T-Shirts:Ihr Brustprint schreit mich an

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Deutliche Botschaften bei einer "House of Holland"-Show in London. (Foto: Getty Images)

Kleiderschränke sind zu Bibliotheken der witzigen Sprüche, der Slogans und Parolen geworden. Politik, Sex, Mode: Für alles gibt es jetzt Slogan-T-Shirts. Woran liegt das?

Von Jan Kedves

Über Menschen, die leicht zu durchschauen sind, heißt es, man könne sie lesen wie ein offenes Buch. Dafür braucht man keinen Text. Man sieht sich Gesichtsausdruck, Körperhaltung, Kleidungsstil an, und schon erfährt man viel über jemanden, auch wenn man nicht weiß, wie er heißt oder woher sie kommt. In jüngerer Zeit ist es noch leichter geworden, Menschen zu lesen, denn viele tragen beschriftete Kleidung: T-Shirts, Kappen, Schals, Pullover, Socken. Kleiderschränke sind zu Bibliotheken der witzigen Sprüche, der Polit-Slogans und aktivistischen Parolen geworden.

Da ist zum Beispiel die Studentin, die mit ihrer "Ferme La Bouche"-Basecap jedem vermittelt: Halt die Klappe. Die Studentin neben ihr kontert mit einem Shirt, auf dem "Speak up" steht, also: Mach den Mund auf. Daneben der Mode-Hipster, der einen "We Are All Migrants"-Schal des Mailänder Strickwaren-Labels Sansovino 6 trägt und sich auf diese Weise solidarisch mit den Geflüchteten der Welt zeigt. Während der Skater von Welt gerade am liebsten seine "Remove Before Sex"-Tennissocken anzieht, die vom Berliner Style-Magazin 032c angeboten werden. Mit denen kann er nämlich lustige intime Momente teilen (die Anweisung "Vor dem Sex ausziehen" ist unten in die Sohle eingewebt) und sich mit seiner Freundin entscheiden: Wollen wir ganz nackigen Sex haben oder lieber ungehorsamen Sockensex?

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Ja, die neuere Slogan- und Motto-Mode ist auch lustig. Wer sie verstehen will, muss sie erst einmal abgrenzen von Mode mit prominent platzierten Markennamen und Markenslogans. Labels drucken ihre Slogans ja mal riesig auf ihre Produkte, dann wieder kleiner, dann wieder größer. "Just do it" bei Nike, "Only the brave" bei Diesel und so weiter. Als Konsument empfindet man je nach Saison mal die elegante Dezenz, mal die angeberische Prallheit als passend. Wobei es hier eben nicht um Markenbotschaften gehen soll, sondern um Botschaften, die den Träger oder die Trägerin selbst zur Marke machen, à la: Ich positioniere mich mit einer originellen, prägnanten Textbotschaft im öffentlichen Raum, der immer öfter auch digital ist.

"Ich bin Feministin" ist die Botschaft, die gerade am häufigsten zu lesen ist, in verschiedensten Formulierungen, zum Beispiel "The Future Is Female" oder: "Girls Just Want To Have Fun-Damental Rights". Letzteres ist die feministische Verlängerung des hedonistischen Pop-Hits von Cyndi Lauper ("Girls Just Want To Have Fun") um die Forderung nach Anerkennung des Rechts auf Abtreibung. Das liest sich schön aktivistisch, und dass junge Frauen via Brustprint bekräftigen, dass Feminismus sie keineswegs anekelt, ist prinzipiell toll. Wobei es auch den Begriff "Slacktivismus" gibt, abgeleitet vom englischen "Slacker", also dem Faulenzer. Fauler Aktivismus, das wäre ein Aktivismus, der sich mit Symbolen - wie etwa dem Tragen eines feministischen T-Shirt-Spruchs - begnügt. Oder ist es ein Aktivismus, der sich ganz auf die Sprechakttheorie aus der Linguistik beruft, der zufolge Sprechhandlungen selbst immer schon Veränderungen der Realität sind?

Was zu den durchaus problematischen Auswüchsen des Feminismus-Modetrends zu sagen ist, hat kürzlich die Autorin Margarete Stokowski eindrucksvoll beschrieben - angefangen beim 500 Euro teuren T-Shirt mit "We Should All Be Feminists"-Aufdruck von Dior. Selbstverständlich gibt es auch positiv besprochene Beispiele für den Slogan-Trend: Wolfgang Tillmans' Brexit-Shirt etwa ("No man is an island. No country by itself"), das Daniel Craig trug .

Natürlich ist es kein neues Phänomen, sich mit seiner Kleidung nicht nur als Person auszudrücken, sondern auch expressis verbis. Der Textildruck, mit dem sich wasch- und dehnbare PVC-Farbe auf Stoff aufbringen lässt, ist in den Fünfzigerjahren erfunden worden. Seitdem gibt es T-Shirts, die mit Botschaften bedruckt sind. Bevor sie Mode wurden, gab es sie zunächst beim Militär, im Sport und im Marketing, sprich: zur Bewerbung von Tankstellen, Restaurants und so weiter. Solche Shirts trug man noch nicht als Ausdruck seiner persönlichen Ansichten oder seines Humors, sondern in einer Funktion als Soldat, Mannschaftsmitglied oder Angestellter. In den Siebzigerjahren kam die Inflation der touristischen Souvenir-Shirts dazu: Mein Freund, meine Freundin ist ohne mich nach New York, Paris, Las Vegas gefahren, "... and all I got was this lousy t-shirt"! Auch das waren noch keine Botschaften mit individuellem aktivistischen oder weltanschaulichen Gehalt.

