Ackermann-Rücktritt bei Zurich:Brisanter Brief

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Ackermann sei von den Anschuldigungen "zutiefst getroffen", sagen Insider (Foto: REUTERS)

Der Finanzchef der Zurich-Versicherung nahm sich das Leben und hinterließ ein Abschiedsschreiben. Darin spricht er sein schwieriges Verhältnis zu Josef Ackermann ausdrücklich an.

Von Harald Freiberger, Herbert Fromme und Wolfgang Koydl, Zürich

In den ersten Stunden nach dem Rücktritt von Josef Ackermann am Donnerstag waren die Reaktionen noch geteilt. Während die einen dem Spitzenmann der Zurich-Versicherung Respekt zollten, sprachen andere von einer "totalen Überreaktion": Ein Verwaltungsratschef könne doch nicht einfach alles Knall auf Fall hinwerfen. In der Tat: Erst durch seinen Rücktritt war aus dem tragischen, aber publizistisch unspektakulären Selbstmord des Finanzchefs Pierre Wauthier eine Geschichte mit weltweitem Echo geworden. Wieso also trat Ackermann mutwillig diese Lawine los?

Inzwischen kristallisiert sich heraus, dass der Ex-Banker offenbar die Flucht nach vorne antrat, um womöglich schlimmere Schlagzeilen zu verhindern. Denn es ist bekannt geworden, dass Wauthier einen Abschiedsbrief hinterlassen hat, in dem er Ackermann angeblich direkt vorwirft, Druck auf ihn ausgeübt zu haben. Das berichtete der Zürcher Tages-Anzeiger unter Berufung auf ungenannte Insider.

Der Versicherungskonzern berief daraufhin am Freitag eilig eine Telefonkonferenz mit Analysten ein. Dabei bestätigte die Konzernspitze die Existenz des Schreibens. "Wir wurden informiert, dass ein solcher Brief existiert, und wir sind uns seines Inhalts bewusst", erklärte der interimistisch als Verwaltungsratschef eingesetzte Niederländer Tom de Swaan. Es sei auch korrekt, "dass der Brief auf die Beziehung zwischen Wauthier und Ackermann eingeht".

Einzelheiten wollte de Swaan nicht nennen, aber er kündigte an, dass die Ereignisse der letzten Tage untersucht werden sollen. Er wolle herausfinden, ob wirklich übermäßiger Druck auf den Finanzchef ausgeübt worden sei. "Wir nehmen die Unternehmenskultur und das Verhalten des Managements sehr ernst", fügte er hinzu.

Brisant ist, was aus Kreisen der Konzern-Spitze nach außen drang. Demnach habe Wauthier in dem Brief "rein emotionale" Gründe für seine Tat genannt. Er habe sich von Ackermann "schlecht behandelt gefühlt und dass seine Arbeit nicht gewürdigt würde", hieß es. Ackermann würde die Firma schlecht führen und habe "eine aggressive Gesprächskultur" eingeführt.

Der Konzernspitze ging es in der Telefonkonferenz darum, deutlich zu machen, dass kein Zusammenhang zwischen dem Freitod und den Zahlen des Konzerns bestehe. Vorstandschef Martin Senn, der gemeinsam mit de Swaan auftrat, betonte, er wolle, dass die Zuhörer ihn "kristallklar" verstünden: "Es gibt keinen Link zwischen den vorgefallenen Ereignissen und dem Geschäft der Zurich-Versicherung."

Der Tages-Anzeiger hatte berichtet, dass es zwischen Ackermann und der Konzernführung Unstimmigkeiten über die wirtschaftlichen Ergebnisse gegeben habe. "Er fand, die Zurich sei ein verstaubter Beamtenladen, den man auf Vordermann bringen sollte", zitierte die Zeitung den Insider. Senn hingegen habe immer wieder hervorgehoben, wie erfolgreich das Unternehmen durch die Krise gekommen sei - eine Darstellung, die Ackermann als beschönigend empfunden habe. Diese Ansicht habe ihn auch in einen Konflikt mit Wauthier gebracht.

