Affäre um EU-Kommissar Dalli:Erfolg der Tabaklobby

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Mysteriöse Einbrüche bei Lobbyisten und eine 60-Millionen-Euro-Forderung: Die Affäre um den zurückgetretenen EU-Gesundheitskommissar Dalli wird mit jeder Wendung mysteriöser. Inzwischen ist klar: Die in Brüssel extrem aktive Tabakindustrie kann sich als Sieger fühlen.

Javier Cáceres, Brüssel

Als am Donnerstagmorgen die Mitarbeiter von drei Anti-Tabak-Organisationen die Türen zu ihren Brüsseler Büroräumen öffnen, wähnen sie sich in einem billigen Agentenfilm. Alles ist durchwühlt. Ohne erkennbare Systematik, ohne ersichtliche Zielgerichtetheit. Im Gegenteil.

Auch am Sonntag war immer noch nicht klar, wer im Morgengrauen des Donnerstags in der Rue de Trèves 49-51 zugange war, einem dieser anonymen Bürogebäude zwischen Europaparlament und Kommission. Doch die Anti-Rauch-Lobbyisten werden das Gefühl nicht los, dass es eine Verbindung geben könnte zu der Korruptionsaffäre, die Brüssel nur 48 Stunden zuvor erschüttert - und dann zum Rücktritt von Verbraucherschutz- und Gesundheitskommissar John Dalli geführt hatte. Beweise dafür haben sie nicht. Doch auch das passt zu einer Affäre, die mit jedem Tag und jeder Wendung mysteriöser wird. Aber der Reihe nach.

Dallis Rücktritt war am Dienstagabend bekannt geworden; dass er spontan und aus freien Stücken ging, wie die Kommission hinterher behauptete, hat der Malteser rasch und öffentlich ebenso bestritten wie jegliches Fehlverhalten.

Die Vorwürfe, die ihm gemacht wurden, sind enorm: Er soll gewusst und mithin stillschweigend gebilligt haben, dass ein maltesischer Unternehmer namens Silvio Zammit in seinem, Dallis, Namen bei der Tabakfirma Swedish Match vorstellig wurde, um einen immensen Geldbetrag zu fordern. Im Gegenzug soll der Unternehmer den Schweden versprochen haben, Einfluss auf die Tabak-Richtlinie zu nehmen, die seit Jahren unter Dallis Regie entsteht und deren Veröffentlichung immer wieder verschoben wurde.

Tabak-Lobbyist soll 60 Millionen Euro gefordert haben

Konkret soll Zammit in Aussicht gestellt haben, das geltende Verbot für den europaweiten Vertrieb von "Snus" aufzuheben - einem der wichtigsten Produkte von Swedish Match. "Snus" ist ein rauchfreies Lutschtabakprodukt, das in Schweden erlaubt ist, aber nicht in die anderen Mitgliedsstaaten der EU exportiert werden darf.

Die EU-Antibetrugsbehörde "Olaf", die monatelang gegen Dalli ermittelt hatte, sprach vergangene Woche von klaren Indizien, hielt sich aber in der Frage bedeckt, wie viel Geld gefordert worden war. Wohlgemerkt: gefordert, denn gezahlt wurde schließlich nichts. Seit Samstag ist nun auch eine Summe im Gespräch - und wenn diese Summe stimmt, übersteigt sie bei Weitem, was dem Marlboro Man in "Thank you for Smoking" geboten wurde, jenem Hollywood-Film über die komplexe Nähe zwischen Politikern und Tabak-Lobbyisten. Denn Zammit soll 60 Millionen Euro gefordert haben.

So jedenfalls stellt es Patrik Hildingsson dar, ein Sprecher von Swedish Match. Demnach sollten nach Zammits Vorstellungen zehn Millionen Euro sofort fließen, als Anzahlung gewissermaßen. Die restlichen 50 Millionen Euro "bei Lieferung". Den Betrag soll Zammit unter anderem mit dem Hinweis darauf gerechtfertigt haben, dass eine Aufhebung des Exportverbots für Dalli einem politischen Selbstmord gleichkäme; in schwedischen Medien wird hochgerechnet, dass Swedish Match durch eine Exportgenehmigung zusätzliche Einnahmen von 300 Millionen Euro verbuchen könnte.

Die Sache mit der Glaubwürdigkeit

Zammit leugnet alles - und Dalli behauptet beharrlich, das Opfer einer Intrige der Tabak-Lobby geworden zu sein. Er argumentiert, dass die Aufhebung des Exportverbots nie zur Debatte gestanden habe - allein schon deshalb, weil sie politisch nicht durchsetzbar gewesen wäre. Dallis Problem: Mit seiner Glaubwürdigkeit ist es so eine Sache. Er hat schon mal wegen Korruptionsvorwürfen, die später zwar von Maltas Justiz als haltlos bezeichnet wurden, ein politisches Amt aufgeben müssen. 2004, als er Außenminister Maltas war. Zudem gesteht er mittlerweile, Zammit besser zu kennen, als anfangs zugegeben. In ersten Stellungnahmen hatte er behauptet, Zammit gar nicht zu kennen.

Umgekehrt ist aber nicht von der Hand zu weisen, dass die in Brüssel extrem aktive Tabak-Lobby der große Sieger der Dalli-Affäre ist. Dallis eigentlich überfällige Tabak-Richtlinien-Reform, die insbesondere die Warnhinweise vor Gesundheitsrisiken des Tabakkonsums verschärfen sollte, liegt wegen Dallis Rücktritts auf Eis. Zwar hat Maltas Regierung am Wochenende Außenminister Tonio Borg, 55, offiziell als Dalli-Nachfolger nominiert. Doch selbst wenn Borg zeitnah das Amt übernehmen sollte, wäre nicht garantiert, dass die neue Tabak-Richtlinie noch vor dem Ende der laufenden Legislaturperiode verabschiedet wird. "Die Tabak-Lobby hat die Sektkorken knallen lassen, da bin ich mir sicher", sagt ein Europaparlamentarier in Brüssel. Der Grund: Sie habe viel Zeit gewonnen - womöglich bis nach 2014. Und diese Zeit dürfte milliardenschwer wiegen.

Das vermutet auch die Anti-Tabak-Lobby. Sie habe zwar "keine Neigung zu Verschwörungstheorien", heißt es in einer Mitteilung. Verwunderlich sei aber schon, dass in einem achtstöckigen Gebäude, das mehr als 20 Organisationen beherbergt, nur in die Räume von Smoke Free Partnership (SFP), European Respiratory Society (ERS) und European Public Health Alliance (EPHA) eingebrochen wurde. Dass nur Datenträger gestohlen wurden, die mit Dallis Tabak-Richtlinie zu tun haben. Bei aller Unordnung, die hinterlassen wurde - es bestehe kein Zweifel, dass ein "professionelles, gut ausgerüstetes" Einbrecherteam am Werk war. Die belgische Polizei ermittelt.

© SZ vom 22.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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