US-Börse:Wie zu guten alten Crash-Zeiten

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Wie lange dauert der Boom an den US-Märkten noch? Die Wall Street, die wichtigste Aktienbörse der Welt (Foto: AFP)
  • Die immer höheren Stände der Aktienindizes werden von einer immer geringeren Zahl an Firmen produziert.
  • Dieser Trend erinnert an die Crashs der Jahre 2000 und 2007.

Analyse von Claus Hulverscheidt, New York, und Elisabeth Dostert, New York

Zu den wenigen Dingen, die in der Welt des Kleinanlegers zuletzt noch sicher erschienen, gehörte die Gewissheit, dass es wenigstens am Aktienmarkt noch Geld zu verdienen gibt. Während Staatsanleihen schon seit Jahren kaum Rendite abwerfen, die Zinsen für Tagesgeld auf null sanken und Immobilien praktisch unerschwinglich wurden, ging es mit den früher so schwankungsanfälligen Unternehmenswerten stetig bergauf: Allein seit Januar hat der Dax, das Barometer der Frankfurter Börse, um gut 14 Prozent zugelegt.

Katerstimmung

In den USA jedoch legen immer mehr Experten die Stirn in Falten, denn die Rekordjagd der Aktienindizes überdeckt einen zweiten Trend, der fatal an die Crashs der Jahre 2000 und 2007 erinnert: Die immer höheren Indexstände am Gesamtmarkt werden von einer immer geringeren Zahl an Firmen produziert. Oder anders gesagt: Während einige wenige Aktien durch die Decke gehen und zu immer neuen Champagnerrunden einladen, herrscht ein Stockwerk tiefer längst Katerstimmung.

Beispiel Nasdaq Composite: Der Wert aller an der US-Technologiebörse notierten gut 3000 Unternehmen ist seit Jahresbeginn um 664 Milliarden Dollar gestiegen. Das zeigt eine Analyse der Brokerfirma Jones Trading, aus der das Wall Street Journal (WSJ) zitiert. Mehr als die Hälfte dieses Zuwachses aber steuern ganze sechs Aktien bei, nämlich die der Internetriesen Amazon, Google, Apple, Facebook und Netflix. Hinzu kommt der Pharma- und Biotechnologiekonzern Gilead Science.

Zwei Promille aller Firmen machen also über 50 Prozent aller Wertzuwächse aus. Allein der Börsenwert des Versandriesen Amazon stieg demnach zwischen Januar und Juli um 104 Milliarden auf 250 Milliarden Dollar. Google gewann 79 Milliarden, Apple 63 Milliarden Dollar hinzu.

Noch dramatischer ist die Entwicklung beim S&P 500, der neben der High-Tech-Industrie auch alle anderen wichtigen Branchen umfasst: Hier haben die Papiere von Amazon, Google, Apple, Facebook, Gilead und Disney mit insgesamt 199 Milliarden Dollar mehr an Wert gewonnen als der Gesamtmarkt - was nichts anderes bedeutet, als dass die übrigen 494 Titel zumindest im Schnitt an Wert verloren haben.

Dasselbe Phänomen hatten Experten auf dem Höhepunkt des ersten Internetbooms zur Jahrtausendwende beobachtet. Damals waren es ebenfalls ganze sechs Firmen, die den S&P 500 trugen, während drum herum die Kurse bereits in den Keller rauschten. Im März 2000 folgte dann der Knall: Die Internet-Blase platzte, und der Gesamtindex brach um 40 Prozent ein. Noch schlimmer erwischte es den Nasdaq Composite, der binnen zweieinhalb Jahren gar 75 Prozent seines Wertes verlor.

Von einer solchen Horrorentwicklung ist dieser Tage scheinbar nichts zu sehen, vielmehr erreichten der Nasdaq Composite und der S&P 500 erst Anfang vergangener Woche ihre bisher höchsten Werte aller Zeiten. Und doch ist die dahinter stehende Entwicklung wesentlich vielschichtiger. So rutschten laut WSJ ausgerechnet am S&P-Jubeltag beinahe ebenso viele Aktien auf ein Jahrestief ab, wie andere ein Jahreshoch verbuchten. Zieht man an der Nasdaq eine Zwischenbilanz der ersten knapp sieben Börsenmonate des Jahres, so gibt es Ende Juli erstmals mehr Kursverlierer als -gewinner - auch das ein Phänomen, das an die Jahre 2000 und 2007 erinnert.

