Frisuren vor Gericht:Lizenz zum Flechten

2016 Panorama NYC - Day 2

Tragen gern Dutch Braids: weiße Frauen wie Model Clair Westenberg (im Bild) oder die Frontfrau der Band Jennifer Rostock.

(Foto: Timur Emek/Getty Images)

Viele weiße Frauen tragen Dutch Braids und andere afrikanische Frisuren. Aber ist es nicht rassistisch, einen auf Schwarze zu machen?

Von Jan Kedves

Manchmal wäre es gut, wenn auf Frisuren ein Copyright gälte. Dann könnte man im Zweifel die Person, die die Rechte an einer bestimmten Frisur hält, fragen, ob das Tragen in diesem oder jenem Kontext in Ordnung ist oder nicht - damit wäre die Sache gegessen. Frisuren lassen sich aber nicht schützen, schon gar nicht, wenn sie einer ethnischen Gruppe zugeordnet werden. So kommt es zum Zoff.

Als der Modedesigner Marc Jacobs im September bei der Fashion Week in New York seine Models mit bunt gefärbten Dreadlocks über den Laufsteg schickte, protestierte die afroamerikanische Community. Nachvollziehbar, denn die Models bei der Schau waren fast alle weiß.

Ebenfalls im September entschied ein Berufungsgericht in Alabama, dass das Tragen von Dreadlocks am Arbeitsplatz ein Kündigungsgrund sein kann. Sprich: Schwarze müssen sich in den USA, um Geld verdienen zu können, ihre Dreadlocks abschneiden, während Marc Jacobs in einer luxuriösen Feier des Exotismus weiße Models mit Dreadlocks schmückt.

Solche Diskussionen, die sich um Rassismus, strukturelle Benachteiligung und kulturelle Aneignung drehen, waren lange eine Sache der USA. Neu ist, dass sie auch in Deutschland geführt werden. Wie im Dezember in Berlin. Da lud das Lifestyle-Magazin Indie in Kooperation mit der Berliner Aktivistinnengruppe White Guilt Clean Up (in etwa: antirassistischer Service für von Schuldgefühlen geplagte Weiße) zu einer Panel-Diskussion nach Kreuzberg. Es sollte um afrikanische Haartradition in Deutschland gehen.

Vorausgegangen war dem Abend eine Haarflechtparty, die vom Indie-Magazin erst angekündigt und nach Protesten wieder abgesagt worden war. Bei ihr sollte eine weiße Haarstylistin Indie-Lesern Cornrows, Bantu Knots und Dutch Braids flechten - jene afrikanischen Frisuren, bei denen die Haare in Zöpfen auf verschiedene Weisen kunstvoll arrangiert, verknotet oder zu kompakten Röllchen gedreht werden.

Zuerst kamen die Boxerinnen, dann der Kardashian-Clan. Und jetzt die Berliner Frauen

Die Diskussion, auf Englisch geführt, war quasi die Nachbereitung zum geplatzten Event. Es blieb nicht bei der Feststellung, dass dieses nur dann in Ordnung gewesen wäre, wenn die gebuchte Haarstylistin schwarz gewesen wäre. Nein, der Konsens zwischen den in Berlin lebenden, teils afroamerikanischen Aktivistinnen auf dem Podium lautete: Es ist grundsätzlich rassistisch, wenn Weiße afrikanische Frisuren tragen.

Die Forderung: Weiße müssen damit aufhören, und wenn man einem Weißen mit einer solchen Frisur begegnet, dann sollte man ihn - oder sie - zur Rede stellen. Die etwa 150 Menschen im Publikum, zu gleichen Teilen schwarz und weiß, Deutsche und Expats, hatten keinerlei Bedenken, für sie war die Diskussion absolut zwingend.

Wenn Sie also das nächste Mal auf der Straße der Sängerin Jennifer Rostock begegnen, wissen Sie, was zu tun ist: Sagen Sie ihr ins Gesicht, dass ihre blonden Dutch Braids rassistisch sind! Dutch Braids sind jene Zöpfe, die entlang des Mittelscheitels von vorne nach hinten an die Kopfhaut geflochten werden und häufig durch künstliches Haar verstärkt sind. Boxerinnen tragen diese Frisur gerne, zuletzt wurde sie von Frauen aus dem Kardashian-Clan popularisiert. Jennifer Rostock trägt die Frisur in ihrem "Hengstin"-Video, das 3,7 Millionen Mal auf Youtube angeklickt worden ist.