Senn betonte auf der Telefonkonferenz, es wäre unbegründet, zwischen Buchhaltungsfragen und dem Suizid eine Verbindung herzustellen: "Das hat nichts mit dem Geschäft zu tun, die Resultate sind so, wie sie sind." In diesem Punkt stimmte ihm de Swaan zu. Er habe sich lange mit dem Chef des Audit-Komitees im Verwaltungsrat unterhalten, sagte er. "Dabei gab es keine Unregelmäßigkeiten zu berichten." Laut einem Insider hat der Verwaltungsrat bereits am Montag nach der Todesmeldung eine Sonderprüfung des Halbjahresabschlusses der Zurich-Versicherung angeordnet. Sie wurde von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC durchgeführt. "Die haben nichts gefunden, es ist alles korrekt", sagte der Insider. Auch Senn betonte: "Alles, was wir bei der Vorstellung der Halbjahreszahlen gesagt haben, steht."

In der Tat ließen die Ergebnisse des Versicherers in dem Jahr, in dem Ackermann den Verwaltungsrat leitete, zu wünschen übrig. Allein im ersten Quartal dieses Jahres ging der Gewinn um sieben Prozent zurück, im zweiten Quartal schrumpfte er wegen einer Häufung von Schadensfällen sogar um 27 Prozent. Dazu kam vor einem Jahr eine Abschreibung in Höhe von gut 400 Millionen Euro in Deutschland.

Als Krisenunternehmen galt die Zurich-Versicherung aber nicht. "Angesichts der Belastungen durch Großschäden waren die Zahlen für das erste Halbjahr so schlecht nicht, im Prinzip ist das Unternehmen auf einem guten Kurs", sagte ein Manager des Versicherers der SZ. Die Mitarbeiter seien immer noch schockiert von den Ereignissen. "Wir können uns nicht erklären, warum das alles passiert ist", sagte der Manager weiter. "Ich glaube nicht, dass der Freitod Wauthiers nur einen Grund hat und dass Ackermann direkt ursächlich war."

Ackermann kennt das Unternehmen lange und gut. Zurich und Deutsche Bank arbeiten in vielen Feldern eng zusammen. Deshalb waren die meisten Mitarbeiter nicht überrascht über Ackermanns Wechsel in den Verwaltungsrat der Zurich. Er galt als Vertreter einer internationalen, auf das enge Zusammenspiel mit den Kapitalmärkten setzende Strategie.

Ackermann hatte seinen Rücktritt am Donnerstag damit begründet, er habe "Grund zur Annahme, dass die Familie meint, ich solle meinen Teil der Verantwortung hierfür tragen, ungeachtet dessen, wie unbegründet dies objektiv betrachtet auch sein mag". Die SZ erfuhr in Zürich, dass Ackermann von den Anschuldigungen "zutiefst getroffen" sei. "Man muss einmal überlegen, was es bedeutet, wenn sich jemand umbringt und einen anderen beschuldigt, dafür verantwortlich zu sein, obwohl es dafür keinen vernünftigen Grund gibt", heißt es in der Branche.

Vorstandschef Senn hatte gesagt: "Wir haben keine Konflikte festgestellt, die zu einem solchen Tod führen könnten oder sollten." Tatsache ist aber, dass Ackermann frischen Wind in die Versicherer bringen wollte. In seinen Augen hatte die Zurich Aufholbedarf gegenüber anderen globalen Versicherern. Deshalb setzte er dem Konzern hohe Ziele und übte auch Druck aus, heißt es in der Branche. Dieser Druck habe aber nicht nur dem Finanzchef gegolten, sondern Hunderten Mitarbeitern von Zurich. Im Übrigen sei Verwaltungsratschef Ackermann nicht der direkte Vorgesetzte von Wauthier gegewesen - das war Vorstandschef Senn.

Im Umfeld Ackermanns hieß es, nach dem Freitod habe er keine Chance gesehen, den Umbau des Versicherers weiter voranzutreiben - dieser hätte immer als Schatten darüber gelegen.

Anmerkung der Redaktion: Wir haben uns entschieden, in der Regel nicht über Selbsttötungen zu berichten, außer sie erfahren durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit. Die Berichterstattung über den Tod von Zurich-Finanzchef Pierre Wauthier gestalten wir deshalb bewusst zurückhaltend, wir verzichten weitgehend auf Details. Der Grund für unsere Zurückhaltung ist die hohe Nachahmerquote nach jeder Berichterstattung über Suizide.

Wenn Sie sich selbst betroffen fühlen, kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge. Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die schon in vielen Fällen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen konnten.

© SZ vom 31.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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