Entweder bricht der Markt zusammen - oder die Basis wird breiter

Im S&P 500 liegen die Gewinner noch leicht in Führung, doch auch hier ist die Liste der Verlierer eine illustre. Sie umfasst praktisch alle großen Energiekonzerne, daneben aber auch Konsumgüterhersteller wie Mattel und Ralph Lauren, Pharmagrößen wie Dupont und Biogen, Fluggesellschaften wie American Airlines sowie den Einzelhandelsriese WalMart - aber auch einstige Erfolgsgaranten aus der Elektronikindustrie wie den Chiphersteller Intel. Mittlerweile stehe man am Scheideweg, sagte der Fondsmanager Scott Migliori dem WSJ. "Entweder bricht der gesamte Markt zusammen, oder die Basis wird endlich breiter." So wie bisher jedenfalls werde die ganze Sache nicht mehr lange gut gehen: Das Gummiband, das den Markt zusammenhalte, sei "zu weit überdehnt".

Deutlich gesünder als die US-Indizes sieht bisher die Entwicklung des Dax aus: Zieht man eine Bilanz der vergangenen zwölf Monate, so stehen hier 23 Kursgewinnern nur sieben Verlierer gegenüber. Zu Letzteren zählen allerdings Größen wie Siemens, BMW, BASF und Eon.

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(Foto: sz grafik)

SZ-Grafik; Quelle: Bloomberg

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SZ-Grafik; Quelle: Bloomberg

Was Experten wie Migliori an der Entwicklung in den USA beunruhigt, ist auch die Tatsache, dass trotz der nach wie vor fragilen Konjunkturentwicklung die Aktienkurse stärker steigen als die Firmengewinne. Noch zu Jahresbeginn wurden die 500 S&P-Titel im Schnitt mit dem 17-Fachen des Ertrags pro Aktie gehandelt, mittlerweile liegt der Wert bei 18,5. Der Zehn-Jahres-Durchschnitt beträgt gerade 15,7.

Das legt den Verdacht nahe, dass die Kurse nicht nur durch reale Faktoren, sondern auch durch ein Überangebot an Kapital getrieben werden, das angelegt werden will. Dahinter steht die ultra-lockere Geldpolitik, mit der die US-Notenbank Fed und die Europäische Zentralbank seit Jahren versuchen, die Wirtschaft zu stabilisieren.

Was ist der wahre Wert?

Wann aus einem Aktienboom eine Spekulationsblase wird, kann ungeachtet aller Warnsignale aber kein Experte der Welt mit Gewissheit sagen. Denn was ist schon der wahre Wert eines Unternehmens? Ergibt er sich aus der Bilanz? Oder doch aus der Börsenkapitalisierung?

"Die Unterschiede sind manchmal gewaltig", sagt Christian Hofmann, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. "Die Bilanz zeigt die Vermögenswerte einer Firma bezogen auf einen bestimmten Stichtag. Der Aktienkurs spiegelt die Erwartungen der Anleger wider, wobei der Horizont theoretisch bis zu einem beliebigen Zeitpunkt in unendlich ferner Zukunft reicht." Die Fragen, die Börsenhändler stellen, sind somit auch ganz andere als die von Buchhaltern: Wie entwickeln sich Produkte und Märkte? Erfindet etwa Apple nach iMac, iPod, iPhone, iPad und iWatch auch noch das iCar? Je nachdem, wie man diese Frage beantwortet, ergeben sich dramatisch verschiedene Firmenwerte.

Auch ist es im Jahresabschluss schlicht nicht möglich, den unschätzbaren Wert einer Marke wie Apple oder den Nutzen einer innovativen, hoch motivierten Belegschaft zu beziffern. Hofmann, der sich die Bilanzen von Tech-Riesen wie Apple und Google angesehen hat, macht Kapitalanlegern deshalb Mut: Zwar lasse sich nicht genau sagen, inwieweit der "innere Wert" der Konzerne vom Wert am Aktienmarkt abweicht. Der Börsenkapitalisierung lägen aber immerhin die Kaufentscheidungen Hunderttausender Anleger zugrunde. "Ungeachtet möglicher Spekulationsblasen", so Hofmann, "kann man sich fragen: Ob die durchweg alle falsch liegen?"

© SZ vom 28.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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