Vermarktung von Kosmetik:Shampoo auf Rezept

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  • Kosmetikhersteller präsentieren hochwertige Produkte in betont schlichter Aufmachung, das an Arzneien erinnert.
  • Das kommt dem Bedürfnis der Kunden entgegen, die sich möglichst pure und naturnahe Inhaltsstoffe wünschen.
  • Simples Produktdesign ist nicht nur ein Marketing-Trick, sondern hat oft auch praktischen Nutzen.

Von Max Scharnigg und Dennis Braatz

Unbehandeltes Eichenholz, sanft plätscherndes Wasser, das sich aus Kupferrohren in Holzbecken ergießt, weiches Licht der organisch herabtropfenden Lampen und dazwischen jede Menge warmes Nichts: Fünf Minuten in der neuen Filiale von Aēsop in Stockholm fühlen sich an wie eine halbe Stunde Yoga. Die australische Kosmetikmarke verfolgt in jedem ihrer weltweit 61 Geschäfte einen anderen architektonischen Ansatz und schafft es dabei jedes Mal neu, sich mit Interieur gewordener Achtsamkeit zu inszenieren. Die Produkte, um die es geht, sind Tiegel mit Feuchtigkeitscreme und Haarpflege-Fläschchen in Braunglas. Sie stehen dezent in Wandnischen, mit ihren schlicht-geometrischen Etiketten wirken sie wahlweise wie Werkstoff oder Arznei.

Understatement, Sachlichkeit, Heilsversprechen - diese Botschaften nimmt der Kunde mit nach draußen, sie werden ihm bei Aēsop an alle Sinnesorgane vermittelt. Es ist ein Konsumstil, den man gerade nicht nur im Beauty-Bereich beobachten kann: Der gehobene Mainstream will keine Mainstreamprodukte mehr. Er möchte individuell angesprochen werden, und Verpackungsdesign ist dabei ein wichtiges Stilmittel. Weinetiketten und Ginflaschen, Speisekarten, Buchcover und Bioprodukte: Je klarer die optische Umsetzung ausfällt, je aufrichtiger die Funktionalität betont wird, desto zeitgeistiger wirken sie.

Schlichtheit als neuer Trend

In der Wohnung herrscht lange schon skandinavische Schlichtheit, die Mode tauscht kreischbunte It-Bags gegen schnörkellose Céline-Shopper ein, und die besten Restaurants der Welt arbeiten seit Jahren daran, regionale Aromen möglichst pur zu präsentieren, während die Gäste in einer Einrichtung sitzen, die vor 50 Jahren noch als Lagerhalle durchgegangen wäre. Natürlich, Schnörkelvermeidung ist schon lange Kammerton im Design, aber hier geht es nicht nur um Anleihen bei Dieter Rams und dem Bauhaus. Nein, es spielt eine gute Portion Romantik und Nostalgie in diese optische Flurbereinigung mit hinein, eine sentimentale Sehnsucht nach dem Einfachen und Guten. Besonders nachdrücklich geschieht das derzeit im Badezimmerschrank.

Cremes, Seren und Shampoos von einer gewissen Preisklasse an sehen heute flächendeckend aus, als wären sie lange im Lager der Apotheke vergessen worden. Bloß keine Plastikfolie oder bunte Umkartons, schon gar keine trashigen Fotos oder 3-D-Applikationen, ganz zu schweigen von goldenen Kappen und schwülstigen Flakons! Stattdessen: alte Tinkturflaschen oder Aluminiumtuben und darauf möglichst monochrome Typografie.

Ein Hauch von Tradition

Von oben nach unten: Öl-Serum, Cremes und Badeshampoos von Grown Alchemist, Dr. Jackson's, Aēsop, Elemental Herbology, Dr. Dennis Gross und Le Labo. (Foto: N/A)

Bei der Beschriftung finden sich zwei Extreme. Maximale Knappheit auf der einen Seite, also eine Seife, auf der nichts steht als: "Eine Seife". Oder aber, wie bei Aēsop oder der Hipster-Seife Dr. Bronner: Die Produkte sind formal überbeschriftet, wie der Beipackzettel eines Medikaments. Neben dem heilsamen Anstrich kann dieses Design auch Tradition suggerieren, die in den meisten Fällen gar nicht vorhanden ist. "Unsere Flaschen wurden von der britischen Firma Beatson Clark designt. Im 18. Jahrhundert stellte sie die ersten pharmazeutischen Behältnisse des Landes her", sagt der Australier Keston Mujis, der gemeinsam mit seinem Bruder und einer ökologisch hochkorrekten Pflegeserie namens Grown Alchemist gerade die Beauty-Welt erobert. Sogar Douglas führt die puristische Marke mittlerweile, 300ml Shampoo für 20 Euro.

Die nüchterne Aufmachung kontrastiert bei dieser neuen Apo-Beauty mit opulenten inneren Werten. Was aussieht wie vom Planwagen gefallen, soll bitte schön auch Inhaltsstoffe haben, die so pur und naturnah sind wie im vorindustriellen Zeitalter.

Retro-Ästhetik boomt

Der britische Kosmetiker Simon Jackson zum Beispiel hat sein Handwerk tatsächlich in der Apotheke gelernt. Parallel zu seiner Ausbildung reiste er aber noch durch die Regenwälder des Amazonas und Indonesiens, um medizinische Wirkungen der dort einheimischen Pflanzen zu studieren. Seine Cremes mit Mangosamenextrakten und Marula-Öl werden in einer Apothekerflasche mit geschliffenen Glaspfropfen geliefert. Der Inhalt muss tatsächlich mit einem Spachtel herausgeholt werden, die Assoziation mit einem extra angerührten Wundermittelchen ist da wirklich nicht mehr fern. Bei der Beschriftung geht die Geheimniskrämerei noch weiter: SkinCreme02 steht da, mehr nicht. Klar, dass es die Dr. Jackson-Cremes bei hippen Mode-Plattformen wie Net-a-porter zu kaufen gibt und dass man sich so einen Tiegel für immerhin fast hundert Euro gegen alle Vernunft gerne in sein Bad stellen würde. Das alte Manufactum-Versprechen vom Guten, das gleichzeitig schön ist, wirkt eben gerade bei Produkten, die unter die Haut gehen.

Warum das Geschäft mit der Retro-Ästhetik so boomt, das weiß Johanna Sieveking von der Werbeagentur Jung von Matt. "Wir setzen als Käufer immer häufiger auf die Nische, um eine positive Außenwirkung zu erzeugen. Die unbekannte Organic-Pflege aus Australien wirkt im Gespräch genauso wie im Bad eben viel cooler als das, was nur Mainstream ist", erklärt die 32-Jährige. Bei ihrer Arbeit spürt sie gesellschaftliche Trends auf, damit Firmen mit ihrer Werbung möglichst passgenau auf sie reagieren können. "Es gibt aktuell viele Menschen, die sich über den Gedanken der kuratierten Andersartigkeit definieren", sagt Johanna Sieveking. "Vielleicht wird es nicht immer das Apotheken-Vorbild sein, aber die glattgebügelte Massenware wird in den Kreisen der Connaisseurs an Bedeutung verlieren."

Simples Produktdesign ist aber nicht immer nur ein Marketing-Trick. Dunkles Glas und Alu-Behältnisse, wie sie etwa bei Grown Alchemist verwendet werden, schützen am besten vor Licht und Luft, die die Wirkung der Inhaltsstoffe schnell vermindern können, sagt Inhaber Mujis. Die gute alte Zeit trägt ihre Adjektive also manchmal zu Recht.

© SZ vom 10.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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