

© SZ vom 15.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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