"Not another slogan shirt"

Deswegen gilt als die Mutter des heutigen Slogan-Shirts die britische Designerin Katharine Hamnett. Sie begann in den Achtzigerjahren auf weiße T-Shirts politische Botschaften mit dicker Blockschrift zu drucken. Das "Use Condom"-Shirt war ihr Aufschrei zur Aids-Krise, die damals von vielen staatlichen Stellen und Medien noch totgeschwiegen wurde. Popbands wie Wham! trugen das Shirt im Fernsehen - eine Frühform dessen, was heute virale Kommunikation genannt wird; eine Strategie, mittels derer Botschaften in Kanäle geschleust werden, in denen sie eigentlich nicht vorgesehen sind. Ein anderes Hamnett-Shirt trug die Aufschrift: "58% Don't Want Pershing". 58 Prozent der Briten waren 1984 gegen die Stationierung von Pershing-Raketen in Großbritannien. Hamnett trat damit bei einem Empfang für britische Modedesigner der damaligen Premierministerin Margaret Thatcher entgegen. Thatcher stieß vor Schreck einen kleinen Schrei aus.

Eine durchaus passende Reaktion, denn Slogan-Mode schreit einen mit ihrer konsequenten Großschreibung ja auch an (siehe in den Neunzigerjahren auch die Girlie-Shirts mit "Zicke"- oder "Schlampe"-Aufdruck). Durchgängiges Großschreiben gilt unter Grafikdesignern und Schriftsetzern als Texten durchs Megafon, als Vermitteln unbedingter Dringlichkeit. POLIZEI liest sich eben anders als Polizei. Majuskelschrift nennt der Duden das, wobei nicht immer einleuchtet, warum T-Shirt-Slogans wie "Not another slogan shirt" oder "No more fashion victims" heute unbedingt in Majuskelschrift gesetzt sein müssen. Außer dass man wohl sagen könnte: Textbotschaften müssen heute viel stärker nach Aufmerksamkeit heischen als früher. Whatsapp, Twitter, Facebook: Wir tippen, tippen, tippen und wir lesen, lesen, lesen. Womit wir also im Internet wären, und das hat mit diesem Trend sehr viel zu tun.

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Steil behauptet: Die neuere Slogan-Mode gäbe es weder ohne die Foto-Sharing-App Instagram, die seit etwa sechs Jahren populär ist, noch ohne die digitale Meme-Kultur, in der mittels Hashtags und schlagender Kombinationen von Fotos, Gesichtern und Typografie am laufenden Band virale Hits produziert werden, sprich: Memes mit Millionen Verlinkungen und Shares. Wer heute ein Slogan-Shirt trägt, tut dies gar nicht mal für die Straße, sondern um sich selbst damit zu fotografieren (oder fotografiert zu werden) und online möglichst viel digitalen Applaus einzusammeln. Das führt zu einer scheinbar endlosen Feedback-Spirale zwischen sozialen Netzwerken und originellen Shirts. Weswegen die Sprüche inzwischen auch immer bescheuerter werden - so bescheuert, dass sie fast schon wieder gut sind. Das "Ich komm' zum Glück aus Osnabrück!"-Shirt des übercoolen Labels Vetements gibt es tatsächlich, es stammt aus der neuen Herbst/Winter-Kollektion, wird im Laden vermutlich wieder so um die 250 Euro kosten. Aber man muss ja auch einberechnen, wie viele Likes es bringen wird!

Man könnte Slogan-Mode also als eine textile Ausstülpung digitaler Kommunikation und digitaler Aufmerksamkeitsökonomien betrachten. In den sozialen Netzwerken haben wir uns - wenn es etwas zu diskutieren gibt - angewöhnt, uns immer gleich anzuschreien (in GROSSBUCHSTABEN!), ansonsten ziehen wir uns gern in die Schutzräume unserer Filterblasen zurück, wo alle Freunde all das mögen, was wir selbst auch mögen. Während wir auf unsere Geräte starren, vermitteln unsere Shirts und Kappen und Schals stellvertretend für uns, welche Einstellung und welchen Humor wir haben. Wobei die gedruckten Botschaften eben nicht als Gesprächsangebote misszuverstehen sind. Wer ein feministisches T-Shirt trägt, will auf der Straße vermutlich nicht wirklich mit anderen über Lohngerechtigkeit für Frauen diskutieren müssen. Slogan-Kleider sind manchmal ganz bequem, wenn man sich selbst nicht lautstark äußern, aber dennoch eine Botschaft senden will.

© SZ vom 03.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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