Allerdings dürfte die Diskussion mit Rostock, die bürgerlich Jennifer Weist heißt, haarig werden - wenn sie sich nämlich darauf beruft, dass sie sich die Frisur bei Cocoon hat machen lassen, jener Berliner Afrohair-Institution, die drei Shops in Schöneberg und Mitte betreibt und deren Geschäftsführer Melion Abraha aus Eritrea stammt. Authentischer geht's eigentlich nicht. Hätte man Jennifer Weist dort nicht gesagt, wenn es rassistisch wäre, dass sie so eine Frisur will?

Die Diktatur der Frisur

Ja, manche Expats in Berlin, die durch die Black-Lives-Matter-Bewegung und die Diskussionen um "Cultural Appropriation" politisiert sind, scheinen der Ansicht zu sein, dass sich Diskussionen aus den USA eins zu eins auf Deutschland übertragen lassen. Fragt man aber zum Beispiel Abrehet Ghebreghiorghis, die Geschäftsführerin des Flechtateliers Magic Style in Leingarten bei Heilbronn, was sie von solchen Diskussionen hält, zeigt sie wenig Verständnis: "Ich schreibe doch niemandem vor, was für Haare er zu tragen hat. Das wäre diktatorisch!"

Ghebreghiorghis ist halb Eritreerin, halb Äthiopierin, sie kam vor 36 Jahren als Flüchtling nach Westdeutschland. Sie ist eine von vielen afrodeutschen Haarflechterinnen und Haarflechtern, die ihre Kunden nicht in kulturell Berechtigte und Unberechtigte trennen, ja, die ihre Fertigkeiten vielleicht sogar als Beitrag zur interkulturellen Kommunikation verstehen.

Seit einigen Monaten verzeichnet Ghebreghiorghis in ihrem Atelier, das sie seit 19 Jahren betreibt, eine verstärkte Nachfrage nach Dutch Braids à la Kim Kardashian, vor allem von deutschen oder nordeuropäischen, jedenfalls: weißhäutigen Jugendlichen. Ein Problem sieht sie darin nicht: "Man soll doch froh sein, wenn man sich austauschen kann, und warum nicht über kulturelle Errungenschaften wie Frisuren?"

Tatsächlich fällt es schwer, sich eine kulturell lehrsamere Situation vorzustellen als diese: Man bestellt sich in einem Afrohair-Laden die Kim-Kardashian-Frisur, und die Flechterin sagt: "Ach, die haben wir als Kinder früher schon in Äthiopien und Eritrea getragen." Zu solchen Situationen käme es nicht mehr, wenn man Weißen den Wunsch nach afrikanischen Flechtfrisuren austreiben würde. Ghebreghiorghis seufzt: "Ach, die Amerikaner tun mir echt leid."

Schön wäre also ein entspannterer Umgang mit dem Thema. Für den steht auch die Hamburger Sängerin Ace Tee, die gerade mit dem Video zu ihrer gefeierten Debütsingle "Bist du down?" für Aufsehen sorgt. Dass aus Hamburg eine Popsängerin kommt, die optisch wie musikalisch wie eine Widergängerin der Neunziger-R&B-Stars Aaliyah und TLC erscheint - damit hätte nun niemand gerechnet, schon gar nicht in den USA.

Ace Tee, die bürgerlich Tarin Wilda heißt und in Hamburg-Jenfeld als Tochter ghanaischer Eltern aufgewachsen ist, hat gerade der amerikanischen Vogue ein Interview gegeben. In dem sagt sie, es gehe ihr um Inklusion und Diversität: "In meinem Video sind Menschen aller Ethnien und Hintergründe zu sehen. Ich sage: Schaut her, wir sind eins, wir können alle dieselben Frisuren und Klamotten tragen."

Dass Ace Tee mit ihrer Frisur, den Bantu Knots, unfassbar cool aussieht, ist keine Frage. Wer ihr Video sieht, will eigentlich sofort auch solche Zopfkringel auf dem Kopf. Gut möglich also, dass bald nicht nur schwarze R&B-Fans in die deutschen Flechtshops strömen. Die Shops wird es freuen. Aber was werden die antirassistischen Aktivistinnen in Kreuzberg dazu sagen?

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